X-mas“, „Fest der Liebe“, „Fest des Lichts“: Weihnachten wird inzwischen alles Mögliche genannt, was die christliche Prägung des Fests in den Hintergrund drängt. Denn viele Personen feiern zwar noch das Fest, an dem nach biblischer Überlieferung der Messias geboren wurde, aber glauben nicht mehr so richtig an dessen christliche Bedeutung. Oder sie ist ihnen schon gar nicht mehr bekannt. Doch was ist mit denen, die überzeugt an etwas anderes glauben? Wie begehen überzeugte Juden, Muslime und Atheisten diesen Tag? Wie fühlt es sich an, an einem Tag, an dem fast das ganze Land einen Festtag hat, nicht mitzufeiern?
Eigene Traditionen schützen
Alexander Chef ist praktizierender Jude und Jugendleiter der Shalom Europa Synagoge in Würzburg. Als in der Sowjetunion Aufgewachsener ist er es gewohnt, Weihnachten nicht zu feiern. Mit seiner Ankunft in Deutschland lernte er zwar die Tradition, des Weihnachtsfestes kennen, lehnte es aber wegen seines jüdischen Glaubens weiterhin ab. Denn für seine Gemeinde sei auch der Schutz der eigenen Traditionen wichtig: „Wir Juden sind eine kleine Gruppe, deswegen versuchen wir uns vor fremden Traditionen zu schützen und unsere eigenen Traditionen zu pflegen.“ Generell stoße er auf Verständnis dafür, dass er das Fest nicht feiere und auch keine äußere Symbolik wie den Kauf eines Christbaums pflege, doch manchmal schlägt ihm auch große Enttäuschung entgegen, da er die Traditionen hier nicht praktiziere. Für Chef ist aber die spirituelle Dimension wichtiger als die symbolhafte: „Ich finde den Gedanken schön, dass im Advent der Messias erwartet wird. Wir glauben auch im Judentum, dass der Messias jederzeit kommen kann, deswegen soll jeder Jude jederzeit bereit sein, alles zu verlassen und dem Messias zu folgen.“ Was macht man an einem Tag, an dem man nie arbeiten muss, wenn man selber aber nichts zu feiern hat? Juden aus Amerika hätten die Tradition eingeführt, an diesem Tag gemeinsam etwas zu unternehmen, wie Spiele zu spielen oder mit den Jugendlichen eine Filmenacht zu veranstalten. So solle zwar der Feiertag respektiert werden, aber auch eine Distanz dazu geschaffen werden.
Traditionen ohne Überzeugung leben
Die weihnachtlichen Traditionen teils zu praktizieren, aber sich dennoch von den christlichen Inhalten abzugrenzen, ist eine weitere Möglichkeit, als andersgläubige Person mit Weihnachten umzugehen. So pflegt es Samia Bhutta, Muslimin der Ahmadiyya-Gemeinschaft: „Ich finde es vollkommen in Ordnung, wenn zum Beispiel der Nikolaus in die Schule kommt, weil ich hier schließlich in einer christlich geprägten Gesellschaft lebe.“ Der Grundsatz ihrer Gemeinde sei, dass man christliche Traditionen auch ohne Überzeugung mitmachen dürfe, solange diese nicht dem muslimischen Glauben widersprechen würden. „Bei Weihnachtsliedern, die die Dreifaltigkeit behandeln, singe ich nicht mit. Aber wenn Geschenke gewichtelt werden oder man Kerzen auf dem Adventskranz anzündet, ist das nicht gegen meinen Glauben. Damit beispielsweise Kinder nicht ausgeschlossen werden, finde ich es gut, sich hier anzuschließen. Das fördert auch die Integration.“
Da Weihnachten zeitlich nah an Neujahr liegt, nutzten Personen aus ihrer Glaubensgemeinschaft auch den Jahreswechsel, um anderen Geschenke oder Karten zu überbringen. Denn ein Grundsatz der Ahmadiyya-Gemeinde sei auch, anderen Religionen Respekt entgegen zu bringen und Nächstenliebe zu leben. „Von unserer Gemeinde aus gibt es Grußkarten, die ich dann vor den Ferien in der Schule verteilt habe, und ich habe den anderen dann auch frohe Weihnachten gewünscht.“
Weihnachten zwar feiern, aber mit einer anderen Bedeutung: So geht der überzeugte Atheist Tobias Wolfram mit dem christlich geprägtem Fest um: „Aus der biblischen Perspektive ist es relativ beliebig, dass wir am 24., 25., 26. Weihnachten feiern. Denn soweit ich die theologische Position dazu kenne, ist es nicht unbedingt gegeben, dass Jesus – wenn überhaupt – in dieser Zeit geboren ist. Insofern ist die Festivität, die wir eigentlich zelebrieren, eine viel viel ältere: die Wintersonnwende.“ Daher fände er es fragwürdig, wenn man in der Jahreszeit nichts feiern könnte. In seiner Familie würden allerdings keine christlichen Traditionen mehr gepflegt. „Ich persönlich betrachte Weihnachten aus einem übergeordnetem Kontext einer lang andauernden Menschheitstradition. Mit welcher Bedeutung wir die Feier konkret aufladen, kann sich je nach Kulturkreisen stark unterscheiden.“ Deswegen gibt es in Tobias‘ Familie zwar noch einen Weihnachtsbaum und Geschenke, aber christliche Weihnachtslieder werden keine gesungen. Auch die Weihnachtsmesse besucht er mit seiner Familie nicht.
Die säkulare Wintersonnenwende
Da für den Ostdeutschen der christliche Hintergrund des Weihnachtsfests nicht relevant ist, feiert er in seinem Freundeskreis zusätzlich noch eine säkulare Wintersonnwendfeier. Dafür habe er mit seinen Freunden ein Zeremoniell entwickelt, in dem sie sich mit der Frage beschäftigen, warum die Sonnwende für die Menschheit von so großer Bedeutung ist, welche Gefahren, aber auch Hoffnungen diese Zeit für die Menschen früher mit sich brachte. Während dem Ark würden erst positive und nachdenkliche Texte verlesen, dann nach und nach das Licht gedimmt und die brennenden Kerzen gelöscht, bis alles dunkel sei. Die reale Dunkelheit, die sich über den Raum lege, in der Nacht am längsten herrscht und für die Menschen früher auch eine erschwerte Lebenssituation bedeutete, spiegele sich in den Gedichten und Texten wider, die sich damit auseinandersetzten, dass die Menschheit es langfristig vielleicht nicht schaffen könne, ihr Überleben zu sichern. Wie die Tage nach der Wintersonnwende wieder länger werden und die Überlebenschancen der Menschen früher damit auch wieder stiegen, so würden ähnlich wie in der Osternacht dann auch die Kerzen an den Lichtern der anderen entzündet und hoffnungsvollere Gedichte und Texte vorgelesen. Die Idee der säkularen Wintersonnwendfeier, die ursprünglich aus den USA kommt, soll aber kein bewusstes Statement gegen die christlichen Traditionen sein. „Wenn man sich nicht mehr mit den christlichen Traditionen identifizieren kann, dann hinterlässt das bei einigen Leuten eine gewisse Leere, denn dieses Bedürfnis nach etwas Höherem hört nicht zwangsläufig auf.“ Es gebe viele Leute, die, die Ideale der Gemeinschaft, der Zusammenkunft, des Nachdenkens und der Besinnlichkeit erfahren wollten, obwohl sie zu dem Schluss gekommen seien, dass die christliche Lehre nicht überzeugend sei. „Und das ist quasi ein Versuch, diese Sehnsucht bis zu einem gewissen Grad mit etwas Neuem zu füllen und eben in dieser historisch traditionell stark aufgeladenen Zeit der Wintersonnwende ein neues Ritual zu etablieren, bei dem man immer an eine alte Traditionslinie anknüpft und gleichzeitig für sich selbst diesen Moment der Einkehr schaffen kann.“
Auch wenn die christlichen Traditionen des Weihnachtsfestes immer öfter keine große Rolle mehr spielen, scheint doch die Sehnsucht nach dem Übernatürlichen, nach dem Transzendenten, nach dem Ewigen immer da zu sein. Wenn die christlichen Traditionen des Weihnachtsfestes nach und nach erodieren, stellt sich gezwungenermaßen wieder die Frage nach dem tieferen Sinn dieses Festes. Das Zurückdrängen der christlichen Kultur kann also auch eine Chance sein, dass man sich neu auf die Kernbotschaft des christlichen Weihnachtsfestes besinnt. Und wo der ursprüngliche Anlass für das Fest neu entdeckt wird, können auch die Traditionen an neuer Bedeutung gewinnen.
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