Urbs: opulentissima

Anlässlich des 200. Geburtstags von Karl Marx, dem wohl berühmtesten Sohn der Stadt, am 5. Mai, ist Trier in aller Munde. Die alte Römerstadt hat an Zeugnissen aus längst vergangenen Zeiten einiges zu bieten, das einen Besuch rechtfertigt. Eine historische Reiseempfehlung. Von Christoph Böhr
Porta Nigra in Trier
Foto: dpa | Das Wahrzeichen der Stadt: die Porta Nigra, erbaut von den Römern ab dem Jahr 170 n. Chr.
Porta Nigra in Trier
Foto: dpa | Das Wahrzeichen der Stadt: die Porta Nigra, erbaut von den Römern ab dem Jahr 170 n. Chr.

Als urbs opulentissima galt sie dem Geografen Pomponius Mela schon im Jahr 44, da waren gerade einmal 61 Jahre nach Gründung der Augusta Treverorum vergangen: eine Stadt, in der es alles im Überfluss gab.

Julius Caesar hatte die Kelten besiegt und schnell erblühte die Stadt. Im 2. Jahrhundert wurde ein Amphitheater errichtet, das rund 18 000 Zuschauer fasste, der Circus maximus soll gar Platz für 50 000 Menschen geboten haben. Ihre Glanzzeit erlebte die Stadt – jetzt unter dem Namen Treveris – in der späten Antike; Konstantin war Kaiser geworden und residierte, wie zuvor schon sein Vater, zwischen 306 und 316 allermeist in Trier, bevor er dann 330 seinen Sitz nach Konstantinopel, dem Nova Roma, verlegte. Trier, die Roma Secunda, behielt zunächst ihre Bedeutung, zählte ungefähr 50 000 Einwohner und war zwischen 367 und 390 noch einmal Kaiserresidenz, bevor diese nach Mailand und Ravenna verlegt wurde.

Seit der Gründung Konstantinopels war Trier das weströmische Pendant zur oströmischen Residenz. Wenige Städte im Imperium waren so bedeutend, als Zentrum politischer Macht und als frühchristliche Metropole. Schon zum Ende des 2. Jahrhunderts lässt sich eine christliche Gemeinde in Trier nachweisen. Wenig später wurde die Stadt ältester Bischofssitz auf deutschem Boden. Die Liste der Teilnehmer des von Konstantin einberufenen Konzils von Arles nennt 314 Agricius episcopus de civitate Triverorum als Bischof aus der Stadt der Treverer. Er gilt als der schon vierte Amtsinhaber – nach Eucharius, Valerius und Maternus. Da keiner von ihnen als Märtyrer verehrt wird, kann man davon ausgehen, dass die Christenverfolgung an der Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert hier eher unblutig verlief – ein Verdienst, der Laktanz, der später am Hof Konstantins in Trier als Erzieher wirkte, dessen Vater, Kaiser Constantius I. Chlorus, zuspricht.

Mit dem ersten Toleranzedikt, das vom Augustus des Ostens, Galerius, im Jahr 311 namens des gesamten Kaiserkollegiums, also auch von Konstantin, dem im Westen residierenden Caesar, erlassen wurde, entspannte sich die Lage, weil jetzt die Freiheit des Kultes galt. Es folgte 313 das Mailänder Toleranzedikt der beiden Augusti, Konstantin und Licinius; Trier geht in großen Schritten auf jene Zeit zu, in der es dann auch schon den Höhepunkt seiner Bedeutung und Ausstrahlung erreichen sollte.

Bis zum Tod seines kaiserlichen Rivalen im Osten, Licinius, bleibt die Stadt weströmische Residenz Konstantins; 330 verlegt er sie nach Konstantinopel. Aber ein Teil des kaiserlichen Hofes bleibt und von 364 bis 383 erlebt die Stadt eine zweite Blüte.

Nach allem Vermuten lebte Helena, die mit dem Ehrentitel einer „Augusta“ bedachte Mutter Konstantins, für mehrere Jahre in der unmittelbaren Nähe ihres Sohnes, also in Trier. In diese Zeit fällt die den Toleranzedikten geschuldete Restitution der während der Verfolgung auf Befehl von Konstantins Vater zerstörten Trierer Bischofskirche. Man kann mit guten Gründen vermuten, dass Helena mit großzügigen Schenkungen am Bau der gewaltigen Doppelkirchenanlage – deren nördliche Hälfte, dem heutigen Dom, 5 000 Menschen Platz bot – beteiligt war, zumal sie später sowohl im Osten des Reiches als auch in Rom zahlreiche Kirchenbauten unterstützte. Sicher ist, dass unter Constantinus, einem der Söhne Konstantins, der von 328 bis 340 in Trier residierte, neue Kirchenbauten in Angriff genommen wurden. In den ersten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts blüht die in Trier lebende Gemeinde der Christen nicht nur zahlenmäßig, sondern auch kulturell auf.

Neben der politischen Bedeutung der Stadt waren es eine Reihe herausragender Köpfe, die diese Blüte mit herbeiführten. Das Christentum war auf der Suche nach seiner Identität. Eine der ersten Klärungen erfolgte auf dem Konzil von Nicäa – in Abgrenzung zum Arianismus. Während der Kaiser, Konstantin, den innergesellschaftlichen Frieden über alles stellte – diesem Wunsch und keinesfalls höherer Einsicht sind übrigens auch die Toleranzedikte 311 und 313 geschuldet – , drohte die junge Gemeinde innerlich zerrissen zu werden. Weil er im Kampf gegen den Arianismus nicht nachgab, wurde Athanasius, ein griechisch sprechender und griechisch erzogener herausragender Theologe, Bischof von Alexandrien, Patriarch von Ägypten und Oberhaupt der Vielzahl ägyptischer Mönche sowie Verfasser der Antonius-Vita, von Konstantin dem Großen 335 nach Trier verbannt. Dessen geistige Ausstrahlung kann man gar nicht hoch genug einschätzen und stiftete für längere Zeit eine Verbindung zwischen der Kirche von Trier und der Kirche von Alexandrien – eine zwischen dem lateinischen Westen und dem griechischen Osten seltene und wertvolle Brücke. Im Trierer Exil bis 337 konnte sich Athanasius frei bewegen – und traf auf zwei ihm ebenbürtige Köpfe, den Bischof Maximinus und seinen Nachfolger Paulinus.

Dessen Amtszeit fiel schon in eine Zeit großer Wirren. Erbitterter denn je zuvor kämpften die Kaiser gegeneinander, die Angriffe der Germanen wurden heftiger, das Imperium näherte sich einem Bürgerkrieg. Constantius II., ein Arianer, schickte den Trierer Bischof Paulinus, einen Anti-Arianer, der sich 353 als einziger Bischof auf dem Konzil von Arles zu Athanasius bekannt und dem Druck des Kaisers von Angesicht zu Angesicht widerstanden hatte, in die Verbannung, wo er starb. Trier erlebte zu dieser Zeit einen ersten Niedergang seiner Bedeutung; die Lage der Stadt war so gefährlich geworden, dass Julian, Caesar von 355 bis 360, Paris zu seiner Residenzstadt machte. Nicht minder gefährlich war die Lage der Christen geworden: Sie, vor allem die Bischöfe, wurden in die auf Leben und Tod geführten Streitigkeiten um die Macht im Reich hineingezogen und für weltliche Herrschaftsansprüche in Geißelhaft genommen.

Die Konflikte zwischen Religion und Politik prägten auch nach der Konstantinischen Wende mehr denn je die Trierer Kirche wie die gesamte Christenheit. In Trier traten 384 Ambrosius, gebürtiger Trierer und römischer Politiker, bevor er zum Bischof von Mailand erwählt wurde, sowie Martin, Bischof von Tours, in einem der ersten vom Kaiser geführten Häresieprozesse auf, um die der Irrlehre beschuldigten Priszillianer – vergeblich – vor der Todesstrafe zu retten. Ambrosius schließlich war es, der Augustinus taufte, für dessen Glaubensgeschichte – und, nicht minder wichtig, die später im „Gottesstaat“ getroffene grundlegende Unterscheidung zwischen Temporalia und Spiritualia – der Erfahrungsbericht des Ponticianus über das Leben der Mönche in Trier eine maßgebliche Rolle spielte – wie offenbar auch schon für die Conversio des Hieronymus, der in Trier studierte. Der kleine Trierer Konvent von Asketen folgte dem Vorbild der von Athanasius, dem Exilanten, verfassten Antonius-Vita. Vier der großen Kirchenlehrer des 4. Jahrhunderts – Athanasius, Laktanz, Hieronymus und Augustinus – sind eng mit Trier verbunden.

Eine letzte Blüte erlebte das römische Trier in der Zeit der valentinianischen Dynastie von 364 bis 383. In dieser Zeit lebte der römische Dichter Ausonius in Trier, ein Christ und der Erzieher des Kaisers Gratian – unter ihm wurde der bis heute als Teil des Doms erhaltene Neubau der nach einem Alemanneneinfall zerstörten ersten konstantinischen Basilika begonnen – und Verfasser der „Mosella“, eines Gesanges auf die Mosel und ihre Bewohner, sowie Verfasser christlicher Hymnen. Ihm verdanken wir ein reiches Wissen über die damaligen Lebensumstände – bevor dann im 5. Jahrhundert mit dem Beginn der Völkerwanderung zugleich der Niedergang der Stadt einsetzte. Es dauerte allerdings noch bis zum 10. Jahrhundert, bis die Germanisierung der Region abgeschlossen war.

Das 4. Jahrhundert hat jenes Fundament gelegt, auf dem die Stadt bis heute gebaut ist. Von Trier ausgehend ist nördlich der Alpen das Christentum erklungen. Und der Glanz des 4. Jahrhunderts leuchtet noch heute: Helena und die der Legende nach von ihr überbrachte Reliquie des Heiligen Rockes werden im Trierer Dom verehrt, der Dom selbst steht auf römischen Mauern; die christliche Nekropole auf dem Gelände der Abtei St. Matthias, Thermen, Porta Nigra und Palastaula – das alles prägt unübersehbar das Bild der Stadt. Aber auch die späteren Jahrhunderte stehen auf diesem römischen Fundament: Die weltberühmte barocke Balthasar-Neumann-Kirche ist Paulinus geweiht; das Zentrum der ottonischen Buchmalerei in der im 6. Jahrhundert gegründeten Benediktinerabtei ist nach Maximinus benannt und auf einem christlichen Gräberfeld errichtet, die früheste gotische Kirche in Deutschland, Liebfrauen, nimmt den Platz der ersten konstantinischen Südkirche ein.

Die Bedeutung, die Trier als politisches und spirituelles Zentrum, als christliche Metropole und kaiserliche Residenz im 4. Jahrhundert hatte, konnte die Stadt nie mehr erreichen. Aber sie hat durch die Wirren der Zeit ihre Prägung behalten; nicht zuletzt diese Tatsache zeigt, wie nachhaltig jene Epoche, in der die Stadt zu ihrer Blüte fand, bis heute wirkt – weit über die Stadt hinaus: Die Romanitas wurde zur Prägeform Europas. In Trier kann man das mit eigenen Augen sehen.

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