Pro: Mehr Freiheit bei Arbeit und Tätigkeit

Warum ein bedingungsloses Grundeinkommen tatsächlich eine gute Idee ist. Von Matthias Blöcher
Referendum Grundeinkommen Schweiz
Foto: Magali Girardin (Keystone) | „Was würden Sie tun, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?“ – fragte die Kampagne ...

Das Grundeinkommen ist seit ein paar Jahren nicht mehr aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen. Immer wieder befeuern neue Impulse – teils aus völlig unerwarteter Richtung, wie durch Telekom-Chef Höttges, die Debatte. Der vorerst letzte Höhepunkt medialer Aufmerksamkeit wurde im Kontext der Volksabstimmung in der Schweiz erreicht. Warum ist dieses Grundeinkommen sprichwörtlich nicht totzukriegen? Darauf gibt es eine simple Antwort: Weil die Politik noch immer versucht, die Probleme von heute und die Herausforderungen von morgen mit den Rezepten von gestern zu lösen. Eine Politik, die allenfalls bereit ist, die schlimmsten Fehlentwicklungen, wie zum Beispiel beim Mindestlohn, einzudämmen, ist eine Politik, die den Blick auf die gesamte Gesellschaft verloren hat und einen Teil der Menschen „alternativlos“ abschreibt. Eine solche Politik „des auf Sicht fahrens“, ja die Verweigerung von Gestaltung, gefährdet jedoch mittel- bis langfristig alle Mitglieder der Gesellschaft gleichermaßen, denn dann erfolgt die Gestaltung letztlich durch dritte Kräfte.

Verharren wir in der Vergangenheit, so marschieren wir weiter in Richtung „prekärer Vollbeschäftigungsgesellschaft“. Dann müssen wir uns abfinden mit der fortgesetzten Absenkung des Lohnniveaus und dem Ausbau des Niedriglohnsektors. Die Belastungen durch zeitliche und räumliche Flexibilisierung werden dann auch weiterhin einseitig von den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen und ihren Familien getragen werden. Prekäre und befristete Erwerbsarbeitsverhältnisse werden dann nicht nur für die junge Generation zunehmend zur neuen Norm. Im Kontext der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung gibt es dafür jetzt schon einen schönen neuen Begriff: Arbeit 4.0.

Solange wir weiter am Mythos der Vollbeschäftigung als „Normalzustand“ und der Illusion festhalten, allein durch Wirtschaftswachstum auch die Letzten in Lohn und Brot zu bringen und solange wir glauben, Arbeit um und für jeden Preis, die Zurückdrängung und Verschlankung des Staates sowie die Ökonomisierung immer weiterer Lebensbereiche seien alternativlos, solange verweigern wir uns einer aktiven, am Menschen und seiner Würde orientierten Gestaltung der Zukunft. Begreifen wir jedoch den Wandel der Arbeitsgesellschaft als Chance, die technologischen Fortschritte und den gesellschaftlichen Reichtum für alle gewinnbringend zu nutzen, dann kann daraus ein echtes Freiheitsprojekt erwachsen.

Die Idee eines Grundeinkommens – also der individuelle Rechtsanspruch auf eine bedingungslose und menschenwürdige Existenzsicherung durch das Gemeinwesen, für jeden Mensch ab der Geburt, für Arm und Reich, ob arbeitslos oder in Erwerbsarbeit – nimmt gleichsam den oder die Einzelne wie auch die Gesellschaft als Ganzes in den Blick. Der individuelle Freiheitsgewinn besteht vor allem darin, frei vom täglichen Existenzdruck, ohne Angst vor Arbeitslosigkeit und Abstieg und losgelöst von Fremdbestimmung und Funktionalisierung, souverän über den eigenen Weg zu einem „sinnvollen Leben“ entscheiden zu können. Manch einer verkürzt diese Herausforderung auf die Frage: „Was würden Sie tun, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?“ Eine Frage, bei der die Summe der individuellen Antworten das Potenzial in sich trägt, die Arbeitsgesellschaft, wie wir sie kennen und bis ins Mark verinnerlicht haben, grundlegend zu verändern.

Mit der Vision der Tätigkeitsgesellschaft und dem Instrument eines Garantierten Grundeinkommens beschreibt die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) eine Alternative zur derzeitigen Arbeitsgesellschaft. Ein Kernanliegen ist die Überwindung der Vereinseitigung auf Erwerbsarbeit gegenüber anderen menschlichen Tätigkeiten und Handlungsfeldern. Da bislang selbst das System der sozialen Sicherung fast ausschließlich auf Erwerbsarbeit als Zugangsvoraussetzung und Indikator zum Bezug sozialer Leistungen beruht, bedarf es einer Einbeziehung und deutlicher Aufwertung derjenigen menschlichen Tätigkeiten, die jenseits der Erwerbsarbeit liegen (Privatarbeit und gemeinwesenbezogene Arbeit). Bei echter Gleichwertigkeit haben die Menschen die Freiheit, ihre Schwerpunktsetzungen selbst vorzunehmen sowie diese je nach Lebenssituation verändern zu können (Arbeit, Familie, Bildungszeiträume etwa).

Gleichzeitig gilt es, den Zugang zu allen Formen der Arbeit für alle Menschen zu ermöglichen. Dies schließt Erwerbsarbeit ein und wird es erforderlich machen, die vorhandene Erwerbsarbeit in größerem Maße weiter zu teilen. Erwerbsarbeit wird auch nach Einführung eines Grundeinkommens weiterhin ihren Platz in der Tätigkeitsgesellschaft haben, allerdings unter neuen und verbesserten Bedingungen. Mit der Sicherheit, dass das soziokulturelle Existenzminimum jederzeit garantiert und so zumindest ein einfaches Leben und grundlegende gesellschaftliche Teilhabe möglich ist, können die Menschen frei entscheiden, ob und in welchem Umfang sie an Erwerbsarbeit teilnehmen, um sich ein zusätzliches Einkommen zu erwirtschaften. Sie können frei entscheiden, unter welchen Rahmenbedingungen sie eine Arbeit annehmen und so zu einer Neubewertung von bestimmten Tätigkeiten beitragen. Durch das Grundeinkommen wird die Macht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestärkt, „Nein“ zu ausbeuterischer, schlechter Arbeit und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen sagen zu können. Es verschiebt die aufgrund des vorherrschenden Arbeitsmarktdruckes völlig aus dem Lot geratene Machtbalance zugunsten der abhängig Beschäftigten. Die Entwicklung von „Guter Arbeit“ wird befördert und neue Formen von Arbeit können entstehen; Kreativität und individuelle Potenziale werden befreit.

Obwohl mit dem Grundeinkommen auch das menschenunwürdige Hartz-IV-System obsolet wird, ist es vor allem ein Freiheitsprojekt im Bereich der Arbeit, denn nur durch eine Befreiung von der Erwerbsarbeit kann eine wirkliche Freiheit zur Arbeit/Tätigkeit gelingen.

Der Autor ist Referent im Grundsatzreferat der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (KAB)

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