Kolumne: Grundeinkommen: Aus der Traum?

Von Ursula Nothelle-Wildfeuer
Foto: privat | Ursula Nothelle-Wildfeuer.
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Die Schweiz hat abgestimmt: Keine 2 500 Franken, also etwa 2 260 Euro, pro Monat für jeden Erwachsenen – ohne zu arbeiten und ohne Bedürftigkeit nachzuweisen. 78 Prozent der Wähler und Wählerinnen sprachen sich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommens aus – gegen eine Idee, deren Mütter und Väter sich gern auf Thomas Morus berufen. Der jedoch fordert zwar einerseits bedingungslose staatliche Zahlungen, aber spricht andererseits auch von einer strengen Arbeitspflicht. Als Gewährsmann für ein bedingungsloses Grundeinkommen taugt er nicht.

Dennoch: Das Ergebnis in der Schweiz stimmt die Befürworter dort durchaus optimistisch, denn sie sehen in den gut 20 Prozent Zustimmung erst einmal Bestärkung für die Debatte in ganz Europa – hier zeigen Umfragen eine Zustimmung von 64 Prozent für das Modell. Freilich sind die Motive, die zu einer Zustimmung führen, sehr unterschiedlich: Bei den Linken erwartet man sich von der Gewährung eines bedingungslosen Grundeinkommens ein würdiges Leben für diejenigen, die bislang am Rande der Gesellschaft stehen; die Liberalen erhoffen sich mehr Selbstbestimmung und Freiheit, und Wertkonservative sehen darin eine Chance für Familie und Kinder.

Im Hintergrund steht die These von Hannah Arendt vom Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft. Aufgrund der wachsenden Automatisierung und Digitalisierung gehe der Gesellschaft die Arbeit aus, sodass mit einem wachsenden Heer von Arbeitslosen zu rechnen sei. Mittel- und langfristig müsse die Gesellschaft ihre sozialen Sicherungssysteme vom Erwerbseinkommen abkoppeln. Daneben wird das bedingungslose Grundeinkommen sozialethisch auch als Instrument zur Armutsbekämpfung gewürdigt. Das Grundeinkommen, so seine Befürworter, werde der unbedingten Würde des Menschen gerecht – allein schon durch den Wegfall der oft als entwürdigend empfundenen Bedürftigkeitsprüfung im bisherigen sozialstaatlichen Hilfesystem sowie auch durch Befreiung aus „knechtenden Arbeitsbedingungen“. Zudem würden somit andere Formen der Arbeit endlich gesellschaftlich ermöglicht und angemessen berücksichtigt. Auch längere Weiterbildungsphasen seien dann möglich. Selbst aus ökonomischer Perspektive ergäben sich Vorteile.

Es gibt mehrere, auch finanziell unterschiedlich ausgestaltete und politisch unterschiedlich weit konkretisierte Modelle. Die Ideengeber kommen aus sehr verschiedenen politischen Lagern, manche entwickeln ihr Modell in dezidiert christlicher Ausrichtung. Allen Modellen ist jedoch gemeinsam, dass sie wohl nur finanziert werden können, wenn die ausgezahlte Summe niedriger oder die Steuerbelastung höher wird. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Wertschöpfung sinkt, dass somit das Grundeinkommen gesenkt werden muss beziehungsweise dass es bei Erhöhung der Steuer an Wert verliert. Die Entwicklung der Preise ist nicht absehbar. Zudem: Wer würde die einfachen Arbeit noch erledigen wollen, wenn man auch mit weniger oder ganz ohne Arbeit seinen Lebensunterhalt bekäme?

Aber auch grundsätzliche Bedenken stehen im Raum: Aus der Perspektive des sozialethischen Grundprinzips der Subsidiarität gilt, dass jeder das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe und auch die primäre Verpflichtung hat, für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Braucht es für das Gelingen von Gesellschaft nicht auch das Einlösen der Verpflichtung eines jeden, seinen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten? Und bedeutet Beteiligungsgerechtigkeit nicht neben der Verpflichtung der Gesellschaft, jedem einzelnen Partizipation zu ermöglichen (dem würde das Grundeinkommen Rechnung tragen), doch auch das Bemühen darum, selber seinen Beitrag zu leisten? Zudem – und hier kommt das Solidaritätsprinzip ins Spiel – besteht die Gefahr des „Missbrauchs“, das heißt Solidarität einseitig als Empfangen von Leistungen der Gesellschaft, nicht aber auch als Erbringen von Leistungen für die Gesellschaft zu verstehen. Bei den Befürwortern unter den Sozialethikern geht es nicht primär um eine auf die Menschenwürde bezogene, normative Argumentation, sondern vorrangig pragmatisch begründet um die Transparenz und Funktionstüchtigkeit des Systems.

Damit wird deutlich: Im Kern geht es um die Frage, ob eine grundlegende Systemänderung, eine Neukonstruktion oder eher ein Umbau des Bisherigen die richtige Antwort auf die drängenden Probleme der Zeit ist. Aus sozialethischer Perspektive liegt für mich die Antwort nahe: Der Blick auf die vergangenen Jahrzehnte macht deutlich, dass unser Sozialstaatssystem, dass die Soziale Marktwirtschaft – bei allen Schwächen – ein solides und tragfähiges Fundament für eine demokratische Gesellschaft bildet. So scheint es mir realitätsnäher und überzeugender, die existierenden Instrumente sozialer Sicherung weiterzuentwickeln und damit die Ziele, die mit der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens verbunden sind, passgenauer anstreben und auch erreichen zu können.

Ursula Nothelle-Wildfeuer ist Professorin für Praktische Theologie mit dem Arbeitsbereich Christliche Gesellschaftslehre an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

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