Das Gesundheitssystem ist in der Krise. Im unterfränkischen Schweinfurt fehlen beispielsweise 1, 5 Kinderarztstellen. Sie sind unbesetzt und die Praxen in der näheren Umgebung sind aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage, neue Patienten bei sich aufzunehmen. So werden zum Beispiel Impfungen, gerade für Familien, die neu zuziehen, zum Problem. „Wir würden einem Kollegen einen Dukatenesel vor die Tür stellen, er müsste nichts weiter tun, als sich um seine Patienten zu kümmern. Aber wir finden niemanden“, beschreibt der Chef eines Ärzteteams bei einer Veranstaltung mit dem bayerischen Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek, in Schweinfurt die Lage.
Der Fachärztemangel weitet sich zur Versorgungskrise aus. „Es fehlt im gesamten Gesundheitswesen an Ärzten und ärztlicher Arbeitszeit, egal, ob im haus- oder fachärztlichen Bereich“, so der Präsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, Uwe Ebmeyer. „Etwa ein Drittel der Ärzte sind 60 Jahre alt und werden in den nächsten Jahren nicht mehr für die Versorgung zur Verfügung stehen.“ Dazu steige der Bedarf an Ärzten dadurch, dass der Anteil an Teilzeittätigen in der Ärzteschaft steige.
Für Sachsen-Anhalt ergebe sich ein Bedarf von etwa 420 bis 440 jungen Ärzten pro Jahr. Dieser Bedarf sei mit den durchschnittlich 370 Absolventen beider medizinischer Fakultäten in dem Bundesland nicht zu decken. Der Umstand, dass zwei Jahre nach dem Medizinstudium nur gut 40 Prozent der Absolventen noch in Sachsen-Anhalt ärztlich tätig sind, frustriert Ebmayer. Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung bedürfe eines gemeinsamen Kraftakts.
Ärzte arbeiten am Limit
„Es ist fünf vor zwölf – die Praxen in Deutschland arbeiten längst über dem Limit. Deshalb fordern wir die Politik auf: Halten Sie Ihre Versprechen und handeln Sie endlich! Verhindern Sie das Aus der ambulanten Versorgung“, macht der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Andreas Gassen deutlich. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen seien immer weniger Menschen bereit, in einer Praxis zu arbeiten. „Wenn sich nicht bald etwas ändert, geht in den Praxen das Licht aus“, so der KBV-Chef. „Wenn die Politik jetzt nicht handelt, sondern im Ankündigungsmodus beziehungsweise im Wegschauen verharrt, droht ein Ausbluten der patientennahen ambulanten Versorgung, wie wir sie kennen“, sagte Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV. Die Mitglieder der KBV-Vertreterversammlung fordern eine tragfähige Finanzierung der ambulanten Versorgung. „Seit Jahren werden die Praxen kaputtgespart und mit faktischen Minusrunden abgespeist“, so Hofmeister. Auch mit der Budgetierung müsse endlich Schluss sein, damit alle erbrachten Leistungen der Praxen in Gänze bezahlt würden.
Auch die Ärzte in Sachsen-Anhalt fordern von der Politik bessere Rahmenbedingungen. „Wir brauchen mehr Ärzte und daher auch mehr Medizinstudienplätze. Nicht nur zugesichert im Koalitionspapier oder gesagt gegenüber den Medien, sondern umgesetzt in die Tat“, fordert Ebmeyer. „Es kann nicht sein, dass ein Mehr an Leistungen eine Quotierung der Vergütung zur Folge hat. Ganz zu schweigen von den steigenden Praxis-, Personal- und Investitionskosten, die ausgeglichen werden müssen.“
Bedarfszahlen anpassen
Der Ärztemangel treibt auch Klaus Holetschek um. Aus Berlin werde zwar immer das Lied der Über- oder der Regelversorgung gesungen. Schaue man auf die Realitäten, gerade auch im ländlichen Raum, so werde deutlich, dass man die Bedarfszahlen anpassen müsse, um den tatsächlichen Mangel abzubilden. Im Freistaat Bayern versuche man mit unterschiedlichen Programmen, dem Problem Herr zu werden. So hat die Landesregierung 2 700 neue Medizinstudienplätze geschaffen und legt einen Schwerpunkt auf die Gewinnung von Notärzten und Landärzten. „Immer weniger Mediziner sind bereit, sich als Vertragsarzt, vor allem in ländlichen Gebieten, niederzulassen“, beschreibt die kassenärztliche Bundesvereinigung das Problem auf ihrer Homepage. Vor allem niedergelassene Ärzte im hausärztlichen Bereich hätten Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden. Gleichzeitig würden viele Ärzte ihre Aus- und Weiterbildung nicht in den Fachgebieten abschließen, die für eine flächendeckende ambulante Versorgung der Bevölkerung benötigt würden. So gerate die flächendeckende Rund-um-die-Uhr-Versorgung in Gefahr. Die Nachfrage nach ärztlicher Versorgung werde, so die KBV in einer Modellrechnung, bis zum Jahr 2030 moderat ansteigen, das ärztliche Angebot werde jedoch sinken.
Die Ärzteschaft sei Treiber der Modernisierung und nicht deren Bremser, wie es immer wieder kommuniziert werde, erläutert KBV-Vorstandsmitglied Sibylle Steiner. Erforderlich sei ein Praxiszukunftsgesetz, das die erforderlichen Investitionen der Praxen in ausreichend getestete, nutzerfreundliche und funktionstüchtige Technik kostendeckend absichere.
Die KBV-Vertreter fordern daneben einen konsequenten Bürokratieabbau. Die Medizin müsse wieder im Mittelpunkt stehen und nicht der Papierkram. „Wir brauchen mehr Menschen am Bett der Patienten und nicht am Kugelschreiber“, fordert auch Klaus Holetschek. Darüber hinaus wollen die Kassenärzte einen Wegfall der medizinisch unsinnigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen erreichen: „Die Arzneimittelregresse müssen weg!“
Auch Fachpersonal fehlt
Der Personalmangel im Medizinsektor betrifft aber nicht nur die Ärzte, sondern das medizinische Fachpersonal insgesamt. Um dem Fachkräftemangel in Arztpraxen entgegenzuwirken, hat die CSU-Fraktion im bayerischen Landtag gemeinsam mit den Freien Wählern im Rahmen eines gezielten Antragspakets von der Staatsregierung gefordert, den Beruf der Medizinischen und Zahnmedizinischen Fachangestellten zu reformieren und aufzuwerten. Das erklärte Ziel ist dabei, mehr medizinisches Fachpersonal zu gewinnen und dieses auch länger im Beruf zu halten. Dazu sollen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten verbessert, das betriebliche Gesundheitsmanagement ausgebaut und attraktive Teilzeit- und Arbeitszeitmodelle geschaffen werden. „Wir müssen handeln und alle Register ziehen, um mehr Menschen für diese so wichtigen Berufe zu begeistern und die Arbeits- und Rahmenbedingungen so attraktiv wie möglich zu gestalten“, erläutert der gesundheitspolitische Sprecher der CSU-Fraktion, Bernhard Seidenath.
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