Luxemburgs Großherzog Henri, Parlamentspräsident Fernand Etgen, die Minister Jean Asselborn und Romain Schneider, Frankreichs Botschafter Bruno Perdu und andere Ehrengäste kamen nach Vianden und sein Schloss: Gemeinsam erinnerten sie an das dreimonatige Exil, das Frankreichs berühmter Dichter und Politiker Victor Hugo, vor 150 Jahren, im Sommer 1871 in dem kleinen Städtchen, 44 Kilometer nördlich der Hauptstadt, verbracht hat.
Fast neunzehn Jahre stand Victor Hugo auf den Fahndungslisten der europäischen Polizeien. Flucht und Exil begannen am 2. Dezember 1851, als der Politiker und Dichter Victor Hugo mit falschen Papieren, lautend auf den Druckereiarbeiter Lanvin aus Paris, vor Kaiser Napoléon III. in das belgische Brüssel flüchtete. Nächste Station war die Kanalinsel Jersey im Golf von St. Malo. Dort nahm man jedoch im August 1852 Anstoß daran, dass auch seine Freundin Juliette Drouot mit im „Marine Terrace-House“ wohnte. Vor allem störte die örtlichen Behörden Hugos Engagement für politisch Verfolgte. Nach drei Jahren wiesen sie ihn aus, er musste am nebeligen Morgen des 31. Oktober 1855 auf die Nachbar-Insel Guernsey übersiedeln. Doch es war ein fruchtbares Exil: Im „Hauteville-House“ auf Guernsey schuf Victor Hugo ein Drittel seines gesamten literarischen Werkes, darunter acht große Romane.
Das Leben ist ein Exil
Hauteville-House, über dem Hafen der Inselhauptstadt St. Peter-Port gelegen und von den Nachfahren der Familie Hugo 1927 der Stadt Paris übereignet und in ein Museum verwandelt, ist ein fesselndes und eindrucksvolles Besucherziel. Victor Hugo hat sich hier während seines 15-jährigen Aufenthalts verwirklicht. Davon zeugen unzählige Sprüche an den Wänden (unter anderem „Das Leben ist ein Exil“), zahlreiche Möbelstücke und Holzvertäfelungen, die er kaufte und einbauen ließ, sowie drei Zimmer in den französischen Nationalfarben blau-weiß-rot. Unbestrittene Krönung des Hauses, in dem auch spiritistische Sitzungen abgehalten wurden, ist jedoch die verglaste Dachterrasse, wo Victor Hugo, stehend an zwei Schreibpulten, arbeitete. Immer den Hafen von St. Peter-Port und bei klarem Wetter auch die Küste der Halbinsel Cotentin in Frankreich vor den Augen, träumte Victor Hugo dort auch von den Vereinigten Staaten von Europa. Am 14. Juli 1870, wenige Monate vor seiner Rückkehr nach Frankreich, pflanzte er im Garten von Hauteville-House eine heute noch existierende Europa-Eiche.
3,5 Millionen Euro für die Restaurierung
Nun drohten vor einigen Jahren aber Regen und Winde des Ärmelkanals dem Hauteville-Haus irreparable Schäden zuzufügen und die wertvolle Innenausstattung zu zerstören. Die Stadt Paris begann 2016 mit der Sanierung. 2019 konnte sie abgeschlossen werden, dank des Milliardärs François Pinault. 3,5 Millionen Euro flossen in die Restaurierung von Sofas, Teppichen, Holzvertäfelungen und Spiegeln. Die Journalistin Agnes Poirier nennt Hugos Hauteville House „mit seinem Spiel aus Licht und Schatten zwischen dunklen Vestibülen und lichtdurchfluteten Alkoven auf gewisse Weise seine eigene gotische Kathedrale“. Ironie der Geschichte: Milliardär Pinault kehrt am 19. April 2019 von der Wiedereröffnung des Hauses auf Guernsey nach Paris zurück, als er erfährt, dass Notre-Dame de Paris brennt. Er erinnert sich daran, dass der Erfolg des Romans über den Glöckner die Kathedrale vor dem Verfall gerettet hat. Über Pinaults Reaktion berichtet Poirier: „So löste er mit seiner großzügigen Geste eine gewaltige Welle der Spendenbereitschaft aus.“ Nach Hauteville-House auf Guernsey also Notre-Dame de Paris.
Der Felsen der Gastfreundschaft
In Frankreich ist der Romancier Victor Hugo eine nationale Ikone. Auf der Kanalinsel Guernsey, wo er 15 Jahre im politischen Exil lebte, huldigt man ihm bis heute. Im Candie Gardens von St. Peter-Port steht eine überlebensgroße Statue des Dichters als Spaziergänger mit wehendem Mantel und Stock, geschaffen vom bretonischen Bildhauer Jean Boucher. Victor Hugo liebte ausgedehnte Spaziergänge entlang der Küsten mit ihren Klippen und Granitfelsen und die kleinen, versteckten Sandstrände der Insel. Er lobte die Insel „im Frühling voll von Blumen, Nestern, Düften, Vögeln, Schmetterlingen und Bienen“ und die Insel-Bewohner auf dem „Felsen der Gastfreundschaft und Freiheit in diesem Winkel alten normannischen Landes, wo das noble kleine Volk des Meeres lebt, ernst und liebenswürdig.“ In jedem Fall: Die Idylle seines Exils und die Nähe der Heimat inspirierten Hugo zu bekannten Romanen wie „Die Elenden“ (1862) und das monumentale Werk „Die Arbeiter des Meeres“ (1866). Dort schreibt er im Vorwort: „Ich widme dieses Buch dem Felsen der Gastfreundschaft und der Freiheit, diesem Winkel des alten Normannenreiches und seinem edlen Meeresvolk: der Insel Guernsey, so streng und so lieblich, meinem gegenwärtigen Refugium, das wahrscheinlich auch mein Grab sein wird.“
Es kam anders: Victor Hugo, der prominente politische Flüchtling aus Frankreich, der fast neunzehn Jahre auf den Fahndungslisten der europäischen Polizeien stand, kehrte nach dem Fall von Napoleon III. rechtzeitig zur Wiedereinführung der Republik in Frankreich am 5. September 1870 über Brüssel nach Paris zurück. Doch im Sommer 1871, zur Zeit des Aufstands der Kommune in Paris, muss er wieder fliehen, Belgien weist ihn aus.
Zuflucht in Luxemburg
Im Großherzogtum Luxemburg, an der Schnittstelle der romanischen und germanischen Welt gelegen, findet der überzeugte Republikaner Victor Hugo vor 150 Jahren für drei Monate Zuflucht. Einen ersten Tagesaufenthalt in Luxemburg hatte er sich am 6. August 1862 von den Honoraren seines sofort in neun Sprachen veröffentlichten Romans „Les Misérables“ geleistet. Dabei hatte es ihm besonders das kleine Städtchen Vianden, 44 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Luxemburg, mit seinem mittelalterlichen Schloss angetan. Nach einer Woche in der Hauptstadt Luxemburg übersiedelt er nach Vianden, das Ort seines zweiten Exils wird: Am 8. Juni 1871 lässt er sich in einem kleinen Haus am Fluss Our gegenüber der Burg nieder. Dort verfasst er nicht weniger als 44 Gedichte, erstellt Gemälde und Zeichnungen vom Großherzogtum. Im Gedicht „Für Vianden“ verewigt er bereits am Ankunftstag seinen neuen Zufluchtsort. Herzlich aufgenommen, ehren ihn Bürgermeister-Abgeordneter Adolphe Pauly und die Bevölkerung besonders am 20. Juli 1871, zum Fest des Heiligen Victor, zumal sich Victor Hugo fünf Tage zuvor bei Abwesenheit des Bürgermeisters als Feuerwehrkommandant bewährt hatte.
Seit 1935 ein Museum
Das Haus von Victor Hugo mit dem Originalzimmer von 1871 ist schon seit 1935 Museum, es wurde am 11. Mai 2002 nach ausführlicher Umgestaltung neu eröffnet. Im ersten Stock kann man einer Figur des Dichters über die Schulter schauen, wie er einst beim Blick über den Fluss Our und hinauf zum Schloss literarisch tätig war. Zeichnungen, Wände und Tafeln dokumentieren den dreimonatigen Aufenthalt Hugos in Luxemburg, ebenso wie die dort entstandenen literarischen Werke. Im obersten Stock sind diese Informationen auf dem Bildschirm abrufbar. Von der „Terrasse littéraire“ hat man einen Blick auf die 2000-Einwohner-Stadt und das mittelalterliche Schloss Vianden, das Victor Hugo zum Zeichnen einlud. Ein aktiver Verein „Amis de la Maison Victor Hugo a Vianden“ (AMVHV) kümmert sich um das Erbe des Franzosen in Luxemburg und zum 150-jährigen Gedenken erläuterte Vize-Präsident Yves de Smet die insgesamt fünf Aufenthalte des Franzosen im Großherzogtum, die übrigens immer vor oder nach den Reisen entlang des Rheins stattfanden, die der Franzose absolvierte.
Prof. Frank Wilhelm von der Universität Luxemburg präsentierte bei der Gedenkfeier „Victor Hugos Visionen von den Vereinigten Staaten von Europa“. Und im einstigen Hotel Koch in Vianden, wo Victor Hugo gerne in Gesellschaft zu speisen pflegte, serviert man in diesem Sommer ein viergängiges „Menu hugolien“. Im französischen Stil, zubereitet in der Luxemburger Küche, mit Spezialitäten aus den Ardennen. Und die Zutaten für den Vorspeisen-Fischeintopf liefern wohl die „Travailleurs de la mer“ aus dem Ärmelkanal.
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