Die Würde des Menschen ist unantastbar und aus ihr leitet sich die rechtliche Gleichstellung ab. Aus dieser rechtlichen Gleichheit kann aber nicht auch eine ökonomische Gleichheit folgen. In der gegenwärtigen Genderdebatte verschwimmen teilweise die rechtliche und die ökonomische Perspektive. Die Begriffe „Würde“ und „Wert“ haben ihren eigenen Charakter und dürfen im Grundsatz nicht verwechselt werden. Schon Immanuel Kant hat in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten formuliert: „Der Mensch hat Würde, nicht Wert“. Die Würde ist der rechtlichen Ebene zuzuordnen, der Wert der ökonomischen. Die rechtliche Perspektive ist durch Gesetz und Rechtsprechung bestimmbar, die ökonomische ist dagegen grundsätzlich offener. Hierfür steht Friedrich A. von Hayek mit seinem „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“. Der Widerstreit ist systematisch angelegt, auch weil bei grundsätzlicher Offenheit und Unabhängigkeit des Marktes ein Punkt erreicht werden kann, bei dem die rechtliche Gleichheit, die Würde, bedroht sein kann. Hier ist der Mindestlohn anzuführen, der die Bedrohung der rechtlichen Würde durch einen zu geringen Wert im Markt verhindern soll. Würde und Wert können nicht ganz getrennt werden, sind aber doch eigenständig.
Was ist gleich?
Nur wo ist der Kipppunkt, der ein Eingreifen in den Markt rechtfertigt? Für gleiche Arbeit soll das gleiche Gehalt gezahlt werden. Aber was ist Gleichheit? Eine Pilatus-Frage. Schon Aristoteles hat in seiner Nikomachischen Ethik die arithmetische (absolute) Gleichheit von der geometrischen (relativen) Gleichheit unterschieden. Diese Differenzierung geht in der aktuellen Gleichheitsdebatte unter. Wert und Würde werden in der Gleichheitsdiskussion inzwischen fast nur noch in Bezug auf das Geschlecht aufgegriffen. Vernachlässigt wird, dass Dienstleistungsberufe in der Regel eine geringere Produktivität aufweisen und deshalb schlechter bezahlt werden können. Und Frauen haben in diesem tertiären Sektor einen höheren Anteil als Männer. Gehaltsunterschiede zum industriellen Sektor sind deutlich, in dem Männer deutlicher repräsentiert sind. Nur liegt die Ursache der Gehälter-Differenzierung am Geschlecht? Wohl nur in geringerem Maße. Die rechtliche Sphäre verdrängt immer mehr die des Marktes mit seiner größeren Offenheit – hierfür stehen gerichtlich erhobene Einschränkungen bei Gehaltsverhandlungen. Trittbrettfahren wird gefördert.
Ein geometrisches Gleichheitsmodell
Beim Fokus auf das Geschlecht liegt eine Wahrnehmungsverzerrung vor, wenn völlig unberücksichtigt bleibt, dass Männer gegenüber Frauen eine kürzere Lebenserwartung haben und damit deren Rentenbezugsdauer geringer ist als die bei Frauen – auch unabhängig vom früheren Renteneintrittsalter bei Frauen. Hier liegt ein geometrisches Gleichheitsmodell vor, beim Gehalt aber ein arithmetisches und damit absolutes. Die Gleichheitsdiskussion darf nicht verkürzt werden.
Der Autor ist Vorsitzender der Joseph-Höffner-Gesellschaft für Christliche Soziallehre. Die Kolumne erscheint in Kooperation mit der KSZ.
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