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Katechese mit Hammer und Meißel

Vor 375 Jahren beflügelte der Westfälische Frieden die Kunst des Barock, die zu einem wichtigen Instrument der Gegenreformation wurde – Auf den Spuren der Hadamarer Schule.
Lächelnde  Madonna in Marienkapelle auf dem Herzenberg
Foto: Regina Einig | Die Marienkapelle auf dem Herzenberg mit der mild lächelnden Madonna ist das volkstümlichste Beispiel des Hadamarer Barock.

Der Hieb des Mörders hat die Schädeldecke zertrümmert. Im Kopf des heiligen Bonifatius steckt das Schwert des Häschers so tief, dass der Betrachter im Geiste bereits das Blut hervorquellen sieht. Das Martyrium des Apostels der Deutschen wird in der Bonifatiusgruft des Fuldaer Doms zum großen Sakraldrama. Schwarzer Marmor rahmt Altarbild und Predella des Märtyrergrabs wie ein Trauerflor und lässt die weißen Steinplastiken leuchtend hervortreten. Der Künstler schwelgt in der Lust an der Inszenierung: Im Sturzflug eilen Himmelsgeister mit Palmzweig und Krone herbei, während der Wind Frieslands das Barthaar des Bischofs zerzaust. Mit entschlossener Miene stützt ein zierlicher Engel das Haupt des ermatteten Bekenners, der Ausschau nach seinem Erlöser zu halten scheint. Deutschlands bekanntestes Barockrelief wurde von einem weitgehend unbekannten Künstler geschaffen; dem 1692 in Hadamar im Westerwald geborenen Bildhauer Johann Neudecker dem Jüngeren. 1721-1722 wirkte er in Fulda als Hofbildhauer; in späteren Jahren erhielt er Aufträge in Fritzlar und Trier. Ob Neudecker tatsächlich „von der Kunst seines Vaters abhängig war“, wie ein Kunsthistoriker ihm bescheinigt? Zweifellos hatte er sein künstlerisches Talent von seinem Vater geerbt und in dessen Werkstatt eine solide Ausbildung erhalten. Johann Valentin Neudecker der Ältere (1663-1718) war ebenfalls Bildhauer und stammte aus Miltenberg. In der Fürstenfamilie von Nassau-Hadamar und den Jesuiten fand er wichtige Auftraggeber. Eines seiner bekanntesten Werke ist der Dreifaltigkeitsaltar in der Zisterzienserabtei Marienstatt bei Hachenburg im Westerwald. Wie in der Bonifatiusgruft fällt auch beim Dreifaltigkeitsaltar der für die Hadamarer Schule charakteristische Schwarz-Weiß-Kontrast des Marmors auf.

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Im Dienst der Gegenreformation

Beide Künstler stellten ihr Können in den Dienst der Gegenreformation. Für das Fürstenhaus von Nassau-Hadamar und die Jesuiten war die Barockschule jedenfalls mehr als ein bloßes Prestigeobjekt: Adel, Klerus und Bürger leisteten Hand in Hand ihren Beitrag zur Rekatholisierung.

Begonnen hatte die Gegenreformation unter Graf Johann Ludwig von Nassau-Hadamar (1590-1653). Unter dem Einfluss des belgischen Jesuiten Wilhelm Lamormaini war er 1629 zum Katholizismus übergetreten. Selbst ein ökumenischer Familienkrach mit seiner calvinistischen Verwandtschaft hielt den jungen Konvertiten nicht davon ab, die Gegenreformation in Hadamar in Gang zu bringen. Dem Stil der Zeit entsprechend, siedelte er Ordensgemeinschaften an, um die Bevölkerung zu rekatholisieren. Eine Jesuitenniederlassung samt Schule, ein Franziskanerkloster und ein Dominikanerkloster brachten katholisches Leben in das malerische Westerwaldstädtchen bei Limburg, das im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert zum Bistum Trier gehörte. Während sich der Graf als kaiserlicher Bevollmächtigter während der Westfälischen Friedensverhandlungen in Münster einen Namen machte und für sein diplomatisches Geschick mit dem Fürstentitel belohnt wurde, brachen im Zug der Gegenreformation goldene Zeiten für Künstler und Architekten an. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs siedelten sich Handwerker, Maler und Bildhauer in Hadamar an: neben Neudecker machten sich auch Johann Theodor Thüringer und Martin Volk einen Namen. Katechese und Kunst griffen in der Diaspora ineinander, um dem Volk die wichtigsten Glaubensinhalte und das Leben der Heiligen zu veranschaulichen. Im Hadamarer Stadtkern entstand die Jesuitenkirche – heute Pfarrkirche St. Nepomuk – mit ausdrucksstarken Plastiken der Ordensheiligen: Ignatius von Loyola (1491-1556), Franz Xaver (1506-1552), Aloysius von Gonzaga (1568-1591) und Stanislaus Kosta (1550-68) flankieren den Hochalter, während der heilige Franz Régis (1597-1640) und der heilige Franz Borgias (1519-1572) den Josefsaltar zieren. Als Meisterwerk der Hadamarer Schule gilt die Johann Theodor Thüringer zugeschriebene rot-blau gewandete Pietà in der Pfarrkirche St. Johannes Nepomuk.

Altar auf dem Grab des Heiligen Bonifatius Reliefbilder von Johann Neudecker Bonifatiusgruft Fuld
Foto: Imago / Imagebroker | Schwarzer Marmor rahmt das Altarbild des Bonifatiusgrabes im Fuldaer Dom wie ein Trauerflor und lässt die weißen Steinplastiken leuchtend hervortreten.

Beliebtes Wallfahrtsziel

Wenige Autominuten von der heutigen Pfarrkirche St. Nepomuk entfernt liegt das volkstümlichste Beispiel des Hadamarer Barock. Die Marienkapelle auf dem Herzenberg ist bis heute ein beliebtes Wallfahrtsziel der Region. Der einst bewaldete Hügel war für den Bau des Fürstenschlosses abgeholzt und zum Spielplatz der Jesuitenschüler geworden. Mit der Ankunft von Pater Johannes Musset SJ im Jahr 1674 sollte sich das ändern. Der glühende Marienverehrer lehrte Poetik und Rhetorik in den oberen Gymnasialklassen und gewann Schüler und Kollegen für die Idee, auf dem damals Hirschberg genannten Gelände eine Marienkapelle zu bauen, um „die Marienverehrung mitten unter Andersgläubigen zu befördern“, wie die Hauschronik der Jesuiten festhält. 1675 erhielten die Jesuiten das Gelände vom Magistrat der Stadt, um ihre Schüler „zur Andacht“ anzuleiten. Für die Jesuitenzöglinge bedeutete dies zunächst weniger Gebet als vielmehr harte Arbeit: In ihrer Freizeit hoben sie das Fundament der Kapelle aus. Das Gnadenbild, das die Jesuiten von den Zisterzienserinnen in Koblenz erhalten hatten, wurde bald über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und Ziel der Wallfahrer aus den Nachbardörfern. Papst Innozenz XI. verlieh der Herzenbergkapelle 1689 einen vollkommenen Ablass auf sieben Jahre. Für die Ausstattung der Kapelle sorgte im Wesentlichen die fürstliche Familie. Die emotionale Beziehung des Fürstenhauses zum Gnadenbild der „Trösterin der Betrübten“ sollte ihren sichtbaren Ausdruck in der Herzbestattung finden.

Die Herzen zweier Fürsten von Nassau-Hadamar und zweier Fürsten aus der Linie Nassau-Siegen ruhen in Herzurnen – ein vom bayerischen Wallfahrtsort Altötting übernommener Brauch der Zeit. Das Marienheiligtum wurde im Lauf im Jahre vergrößert und überstand die Kriegszeiten. Unzählige Tafeln erinnern heute vor der Kapelle an Gebetserhörungen aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Für Ortspfarrer Andreas Fuchs ist die vor wenigen Jahren restaurierte Herzenbergkapelle der „beste Ort des Hadamarer Barocks“. Mit den bei der Restauration eingesetzten klarsichtigen Scheiben werde das, was beim Barock wichtig sei – das Innen und das Außen – eins. „Es ist ein Zeichen für das Innere in einem selbst und das äußere um einen herum, das sich immer gegenseitig beeinflusst. Hier kann man Ruhe finden am Tag und im Gebet. Hier kann man Kraft tanken und dazu dient auch der wunderschöne Altar mit der Muttergottesfigur.“

Und Klaus Säckl, Vorsitzender des Herzenbergvereins, verweist im Gespräch mit dieser Zeitung auf das freundlich lächelnde Gesicht der Madonna. „Wenn man eine Zeitlang in der Kapelle vor der schönen Marienstatue sitzt, wird einem leicht ums Herz.“

Grazile Justitia vor dem Amtsgericht

Während die einstige Jesuitenkirche ihre aufwändige Barockausstattung hinter einem äußerlich schlicht gehaltenen Kirchenbau verbirgt, prägen die repräsentativen barocken Profanbauten das Stadtbild. Das Fürstenschloss am Elbbach dient heute teilweise als Museum und Amtsgericht. Unter dicht belaubten Baumkronen steht im Vorgarten des Hadamarer Amtsgerichts die grazile Figur der Justitia. Viele Jahre zierte sie den Untermarkt, ehe sie in der Zeit des Nationalsozialismus einem martialisch anmutenden Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs weichen musste – mit behelmten Soldatenköpfen und stilisiertem Eichenlaub. Wenn es nach Bürgermeister Michael Ruoff ginge, bekäme die Justitia ihren angestammten Platz auf dem Untermarktbrunnen vor dem Rathaus wieder. „Dann könnte ich von meinem Schreibtisch auf die Statue schauen, die Marktgerechtigkeit und Rechtssicherheit symbolisiert“, erklärt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Bis es soweit ist, entdecken Touristen die barocken Profanbauten der Stadt bei einem Spaziergang entlang des Elbbachufers.

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