Kolumne

Der überforderte Staat

Der Staat ist die die Gemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir Leistungen wie das 9-Euro-Ticket bewerten.
Bahnsteige sind wieder leerer
Foto: photoauszeit/wu | Die Bahnsteige sind wieder leerer. Das 9-Euro-Ticket ist Geschichte. Sind solche Leistungen im Sozialsystem angemessen und vertretbar?

Wer sich heute gegen das 9-Euro-Ticket ausspricht oder gegen Corona-Hilfen, den Tankrabatt oder gegen Einmalzahlungen bei Arbeitslosengeld oder Sozialleistungen, erntet harsche Kritik. Wenn der Staat Gelder vergibt, wird dies gerne angenommen und ist bald selbstverständlich. Dass der Staat jedoch die Gemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger ist, wird dabei schnell vergessen. Nur das, was den einen genommen wird, kann den anderen gegeben werden. Schon jetzt beträgt der Anteil der Sozialausgaben am Haushalt des Bundes deutlich über 50 Prozent. Nötige Investitionen in die klassische Infrastruktur, wie zum Beispiel in die Bahn oder in moderne digitale Netze bleiben schon seit Jahren aus. Wenn dies so fortgeführt wird, schaffen wir eine Gesellschaft, die staatliche Alimentierung gewohnt ist. Zugleich verlieren wir bei den Rahmenbedingungen, die ein Staat schaffen muss, wie unter anderem Schulen und Hochschulen, moderne Netze, ein leistungsfähiges Gesundheitssystem, eine effiziente Verwaltung oder starke Sicherheitsbehörden, den Anschluss.

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Kernaufgaben des Staates

Helfen wird hier nur eine Rückbesinnung auf das Prinzip der Subsidiarität, wie es insbesondere in der katholischen Soziallehre entwickelt wurde. Der Staat hat zuerst einmal seine Kernaufgaben zu erbringen: Sicherung der staatlichen Integrität durch Bundeswehr, Polizei und den Zivil- und Katastrophenschutz. Er ist für die Infrastruktur und das Bildungs- und Gesundheitssystem verantwortlich und muss dem Bürger eine effiziente Verwaltung eröffnen. Für die Unterstützung des Einzelnen ist dieser aber zuerst einmal selbst verantwortlich, dann die Familie und dann die Gemeinschaft. Auch die vielen caritativen Einrichtungen gehören zu diesem Hilfsangebot dazu und haben traditionell viele der Angebote getragen, die der Staat immer mehr an sich zieht. Durch die stärkere Berücksichtigung der Subsidiarität würde auch das sozialethische Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe stärker betont und die Abhängigkeit von staatlicher Alimentierung zurückgedrängt.

Auf Subsidiarität besinnen

Doch wie kann dies gelingen? Zuerst benötigen wir eine schonungslose Aufgabenkritik und Priorisierung der Staatsaufgaben. Als zweites müssen wir unsere Sozialleistungen hinterfragen. Warum benötigt der Student mit Semesterticket oder die Studiendirektorin oder die Bundestagsabgeordnete ein von allen steuerfinanziertes 9-Euro-Ticket? Beispiele ließen sich endlos anführen. Als dritte und schwierigste Aufgabe müssen wir Festlegungen, wie das Renteneintrittsalter hinterfragen. Wenn ein durchschnittliches Arbeitsleben nicht ausreicht, um die eigene Rente zu finanzieren, helfen auch keine Zuschüsse aus Steuern. Es geht nur mit der schrittweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters. Die Fantasie von bedingungslosen Transferzahlungen muss wieder dem Prinzip „fördern und fordern“ weichen. All dies führt nicht zu Beifall, aber ist dringend notwendig, denn der Staat muss nicht überfordert sein. Aber nur dann nicht, wenn er sich wieder auf seine ureigensten Aufgaben beschränkt und die Bürger nicht gänzlich in seine Abhängigkeit bringen will.

Der Autor ist stellvertretender KKV-Bundesvorsitzender. Die Kolumne erscheint in Kooperation mit Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ).

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