„Wenn seelische Krankheit zum Makel wird“ – unter diesem Titel hielt am 12. Juli Professor Jochen Sautermeister, der Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Bonner Universität lehrt, die diesjährige Höffner-Vorlesung. Die Veranstaltung wird von der Joseph Höffner-Gesellschaft durchgeführt, die sich zur Aufgabe gemacht hat, das wissenschaftliche Werk des ehemaligen Kölner Erzbischofs zu pflegen und dessen Relevanz für aktuelle Probleme aufzuzeigen. Die gesellschaftliche Bedeutung des Vorlesungsthemas machte Sautermeister anhand gesundheitsstatistischer Befunde ansichtig: Psychische Erkrankungen können nicht einheitlich definiert werden. Sie zählen aber zu denjenigen Krankheitsgruppen, die die höchsten volkswirtschaftlichen Kosten – 2015 13,1 Prozent der gesamten Krankheitskosten – verursachen. Die Zahlen zur Diagnosehäufigkeit sowie zu Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung aufgrund psychischer Erkrankungen steigen seit Jahren. Hinter diesen Daten steht das Leid der Betroffenen und ihrer Angehörigen.
Verstärkt wird es durch die Erfahrung von Stigmatisierung als einer „zweiten Krankheit“, so Sautermeister. Vorurteile, Schuldzuweisungen und Diskriminierungen: Krankheiten wie Depressionen, Schizophrenie oder Angststörungen haftet ein Makel an. Betroffene werden zu „Stigma-Opfern“, auch indem sie die Vorurteile auf sich selbst beziehen. Die Folgen reichen in einigen Fällen von Arbeitsplatzverlust und gesellschaftlicher Ausgrenzung bis hin zu einem erhöhten Suizidrisiko. Auch werden die Chancen zur Heilung der eigentlichen Krankheit durch das Stigma beeinträchtigt. Und als wäre das nicht schon genug, kann eine „moralische Stigmatisierung“ der Betroffenen hinzutreten.
Und Höffner? In seinem Lehrbuch „Christliche Gesellschaftslehre“ hat dieser bereits auf die Bedeutung von medizinischer Prävention und Rehabilitation im Sinne von „Hilfe zur Selbsthilfe“ hingewiesen, stellte Sautermeister den Bezug zum Werk Höffners her. Auch ein weiterer Aspekt macht die sozialethische Relevanz des Themas deutlich: Es geht um „subsidiäre Solidarität“ im Hinblick auf das Menschenrecht auf bestmögliche medizinische Versorgung, mithin um die klassische Frage nach Gerechtigkeit. Sautermeister, seit diesem Jahr auch Vorstandsmitglied der Höffner-Gesellschaft, ist es ein Anliegen, das Werk Joseph Höffners in diese Richtung konstruktiv weiterzudenken.
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