Würzburg

Von der Freiheit des Menschen

Hudson Byblow ist 37 Jahre, Lehrer und Vortragender. Zu seiner Geschichte gehören gleichgeschlechtliche Anziehung und Transgender. Durch den Glauben geht der Kanadier nun einen neuen Weg und versteht sich vor allem als geliebtes Kind Gottes.
Hudson Byblow
Foto: www.hudsonbyblow.com | Hudson Byblow lernte in einem wunderbaren gläubigen Freundeskreis, sich zuallererst als geliebtes Kind Gottes zu verstehen.

Was mir bei Hudson Byblow auffällt ist, dass er begrifflich die übliche Dichotomie zwischen Heterosexualität und Homosexualität vermeidet. Stattdessen spricht er von "same-sex attraction" (gleichgeschlechtlicher Anziehung). Als ich nachfrage, bekomme ich eine präzise sprachliche Analyse der entweder determinierenden oder freisetzenden Semantik der verschiedenen gebräuchlichen Begrifflichkeiten. Hudson Byblow schlägt eine "Persons-first-language" vor: Wenn ich "gay person" oder "person who is gay" sage, setzt dies nicht die Person an die erste Stelle, sondern betont die Sexualität. "Person with same-sex-attractions" sei besser, allerdings suggeriere das eine dauerhafte Gegebenheit.

"Ich mochte mich nicht und war
süchtig nach Anerkennung und Pornographie."
Hudson Byblow

Darum sei der beste Ausdruck "person who experiences same-sex attraction" (Person, die gleichgeschlechtliche Anziehung erlebt), weil das sowohl die Person an die erste Stelle setze, als auch die Möglichkeit umfasse, dass Menschen im Zuge ihres Lebens Änderungen hinsichtlich eines spezifischen erotischen oder sexuellen Begehrens erleben. "Fluidität" sei ein Schlüsselbegriff in diesem Zusammenhang: Die Sprache müsse transparent machen, dass im Zusammenhang mit "same sex attraction" eine Entwicklung nicht ausgeschlossen und ein Mensch nicht in einer Box eingeschlossen sei. Außerdem, so Hudson Byblow weiter, könnten Menschen ja nicht nur hinsichtlich spezifischer Formen des Begehrens einen Wandel erleben, sondern auch hinsichtlich ihrer Erwartungen an sich selbst, oder ihrer Beurteilung davon, was notwendig ist, um ein erfülltes und gelingendes Leben zu führen.

Süchtig nach Anerkennung

Da Selbst-Beschreibung im unmittelbaren Zusammenhang mit Selbstbestimmung stehe, sei sprachliche Klärung wichtig, so Byblow. Es bedeute eine Unterdrückung der Menschenrechte, wenn man Menschen daran hindere, sich außerhalb der Kategorien der LGBT-Ideologie zu beschreiben. In unseren Gesellschaften gebe es die Gefahr, dass Freiheit in Bezug auf "sexual-self-determination" nur noch in eine Richtung gelte. Das sei bedenklich, denn es ignoriere, dass es Personen gebe, die aktuell gleichgeschlechtliche Anziehung erfahren, damit aber nicht glücklich sind. Diese Menschen würden durch die aktuelle Entwicklung, die ausschließlich eine Affirmation der LGBTQ-Lobby darstelle, isoliert.

Wenn Hudson Byblow spricht, spürt man, wie durchlebt und durchdacht das ist, was er sagt. Der Kanadier will "seine Geschichte teilen", die er so beginnt: "Sowohl gleichgeschlechtliche Anziehung als auch Transgender gehören zu meiner Geschichte." Dennoch verstehe er sich nicht als "schwuler Mann" oder "Trans". Warum? Identität sei nicht gleichbedeutend mit einer eventuellen gleichgeschlechtlichen Anziehung, und niemand sei gezwungen, die sexuelle Anziehung zum zentralen Kriterium für die eigene Identitätsbeschreibung zu machen. Das war nicht immer so.

Einschneidendes Trauma

Es brauchte lange Zeit bis zu dieser Erkenntnis, mit der der 37-Jährige heute, inmitten einer LGBTQ-dominierten gesellschaftlichen Atmosphäre, Differenzierung in die Diskussion bringen und Betroffenen Mut machen möchte: Aufgewachsen in einer katholischen Familie, an katholischen Schulen und mit Sonntagsgottesdienst, beginnt seine Geschichte mit Erfahrungen einer für ihn beschämenden Unterlegenheit als Junge und bei "Jungensachen". Dazu kommt ein einschneidendes Trauma durch den Verlust seines engsten Freundes mit neun Jahren, den angemessen zu betrauern er keinerlei Möglichkeit hatte. Aus Verlustangst zog er eine Mauer um sich und ließ keine anderen Jungen mehr so an sich heran. Weil er von Geschlechtsgenossen scheinbar keine Anerkennung erfahren konnte und sich ausgeschlossen fühlte, wandte er sich "Mädchendingen" zu und suchte bei Mädchen Anschluss.

Seine männliche Identität war schwach, zu Beginn der Pubertät begann er zu trinken, experimentierte mit Pornographie und machte mit 15 erste Cross-Dressing-Erfahrungen. Während andere Jungen begannen, Bestätigung von Seiten der Mädchen zu suchen, hungerte er immer noch nach Bestätigung aus der Männerwelt. Im Nachhinein sieht er einen Zusammenhang zu seinem insgesamt schwachen, auch hinsichtlich seiner Männlichkeit brüchigen Selbstvertrauen. "Ich mochte mich nicht und war süchtig nach Anerkennung und Pornographie", schildert der Kanadier, der den Glauben seiner Kindheit damals hinter sich gelassen hatte. Auf der Suche nach einem größeren Selbstwertgefühl habe er auch gelegentliche sexuelle Beziehungen mit Frauen gehabt. In den späteren Teenagerjahren sei er von einem Mann belästigt worden, und weil sein Körper reagiert habe, habe sich in ihm die Annahme gebildet, er sei schwul. Er wandte sich nun Transgender-Pornos zu, konsumierte Schwulenpornos. "In meiner Sehnsucht nach Zugehörigkeit driftete ich in ziemlich dunkle Gefilde ab", erzählt er.

Der Kern der Person

Dann kam die Wende: Mit 27 Jahren zog Hudson Byblow in eine andere Stadt. Über Freunde fand er wieder Anschluss an die Kirche. Er begann über den Glauben zu lernen und über Identität. Er verstand, dass es einen Unterschied gibt zwischen einer Neigung, die wir nicht gewählt haben und dem, was wir wählen. Langsam gelang es ihm, seine Versuchungen von dem zu unterscheiden, was der Kern seiner Person ist. Solange er glaubte, er sei schwul, sah er seine ganze Zukunft in diesem Licht: "Alles beschränkte sich auf das, was die Welt unter gay versteht. Ich war verzweifelt und hoffnungslos, weil ich dachte, nie Ehemann und Vater sein zu können. Ich dachte, das, was ich jetzt empfinde, müsse ich immer empfinden." Auf einer Tagung sprach Byblow mit einem LGBTQ-Aktivisten und ausgerechnet der machte ihn darauf aufmerksam, dass Umweltfaktoren für das Auftreten von gleichgeschlechtlich sexuellem Empfinden eine Rolle spielen. Byblow erkannte, inwiefern die romantische oder sexuelle Anziehung, die er empfand, eine, aber eben nur eine Facette seiner Identität war, und dass er das dominant verbreitete Narrativ, in das er sich gesellschaftlich gedrängt fühlte, sehr wohl hinterfragen dürfe.

Geliebtes Kind Gottes

Er brach aus dem Gefühl aus, "zuerst Sexualität, dann Person" zu sein. Er erkannte, dass er vielmehr "Person in ihrer Geschlechtlichkeit und Sexualität" ist. Das bedeute, so Byblow, eine ganz andere Freiheit, keine Determination mehr durch ein nicht gewähltes Empfinden, sondern einen Weg der Entscheidung: "Mein Personsein ist die vorrangige Komponente meiner Identität." Hudson Byblow erzählt, wie er in einem wunderbaren gläubigen Freundeskreis lernte, sich zuallererst als geliebtes Kind Gottes zu verstehen. Heilige Beziehungen "Chastity", Keuschheit, wurde für Hudson Byblow zum Schlüsselwort: Wie jeder andere Katholik fühle auch er sich dazu gerufen, keusch zu leben. Für unsere Ohren klinge das Wort altbacken und kaum jemand würde es hier noch benutzen, werfe ich an dieser Stelle ein. Aber, so sagt er, dann sei der Begriff ja wunderbar, um in ein Gespräch einzusteigen, bei dem man erklären könne, was Keuschheit meine, nämlich ein Streben danach, so zu leben, wie Gott es für den Menschen bestimmt habe.

Es gebe überall einen Mangel an Keuschheit, deshalb könnten Menschen mit gleichgeschlechtlichen Neigungen Seite an Seite gehen mit anderen Menschen, die keusch leben wollen. "People who experience same sex attraction" dürften sich nicht von der Welt als Gruppe isolieren lassen. "Chastity first!" müsse das gemeinsame Programm heißen, dann könne es "heilige Beziehungen" und "geheiligte Sexualität" geben. Keuschheit sei die erfolgreiche Integration unserer Sehnsüchte in das, was Gott als wahr festgelegt habe. Diese Haltung lege den Akzent nicht auf die Sünde, sondern auf die Wahrheit. Demgemäß müsse man, statt nur über Diskriminierung zu diskutieren, das Gespräch auf das Thema der Keuschheit hin weiten.

Der Weg der Keuschheit

Über den Weg der Keuschheit könne man die Menschen "nach Hause bringen", strahlt Hudson, und ich glaube sofort, dass es bei ihm so war. Immer wieder kommt er auf seine Freunde zurück, die ihn begleiteten und ihm liebevoll zeigten, wie man seine Sexualität Jesus anvertraut: Wenn wir etwas Großes geben, empfangen wir große Freude, sei ihr Versprechen gewesen. Hudson Byblow erzählt, er habe damals eine Weile gezögert, dann aber "ja!" gesagt. Tatsächlich sei die Freude gekommen! Seitdem habe sich alles geändert: Seine Selbstkontrolle sei gestiegen, während die Fixierung auf gleichgeschlechtliches Begehren völlig zurückgegangen sei. Sein Selbstbewusstsein als Mann unter Männern sei gestiegen, und es gebe auch keine Transgender-Versuchung mehr. Zwar lebe er als Single, aber er lebe voll Freude aus dem Wissen und der Erfahrung, dass er ein geliebtes Kind Gottes sei. Hudson Byblow ist einerseits unterwegs, aber auf eine tiefe Weise angekommen.

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