Wer sich von Sprache nicht betören lässt, den dürfte die Lektüre der „Versicherteninformation“ für Bluttests auf die Trisomien 13, 18 und 21, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Mitte August beschlossen hat, erst einmal sprachlos machen. Hat man die Sprache wiedergefunden, wird schnell deutlich: Das gilt sogar in doppelter Hinsicht. Im positiven wie im negativen Sinne. Zunächst das Positive: Was auch immer Lebensrechtler und Behindertenverbände – im Übrigen völlig zu Recht – an prinzipiellen Argumenten gegen die nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) in Stellung bringen, eines kann man der vom „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWiG) erarbeiteten „Versicherteninformation“ sicher nicht vorwerfen. Nämlich eine Werbebroschüre für die Durchführung solcher Tests zu sein.
Schwangere erfahren hier, dass Trisomien „seltene genetische Veränderungen“ sind, die „die körperliche und geistige Entwicklung“ der Kinder, höchst „unterschiedlich beeinflussen“. Mehr noch: Dass selbst die häufigste Trisomie, das Down-Syndrom (Trisomie 21), nur mit einer Häufigkeit von 17 auf 10. 000 bei Schwangeren im Alter von 30 bis 34 Jahren auftritt. Sowie, dass Menschen mit Down-Syndrom „oft (…) nur leichte Beeinträchtigungen“ haben und „vieles“ können, „das andere auch können“. Auch dass „viele Eltern“ von Kindern mit Down-Syndrom von „einem ziemlich normalen und erfüllten Leben mit ihren Kindern“ berichten, erfahren Schwangere dort.
Keine sichere Diagnose
Damit nicht genug. Grau hinterlegt und mit einem fett gedruckten „Wichtig ist“ wird der Hinweis eingeleitet: „Mit einem NIPT werden nur einzelne genetische Veränderungen untersucht. Ob das ungeborene Kind insgesamt gesund ist, kann der Test nicht erkennen.“ Auch, dass der Test gar „keine sichere Diagnose einer Trisomie stellen“ kann, wird nicht nur nicht verschwiegen, sondern ausführlich erläutert. Schwarz auf weiß halten die Versicherteninformationen hier fest: „Bei einem NIPT können zwei Fehler passieren: (1.) Eine Trisomie wird übersehen. Beim Down-Syndrom passiert das bei weniger als eins von 10. 000 Untersuchungen. (2.) Der NIPT ist auffällig, das Ungeborene hat aber in Wirklichkeit keine Trisomie. Das wird falscher Verdachtsbefund genannt. Dazu kommt es bei beim Down-Syndrom in etwa fünf von 10. 000 Untersuchungen.“
Das klingt wenig, ist es aber nicht, wie das dort nachfolgend abgedruckte Beispiel zeigt: „Stellen Sie sich eine Gruppe von 10. 000 Schwangeren vor, von denen zehn ein Ungeborenes mit einem Down-Syndrom haben. Wenn alle diese Frauen ein auswertbares Ergebnis erhalten (Anm.: bei zwei bis sechs von 100 Schwangeren ist dies laut der Versicherteninformation gar nicht der Fall), ergibt sich Folgendes: 10. 000 Frauen erhalten ein Testergebnis. Bei 15 Frauen ist der Test auffällig. Zehn Frauen haben tatsächlich ein Kind mit Down-Syndrom. Fünf Frauen haben kein Kind mit einem Down-Syndrom, obwohl der Test auffällig war. Mit anderen Worten: In diesem Beispiel ist jedes dritte auffällige Ergebnis falsch.“
Ein Recht auf Nichtwisssen
Auch das „Recht auf Nichtwissen“ wird in der 24-seitigen Broschüre ausführlich thematisiert. Ziemlich zu Beginn hält die Versicherteninformation hierzu fest: „Alle vorgeburtlichen Untersuchungen sind freiwillig – das heißt, sie können eine angebotene Untersuchung oder einen Test jederzeit ohne Begründung ablehnen. Ihr Recht auf Nichtwissen ist so wichtig, dass Sie niemand zu einer Untersuchung drängen darf.“
Werbung für ein Medizinprodukt kommt anders daher. Auch das zumindest einmal explizit vom ungeborenen Kind statt vom Fetus die Rede ist, verdient anerkennende Beachtung. Stellenweise drängt sich bei der Lektüre gar der Eindruck auf, als wollten die Autoren schwangeren Frauen eher davon abraten, von dem nichtinvasiven vorgeburtlichen Gentest Gebrauch zu machen.
Zweifel an Aufnahme in Leistungskatalog
Anderseits wirft die zutreffende Darstellung dessen, was der Test alles nicht zu leisten vermag, die Frage auf, warum er überhaupt in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen wird. Die offizielle Begründung lautet, dass der Test in vielen Fällen, schon länger zugelassene Diagnostiken wie die Chorionzottenbiopsie (Plazentaprobe) oder eine Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) überflüssig mache – invasive Eingriffe, die laut der Versicherteninformation bei „einer bis vier von 1. 000 Frauen“ eine „Fehlgeburt“ verursachen, weshalb der Test von vielen für die „risikoärmere“ oder auch „ungefährlichere“ Variante gehalten wird.
Nur stimmt das eben nicht wirklich und gilt ohnehin allenfalls für die Schwangere. Und selbst das nicht einmal in allen Fällen. Ein Grund: Auffällige NIPT-Befunde müssen durch eine Fruchtwasser- untersuchung oder Plazentaprobe bestätigt werden. Daher kommen ohnehin nur Frauen mit einem negativen Testergebnis um den invasiven Eingriff herum. Jedenfalls dann, wenn sie das sehr geringe Risiko, ein Kind mit Down-Syndrom zu gebären, unbedingt ausschließen wollen.
Mehr invasive Eingriffe
Weiß man zudem, dass bereits jetzt 90 Prozent der Kinder, bei denen ein Down-Syndrom diagnostiziert wird, auch abgetrieben werden, braucht es keinen Propheten, um die zukünftige Entwicklung ziemlich zuverlässig vorherzusagen: Die bereits beschlossene Aufnahme der NIPT in den Leistungskatalog der Krankenkassen wird die Nachfrage nach den Tests, die bislang von den Paaren selbst zu zahlen sind (die Kosten liegen hier bei rund 300 Euro) in die Höhe schnellen lassen.
Der dann nicht ausbleibende Anstieg „auffälliger“ Testergebnisse wird zu mehr statt zu weniger invasiven Eingriffen führen, mit denen diese Ergebnisse überprüft werden. Dies wiederum wird auch zu mehr (einer bis vier auf 1. 000 Frauen) Fehlgeburten führen. Das bedeutet: Im Endeffekt wird die Aufnahme von NIPT in den Leistungskatalog der Krankenkassen also das Gegenteil dessen bewirken, was er vorgeblich erreichen soll. Nämlich die Reduzierung von Fruchtwasseruntersuchungen und der Entnahme von Plazentaproben, von der derzeit jede 20. Schwangere Gebrauch macht.
Eugenik von unten
Vor allem aber wird die Aufnahme von NIPT in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen, für welche die Abfassung der Versicherteninformation nur die letzte Hürde darstellt, der sogenannten „Eugenik von unten“ weiter Vorschub leisten. Anders als bei der „Eugenik von oben“, bei welcher ein Staat Zwangsmaßnahmen verhängt, um die Geburt von Menschen zu verhindern, die Merkmale aufweisen, die die Mächtigen für unerwünscht erachten, ist die „Eugenik von unten“, bei der Kinder den Ansprüchen genügen können sollen, die ihre Eltern an sie oder an die Fiktion eines möglichst sorgenfreien Lebens stellen, seit langem auf dem Vormarsch.
Auch ein Staat, in dem alle Macht vom Volke ausgeht und die Bürger der Souverän sind, muss solchem Treiben nicht tatenlos zusehen. Er kann die Durchführung von NIPT auch gesetzlich untersagen. Da Trisomien nicht therapierbar sind, dürften die verfassungsrechtlichen Hürden, die dabei zu nehmen sind, weder unüberwindbar noch allzu hoch sein. Lebensrechtler etwa fordern seit Langem, dass vorgeburtliche Diagnostiken sich auf Beeinträchtigungen beschränken sollten, für die es auch Therapien gibt. Kinder abzutreiben, weil sie unerwünschte Merkmale aufweisen, die sich der Therapierbarkeit entziehen, ist jedenfalls pure Eugenik und die schlimmste, weil tödliche Form von Diskriminierung, die sich denken lässt.
Gegen Selektion wehren
Das gilt insbesondere für westliche Gesellschaften, die auf der Annahme gründen, dass alle Menschen, unabhängig von ihren individuellen Unterschieden, die gleiche Würde besitzen. Wenn dem so ist, kann zumindest in solchen Gesellschaften niemandem erlaubt werden, Menschen, die genetische Variationen aufweisen, vom Leben auszuschließen. Denn wer so verfährt, erhebt sich nicht „nur“, in radikaler, endgültiger und nicht mehr zu korrigierender Weise über Seinesgleichen. Er kündigt zugleich den Gesellschaftsvertrag eines solchen Gemeinwesens, in dem er nämlich das solche Gesellschaften konstituierende Fundament ablehnt oder zumindest als für sich nicht bindend erachtet.
Unabhängig von Schutz des Lebens Einzelner müsste der Staat daher schon aus Gründen der Selbstverteidigung einer Selektion ungeborener Kinder aufgrund unerwünschter genetischer Ausstattung wehren. Tests zur Kassenleistung zu machen, auf den Versicherte dann – wenn auch „nur“ innerhalb eines bestimmten Rahmens – einen gesetzlichen Anspruch erheben können, ist im Grunde staatlicher Selbstmord. Dies umso mehr, als es solche Tests in Zukunft nicht auf Trisomien sondern auf viele weitere genetische Variationen geben wird und mit der Genschere CRISPR/Cas zudem auch gestaltende Eingriffe in das Erbgut von Menschen denkbar werden.
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