Paderborn

Eine Wirtschaft, die nicht tötet

Die pauschale Kritik an der Wirtschaft in der Enzyklika „Fratelli tutti“ reizt zum Widerspruch. Eine soziale Marktwirtschaft macht lebendig, weiß unser Autor Peter Schallenberg.
Joseph Höffner wusste um die Bedeutung der Schule von Salamanca
Foto: KNA | Joseph Höffner wusste um die Bedeutung der Schule von Salamanca für die Soziale Marktwirtschaft.

Am vergangenen Sonntag war in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, im Wirtschaftsteil, ein bemerkenswerter Artikel mit der Überschrift „Der Kardinal aus Köln“ von Rainer Hank, katholisch und gebildet und verantwortlich für das Wirtschaftsressort in der FAS, zu lesen. Eine Polemik, wie er selbst schreibt, gegen die neue Enzyklika von Papst Franziskus „Fratelli tutti“, mit scharfer und intelligenter Feder verfasst. Schon zwei Wochen vorher hatte er in der FAS eine erste heftige Kritik an der Enzyklika veröffentlicht, unter dem bezeichnenden Titel „Aus der Kirche austreten?“

Rainer Hank stört sich an der pauschalen Kapitalismuskritik von Papst Franziskus in der neuen Enzyklika und auch in anderen seiner Äußerungen. Das ist bekannt spätestens seit dem berühmten Satz von Franziskus aus seinem ersten großen Lehrschreiben „Evangelii gaudium“: „Diese Wirtschaft tötet!“ und solche pauschale Kritik am Kapitalismus westlicher Art ist höchst ärgerlich und auch unwissenschaftlich, denn gerade durch eine solche Marktwirtschaft des freien Handels und des Wettbewerbs sind in den letzten 70 Jahren nach dem Ende des 2. Weltkriegs und dem Koreakrieg Millionen von Menschen aus bitterer Armut zu Wohlstand und Eigentum und menschenwürdigem Leben gelangt.

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Das freie Spiel der Märkte

Milde gestimmt könnte man sagen: Jede Wirtschaft tötet, am meisten der totalitäre Kommunismus, am wenigsten aber eine regelorientierte Marktwirtschaft, die nicht einfach dem freien Spiel des Marktes und der Kapitaleigner vertraut, sondern die eingebettet ist in einen Ordoliberalismus. Eine Ordnung der menschlichen Freiheit im Wirtschaftsleben, eine Ordnung des Marktes und der Eigeninteressen, eine Ordnung des Wettbewerbs und ein Verbot von Kartellen, eine Gesetzgebung zum Schutz der Kleinsparer und Eigentümer und Mieter, eine Versicherung auf Solidarität für Arbeitslose und Rentner und Kranke und Pflegebedürftige. Der Markt an sich ist nur ein Anfang, mehr nicht, er ist blind für viele Bedürfnisse von Menschen, die das Leben erst lebenswert machen.

„Wenn du vollkommen den Armen helfen willst, geh und kaufe und verkaufe und produziere und vervielfache deine Talente und so werden auch die Armen reich.“

Weniger milde gestimmt mit Blick auf den Papst und seine neue Enzyklika: Diese Wirtschaft tötet überhaupt nicht, diese Soziale Marktwirtschaft, oder wie Papst Johannes Paul II. das in der berühmten Nr. 42 seiner großartigen Sozialenzyklika „Centesimus annus“ von 1991 nennt: „Unternehmenswirtschaft“, die in eine feste Rechtsordnung eingebunden ist. Man mag Papst Franziskus zugute halten, dass er das aus seiner Heimat Argentinien und überhaupt aus Lateinamerika kaum oder gar nicht kennt, aber er könnte und kann und muss es zur Kenntnis nehmen in der Europäischen Union, die sich im Vertrag von Lissabon ausdrücklich zum Modell der Sozialen Marktwirtschaft bekennt.

Verteidiger der Marktwirtschaft

Zurück zu Rainer Hank. Zu Recht macht er aufmerksam auf Joseph Höffner (1906–1987), der nach Jahren als Professor in Münster und danach als Bischof dort und als Erzbischof und Kardinal in Köln ein unermüdlicher Verteidiger der Sozialen Marktwirtschaft war. Gerade weil er um die katholischen Wurzeln dieser Art von Kapitalismus wusste, nämlich die Schule von Salamanca im 16. und 17. Jahrhundert in Spanien, die von den spanischen Königen beauftragt wurde, ein Regelwerk für den seit der Entdeckung Amerikas 1492 mächtig in Schwung kommenden Handel – zum ersten Mal eine Art von Welthandel – zu erstellen.

Ergebnis war die Erarbeitung des modernen Völkerrechts und der Menschenrechte zugunsten der zunächst willkürlich ausgebeuteten und unterdrückten Indios. Zweites Ergebnis waren umfangreiche Überlegungen zum erlaubten Handel und Gewinnstreben. Nicht mehr der Satz aus dem Evangelium „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkaufe alles, was du hast und gib das Geld den Armen“ war jetzt noch leitend, sondern fast im Gegenteil: „Wenn du vollkommen den Armen helfen willst, geh und kaufe und verkaufe und produziere und vervielfache deine Talente und so werden auch die Armen reich.“ In Deutschland ist diese großartige Idee der Schule von Salamanca und ihre Bedeutung für den modernen Kapitalismus, ebenbürtig zu Adam Smith und Max Webers protestantischer Arbeitsethik, leider fast vergessen.

Nicht nur ein Almosen geben

Aber Hank vergisst leider auch etwas: Auch die Schule von Salamanca hatte Vorläufer, besonders die franziskanischen Wanderprediger des 14. und 16. Jahrhunderts, die das Wort Kapitalisten erfanden (von lateinisch „caput“, Kopf), mit dem sie die reichen Besitzer vieler Schafsköpfe und großer Herden bezeichneten, und diese aufforderten und durch Gründung der ersten Banken anreizten, den Armen nicht einfach Almosen und Brosamen zu geben, sondern Gelegenheit zur Arbeit und zu eigenem Vermögen. Bernhardin von Siena war sicher der berühmteste dieser Prediger im Geiste des hl. Franz von Assisi. Gewinnstreben ist nicht an sich böse, sondern liegt dem von Gott geschaffenen Menschen im Blut und in der Natur und kann dem Mitmenschen sehr nützlich sein. Gerecht geordneter Handel schafft Wohlstand für alle: Das genau ist seit der franziskanischen Schule die Idee der Marktwirtschaft, die sozial ist, weil sie Menschen in geordneter Freiheit zusammenbringt. Und solche Wirtschaft tötet nicht, sondern macht sehr lebendig.

Der Autor ist Direktor der Katholischen-Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach.

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