Kolumne

Es ist der Gaspreis, Dummkopf

Zum Sozialstaat gehört auch der „Preis“, schon aus Gründen der Gerechtigkeit.
EU-Kommission - Vorschlag für gemeinsame Gaseinkäufe
Foto: Marijan Murat (dpa) | Verbraucher zittern im Winter nicht nur vor Kälte sondern auch in Sorge um die Gasrechnung.

It´s the economy, stupid“ – „Es ist die Wirtschaft, Dummkopf”. Das war der Wahlkampfslogan von Bill Clinton im Jahre 1992. Er gewann die Präsidentenwahl, unterstützt von diesem Slogan, der selbst Karriere machte. In diesen Krisenzeiten des Gasmangels sollte dieser Spruch noch konkretisiert werden: „Es ist der Preis, Dummkopf.” Der Preis hat mehrere Funktionen: mit ihm können Vergleiche durchgeführt werden und er ist auch ein Indikator für Gütermangel. Der Preisindikator wurde selbst in großen Studien nicht hinreichend gesehen: 1972 rüttelte der „Club of Rome“ mit seiner Studie „Die Grenzen des Wachstums" die Welt auf. Das dort angegebene Untergangsszenario trat aber so nicht ein, da die kommenden steigenden Preise (insbesondere im Ölsektor) Substitutionseffekte und Vermeidungsstrategien auslösten, die die Wirtschaft in eine andere Richtung steuerten. Diese (Um-)Steuerung war aus ökonomischer und ökologischer Perspektive notwendig und sinnvoll. Die Erfahrungen aus den Ölkrisen der 70er und 80er Jahre haben z.B. in der Automobilwirtschaft zu einem Investitionsimpuls geführt. Die Not machte erfinderisch – erfolgreich.

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Zwischen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit

In diesen Wochen ist der Preis als Indikator und zur Steuerung des Verhaltens im Gasverbrauch wichtig. Der Staat will vor zu hohen Gaskosten schützen und dabei zugleich eine soziale Seite zeigen. Es bieten sich grundsätzlich zwei theoretische Wege an: Entweder der Staat übernimmt zum Beispiel eine Monatsausgabe an Gaskosten (Abschlagskosten) vollständig – damit verliert für diesen Zeitraum der Preis seine Indikator- und Steuerungsfunktion. Zu berücksichtigen ist nur, dass ein Abschlag nicht den konkreten Verbrauch des Monats enthält. Oder der Staat übernimmt einen (reduzierten) Rumpfsockel des Gasverbrauchs auf seine Kosten und der Verbraucher zahlt „nur“ den Rest. Für diesen Rest bleibt aber der Preis mit seiner Indikator- und Steuerungsfunktion erhalten. Und damit bleibt ein Anreiz zum Sparen des Gases.

Das Deckeldilemma

Der Staat befindet sich in einem Dilemma von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit: positive Eigenschaften, die aber oft nicht linear zusammen, sondern konfliktreich verlaufen. Ein „Deckel“ für Gaspreise mag barmherzig wirken, aber hier verschwindet der „Preis“ mit seinen Funktionen. Ein Deckel schließt ab und wie bei einem Kochtopf mit Deckel steigt der Druck im Inneren. Der Druck bleibt und wird an sich nicht vermindert. Ein Deckel verdeckt damit die Wirkung eines steigenden Druckes. Eine mehr gerechtigkeitsorientierte Version würde den Preis mit seinen Funktionen einbeziehen: einen Sockel des Verbrauchs übernimmt der Staat, der darüber hinausgehende Verbrauch bleibt in eigener Verantwortung. In der EU existiert die gleiche Diskussion. Ein „Deckel“ kann verführen, weil der Preis „unsichtbar“ bleiben kann. Eines ist aber wichtig: zum Sozialstaat gehört auch der „Preis“, schon aus Gründen der Gerechtigkeit.

Der Autor ist Vorsitzender der Joseph-Höffner-Gesellschaft. Die Kolumne erscheint in Kooperation mit der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach.

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