In einem aktuellen Positionspapier über den Betrieb als sozialen Ort beschreibt der Rat der Arbeitswelt, wie sich das soziale Miteinander im Betrieb durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verändert hat. Gleichzeitig gibt das interdisziplinär aufgestellte Expertengremium, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Januar 2020 öffentlich vorgestellt wurde, eine Reihe von Handlungsempfehlungen für die gemeinschaftliche Gestaltung der betrieblichen Arbeitswelt.
Die Verbreitung des Corona-Virus, die dadurch erforderlichen Schutzmaßnahmen und ihre wirtschaftlichen Folgen hätten nicht nur die Konjunktur, sondern auch und gerade das betriebliche Handeln und Miteinander beeinflusst, so das Positionspapier. Es erinnert daran, dass in kürzester Zeit Arbeitsabläufe neu organisiert, Homeoffice-Möglichkeiten geschaffen und umgesetzt sowie Schichtpläne angepasst werden mussten, wo die Tätigkeit nicht zu Hause erledigt werden konnte. Wegen hoher Infektionsrisiken und zusätzlicher Hygieneanforderungen seien die umfangreichen Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes besonders für personenbezogene und soziale Dienstleistungen relevant.
Innovationen und Miteinander werden ausgebremst
Dass es bei den konkreten Auswirkungen auf die Betriebe um mehr als die gebremste Volkswirtschaft geht, verdeutlicht Professor Dr. Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) und Mitglied des Rats: „Betriebe sind nicht nur Arbeitsstätten, sondern auch Orte der Begegnung, des Austausches, des sozialen Miteinanders. Die Covid-19-Pandemie hat uns dies sehr drastisch vor Augen geführt, gerade weil aus Infektionsschutzgründen in vielen Betrieben das soziale Miteinander nicht mehr wie zuvor gelebt werden konnte. Auch das produktive Miteinander hat gelitten, weil Innovation und Kreativität auch und gerade vom direkten Austausch profitieren.“
Durch den Anstieg des ortsflexiblen Arbeitens als wichtigem Instrument zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs und der Kontaktreduzierung im Pandemiemanagement wurden persönliche Begegnungen unter den Beschäftigten deutlich verringert. Diese Entwicklung betraf nicht nur Großbetriebe, sondern auch Bereiche wie soziale Beratungsdienstleistungen, in denen zuvor fast ausschließlich die persönliche Interaktion als Regel galt.
Während die Betriebe in dem Angebot der teilweisen Arbeit von zu Hause aus das Potenzial für Personalreduzierung und -bindung sähen, schätzten Beschäftigte reduzierte Pendelzeiten sowie die Möglichkeit, flexibler auf private Anforderungen wie zum Beispiel Sorgeaufgaben reagieren zu können, hebt das Positionspapier unter Berufung auf Forschungsberichte hervor. Es benennt auch wesentliche Nachteile ortsflexiblen Arbeitens. Vor allem Eltern hätten ihre Arbeitszeiten mit möglicherweise langfristigen Folgen für ihre Gesundheit auf ungünstige Zeiten verlagert. Die vermehrte Nutzung digitaler Kommunikation gehe mit neuen Belastungen wie Bewegungsmangel oder der sogenannten „Zoom-Fatigue“ einher. Laut Studien würden Zeitdruck, Entgrenzung und beschränkter Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen von mobil arbeitenden Beschäftigten verstärkt wahrgenommen und negativ bewertet.
Homeoffice verändert viel
Professor Walwei bestätigt diesen Befund: „Aus der Beschäftigtenperspektive betrachtet ist zu sagen: Zu Hause zu arbeiten, ohne die vielen Kontakte zu den Kolleginnen und Kollegen, ändert eine Menge. Wenn Arbeitsbesprechungen digital statt an einem gemeinsamen Ort stattfinden, ist die Atmosphäre eine völlig andere. Ausschließliches Arbeiten im Homeoffice kann für die Beschäftigten belastend sein, und das nicht nur, wenn zu Hause kein ruhiger Ort für das Arbeiten zur Verfügung steht. Das ständige Arbeiten am Bildschirm und eine Flut von virtuellen Terminen kann anstrengend sein. Für den täglichen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen sind digitale Formate nur ein schwacher Ersatz.“
Auch in rechtlicher Hinsicht ist längst nicht alles geklärt. Das Positionspapier verweist auf die Regelung der Telearbeit durch die Arbeitsstättenverordnung, die Regelungen für mobiles Arbeiten und das Homeoffice etwa im Hinblick auf die Ergonomie seien aber wesentlich weniger konkret. Von daher hatte der Rat der Arbeitswelt bereits im ersten Arbeitsweltbericht im Mai 2021 auf der Grundlage der Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis sowie wissenschaftlicher Studien gefordert, der Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben entgegenzuwirken.
Klare Regeln für die hybride Arbeitswelt
Um das Potenzial des hybriden Arbeitens nutzen zu können und negative Folgen zu verhindern, empfiehlt er wiederum ausdrücklich, betriebliche und gegebenenfalls gesetzliche Regelungen für das mobile Arbeiten im Homeoffice zu treffen. Die Arbeit von zu Hause sollte stets freiwillig und mit der notwendigen technischen Ausstattung erfolgen. Die Verfügbarkeit digitaler Daten dürfe dabei nicht zu inakzeptabler Leistungs- und Verhaltenskontrolle führen. Arbeitszeiten und Erreichbarkeiten im Homeoffice müssten angemessen und verbindlich geregelt werden.
Nach Einschätzung von Ulrich Walwei werde das hybride Arbeiten „zu einem wichtigen Bestandteil der Arbeitgeberattraktivität“. Denn „Befragungen zeigen, dass sich viele Beschäftigte inzwischen gut vorstellen können, an zwei oder drei Tagen pro Woche zu Hause zu arbeiten und den Rest der Zeit im Betrieb. Auch wenn man alten Zeiten nachtrauern mag: Der Geist ist aus der Flasche. Es wird in vielen Fällen kein Zurück zu den Verhältnissen vor der Pandemie geben“. Das Homeoffice werde nicht im jetzigen Ausmaß bestehen bleiben. Viele Beschäftigte „kehren deshalb gerne zurück, weil sie während der Pandemie vor allem ihre Kolleginnen und Kollegen vermisst haben“.
Ort der Begegnung
Dazu passend lautet eine weitere Handlungsempfehlung des Rats der Arbeitswelt, den Betrieb als einen Ort der Begegnung, der Kommunikation und Zusammenarbeit durch die Erfahrungen der Pandemie auch im Kontext mobiler Arbeit zu stärken. Formalisierte Kontakte und Arbeitsanlässe ließen sich zwar durch mediatisierte Kontaktformen umsetzen. Die für den sozialen Zusammenhalt und die soziale Unterstützung wie für die Aus- und Weiterbildung von Beschäftigten essenzielle informelle Kommunikation werde nach Einschätzung von vielen Beschäftigten durch die mediale Kommunikation aber nur teilweise unterstützt. Daher gehe es darum, einen angemessenen Mix aus Präsenzbetrieb und ortsflexiblem Arbeiten anzustreben. In betriebliche und gesetzliche Regelungen für das mobile Arbeiten gehöre neben der Erörterung geeigneter Tätigkeiten, der gesundheitsgerechten Gestaltung der Arbeitsbedingungen auch die Verfügbarkeit betrieblicher Arbeitsplätze und eine angemessene Gestaltung gemeinsamer Präsenzzeiten. Des Weiteren mahnt das Positionspapier, dass produktives Arbeiten von zu Hause die verlässliche Übernahme privater Sorgearbeit durch Dritte voraussetze. Bei geschlossenen Kinderbetreuungseinrichtungen oder fehlenden Pflegeressourcen drohe eine Doppelbelastung von Eltern.
Gesundheitsschutz als Daueraufgabe
Nach Ansicht des Rats der Arbeitswelt hat die Pandemie offengelegt, dass der Gesundheitsschutz zur betrieblichen Daueraufgabe werden muss. Als weitere Herausforderung für die Zukunft nennt das Positionspapier schließlich die digitale, ökologische und demografische Transformation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt, bei der wie bei der Bewältigung der Corona-Krise investive, präventive und innovative Ansätze gefragt seien. So oder so steht fest: Die Corona-Pandemie wird (voraussichtlich) eines Tages der Vergangenheit angehören – ihre Auswirkungen jedoch werden bleiben.
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