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Weder rechts noch links

„Marsch für das Leben“: Warum sich der Einsatz für den Schutz ungeborener Menschen nicht ideologiefrei politisch labeln lässt.
Marsch für das Leben - Abtreibungsgegner
Foto: IMAGO/snapshot-photography/K.M.Krause (www.imago-images.de) | In diesem Jahr findet der Marsch für das Leben zeitgleich in Berlin und Köln statt.

Er hat längst Tradition: Der „Marsch für das Leben“. Einmal jährlich, immer am dritten Samstag im September, erinnern Lebensrechtler aus ganz Deutschland mit ihrem Zug durch Berlin den Rest der Republik daran, dass der Schutz des menschlichen Lebens eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Eine, von der sich Staat und Politik – weil grundgesetzlich verbürgt – auch nicht suspendieren können, obgleich dies gern unterschlagen wird.

„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, formuliert denn auch so knapp wie eigentlich unmissverständlich die Verfassung in Artikel 2, Absatz 2, Satz 1. Allerdings ist unter manchen Juristen heute umstritten, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes unter „jeder“ auch den Embryo im Mutterleib subsumierten. Wem das Bonmot „drei Juristen, vier Meinungen“ geläufig ist, wird das nicht wundern. Dabei wird jedoch nicht nur vergessen, dass aus einem „etwas“ niemals ein „jemand“ wird, und man „Person“ entweder immer schon ist oder aber niemals wird, sondern auch, dass Abtreibungen lange Zeit nicht bloß prinzipiell für „rechtswidrig“ erachtet wurden, sondern ursprünglich auch mit Haftstrafen bewehrt waren.

Kein Relikt aus dem Nationalsozialismus

Die von Abtreibungsbefürwortern gebetsmühlenartig kolportierte Behauptung, ein grundsätzliches Verbot von „Schwangerschaftsabbrüchen“ sei, ebenso wie das inzwischen abgeschaffte Verbot der Werbung dafür, ein Relikt aus der schrecklichen Zeit des Nationalsozialismus, ist völlig ahistorisch. Bereits das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten hatte – dem Gedanken der Menschenwürde und dem Geist der Aufklärung folgend – 1794 nicht nur die Todesstrafe abgeschafft, sondern wie später auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorhob, festgehalten: „Die allgemeinen Rechte der Menschen gebühren auch den noch ungeborenen Kindern schon von der Zeit der Empfängnis an.“ Das wird die Abtreibungslobby freilich nicht daran hindern, auch weiterhin zu versuchen, die Lebensrechtsbewegung in die „rechte Ecke“ zu drängen und als Gegner demokratischer Gemeinwesen zu denunzieren.

An diesem Samstag (16.9.) findet der jährliche „Marsch für das Leben“ erstmals in zwei Städten statt. Außer in die Bundeshauptstadt lädt der Veranstalter, der Bundesverband Lebensrecht (BVL), in diesem Jahr parallel auch nach Köln ein. Zeitgleich zur Kundgebung vor dem Brandenburger Tor (Beginn: 13.00 Uhr) starten die Lebensrechtler in der Rheinmetropole auf dem Heumarkt. In Berlin werden rund 5 000 Teilnehmer, in Köln rund 2 000 erwartet. Ob das Experiment glückt, wird sich zeigen. „Die Tagespost“ wird jedenfalls in beiden Metropolen vor Ort sein und berichten.

In den Corona-Jahren musste Deutschlands größte Pro Life-Demonstration, die sich zuvor ständig steigender Teilnehmerzahlen erfreute, einen deutlichen Teilnehmerrückgang hinnehmen. Zählte der Veranstalter 2019 noch rund 8 000 Teilnehmer, waren es 2020 „nur“ rund 3 500 und 2021 rund 4 500. Im vergangenen Jahr nahmen rund 4.800 Menschen an dem Marsch teil.

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Bemühungen organisierter Abtreibungsbefürworter

Inwieweit die zunehmenden Bemühungen organisierter Abtreibungsbefürworter sowie einiger Medien verfangen, der Lebensrechtsbewegung Verbindungen zu der sogenannten Neuen Rechten anzudichten, sie als „christliche Fundamentalisten“ oder gar als „rechtsextrem“ zu labeln, mitverantwortlich für den Rückgang der Teilnehmerzahlen sind, darüber lässt sich bislang nur spekulieren. Denn wer nicht erscheint, kann natürlich auch nicht nach den Gründen für sein Fernbleiben befragt werden. Der Autor dieser Zeilen, der beispielsweise persönlich die Auffassung vertritt, dass die AfD für Christen „nicht wählbar“ ist, hat in dieser Zeitung mit einer Ausnahme über jeden „Marsch für das Leben“ berichtet. Er hat dort kein einziges Mal Nazis oder Rechtsextreme, ja – mit Ausnahme von Beatrix von Storch – nicht einmal stramm Rechte gesichtet. Dafür hat er aber viele Wertkonservative, Bürgerliche sowie Linke gesprochen, von denen nicht wenige angeben, die ödp oder christliche Splitterparteien zu wählen, weil die etablierten Parteien entweder die ersatzlose Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch fordern oder aber solchen Forderungen keine überzeugend artikulierten Alternativen entgegenhalten.

Das scheint sich allerdings gerade zu ändern. Mittwoch vergangener Woche verschickten die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Andrea Lindholz und Dorothee Bär (beide CSU) sowie die rechts- und familienpolitischen Sprecher der Unionsfraktion Günter Krings und Silvia Breher (beide CDU) ein vierseitiges Schreiben an die „lieben Kolleginnen und Kollegen“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das Schreiben, das der „Tagespost“ vorliegt, trägt den Titel „Bestrebungen der Ampel-Koalition zum Abtreibungsrecht“ und will die Union offenbar aus der Rolle des stillen Beobachters befreien.

Die „CDU/CSU-Fraktion“ dürfe, heißt es dort, „die Behandlung dieser bedeutenden ethischen Fragen nicht allein der Bundesregierung und der von ihr eingesetzten Kommission überlassen“. In dem Schreiben äußern sich die Autoren aber nicht nur strategisch, sondern auch inhaltlich. Und das mit einer Deutlichkeit, die Lebensrechtler lange vermisst haben dürften. So heißt es auf Seite 2 und 3 etwa: „Die entscheidende Frage jeder Diskussion um die §§ 218 ff des Strafgesetzbuches (StGB) richtet sich insbesondere danach, ob es nur um ,Schwangerschaftsgewebe‘ geht oder um ungeborenes Leben. Geht es nur um ,Schwangerschaftsgewebe‘, so kann jede Einschränkung der freien Entscheidung nur als unberechtigte Einmischung gesehen werden. Nach unserer Auffassung und auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) geht es jedoch um ein ungeborenes Leben, das bereits Grundrechte – auch gegenüber der Mutter – hat.“

Menschliches Leben schützen

Und weiter: „Das BVerfG hat klar entschieden (vgl. BVerfGE 39, 1, und BVerfGE 88, 203), dass das Grundgesetz den Staat verpflichte, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Menschenwürde komme schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu. Die Rechtsordnung müsse die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleisten. Rechtlicher Schutz gebühre dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter. Ein solcher Schutz sei nur möglich, wenn der Gesetzgeber ihr einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbiete und ihr damit die grundsätzliche Rechtspflicht auferlegt, das Kind auszutragen. Der Schwangerschaftsabbruch müsse für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein. Das Lebensrecht des Ungeborenen dürfe nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden. Der Staat müsse zur Erfüllung seiner Schutzpflicht ausreichende Maßnahmen normativer und tatsächlicher Art ergreifen, die dazu führen, dass ein – unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter – angemessener und als solcher wirksamer Schutz erreicht werde (Untermaßverbot). Dazu bedürfe es eines Schutzkonzepts, das Elemente des präventiven wie des repressiven Schutzes miteinander verbindet. Die staatliche Schutzpflicht umfasse auch den Schutz vor Gefahren, die der Bereitschaft zum Austragen des Kindes entgegenwirken. Der Schutzauftrag verpflichte den Staat ferner, den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewusstsein zu erhalten und zu beleben.“

Mehr noch: „Der Gesetzgeber sei verpflichtet, ,zum Schutz des sich entwickelnden Lebens das Mittel des Strafrechts einzusetzen‘, wenn der von der Verfassung gebotene Schutz der Würde und des Lebensrechtes des ungeborenen Lebens auf ,keine andere Weise‘ zu erreichen sei. ,Das Strafrecht‘ sei ,regelmäßig‘ der Ort, ,das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und die darin enthaltene grundsätzliche Rechtspflicht der Frau zum Austragen des Kindes gesetzlich zu verankern.‘ Zu den Schutzmaßnahmen des Staats gehört nach Auffassung des BVerfG auch, dass der Staat mit seinem Recht das grundsätzliche Verbot bzw. das Unrecht eines nichtindizierten Abbruchs ,bestätig(t) und verdeutlich(t)‘.“

Keine Schöpfung von Rechten

Niemand wird den vier Unionsabgeordneten, drei Frauen und einem Mann, ernsthaft eine Nähe zum rechten Rand der Gesellschaft unterstellen wollen. Ohnehin ist die Lebensrechtsbewegung in Deutschland keine Schöpfung von Rechten und nicht einmal mehrheitlich von Konservativen. Ihre Wurzeln finden sich vielmehr überwiegend in der Bürgerrechtsbewegung, die eine linke Erfindung ist.

Überhaupt ist, wer die Auffassung vertritt, man dürfe wehrlose und unschuldige Menschen weder nach noch vor der Geburt töten, weder links noch rechts. Er ist vielmehr – wie die ganz überwiegende Mehrheit der Biologen und Mediziner – der Ansicht, dass mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ein neues Individuum der Gattung Mensch gegeben ist, das zu töten niemand ein Recht hat. Weshalb andernfalls schweres Unrecht begangen, das Gewaltmonopol des Staates teilprivatisiert und das Tötungsverbot zumindest partiell aufgehoben würde.

Anders formuliert: Aus einer moralischen Überzeugung (Unschuldige und wehrlose Menschen darf man nicht töten) und einem biologischen Faktum (der Embryo ist ein Mensch im Frühstadium seiner Entwicklung) werden hier rechts- und gesellschaftspolitische Folgen abgeleitet, zu denen Menschen jedweder politischen Couleur kommen können. Auch wer das Faktum bestreitet und daher beispielsweise einen abgestuften Lebensschutz für angemessener hält, ist ja nicht deswegen links, sondern allenfalls aufgrund seiner sonstigen politischen Ansichten oder Werthaltungen.

Bürgerliche und Wertkonservative

Mögen heute Bürgerliche und Wertkonservative in den meisten Lebensschutz-Organisationen, die sich unter dem Dach des BVL versammelt haben, mittlerweile dort auch den Ton angeben, einen in der Wolle gefärbten Anhänger der „Neuen Rechten“ sucht man dort bislang vergeblich. Das schließt weder aus, dass es einzelne, in eigenem Namen Handelnde gibt, die der „Neuen Rechten“ zuneigen und denen der Schutz des menschlichen Lebens trotzdem ein wichtiges Anliegen ist, noch dass es organisierte Lebensrechtler gibt, die die AfD, anders als der Autor selbst, für wählbar halten und daher bei Wahlen auch ihr Kreuz bei der Partei machen. Aber wer glaubt, deshalb die Lebensschutzbewegung als „rechtsextrem“ labeln oder der „Neuen Rechten“ zuschlagen zu können, hat Lebensrechtler entweder noch nicht einmal von hinten gesehen oder will betrügen.

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