Die britische Zulassungsbehörde MHRA hat zwei Unternehmen aus der Schweiz und den USA eine bedingte Zulassung für das Inverkehrbringen einer Therapie erteilt, die auf die CRISPR/Cas9-Technologie zurückgreift, um menschliche Erbgut zu verändern. Das teilten die betroffenen Unternehmen heute in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit. Die Therapie mit der Handelsbezeichnung Casgevy ist damit weltweit die erste, die die Genschere zur Veränderung des Erbguts verwendet.
Bedingte Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln und Therapien sind auf ein Jahr befristet. Sie werden gewöhnlich erteilt, wenn die die Genehmigung erteilende Behörde zu der Ansicht gelangt ist, dass diese einen erheblichen unerfüllten medizinischen Bedarf zu decken in der Lage sind oder aber bei schweren und lebensbedrohlichen Krankheiten, bei denen keine anderen zufriedenstellenden Behandlungsmethoden verfügbar sind, einen großen therapeutischen Vorteil versprechen, obwohl die normalerweise erforderlichen klinischen Daten noch nicht vollständig vorliegen.
Zellen werden im Labor bearbeitet und anschließend an die Patienten zurückgegeben
Bedingt zugelassen wurde die Therapie von der MHRA (MHRA = Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency) zur Behandlung von Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie, vererbbaren Erkrankungen, bei denen die Organismen der Betroffenen aufgrund von Mutationen ein abnormes Hämoglobin herstellen. Wie die Unternehmen schreiben, werden im Rahmen der Therapie Patienten, für die keine passenden Stammzellspender finden gefunden werden konnten, zunächst Knochenmarkstammzellen entnommen. Die im Labor mittels der CRISPR/CAS-9-Technologie bearbeiteten Zellen werden anschließend an die Patienten über eine Transfusion zurückgegeben.
„Heute ist ein historischer Tag in Wissenschaft und Medizin: Diese Zulassung von CASGEVY in Großbritannien ist die erste regulatorische Genehmigung einer CRISPR-basierten Therapie in der Welt“, erklärte Reshma Kewalramani, CEO und Präsidentin des Biotechnologieunternehmens Vertex. Das 1989 geründete Unternehmen mit Hauptsitz in Boston im US-Bundesstaat Massachusetts nahm 2015 die Zusammenarbeit mit CRISPR Therapeutics auf. CRISPR Therapeutics wurde 2013 von der französischen Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier mitbegründet, die 2012 zusammen mit der US-amerikanischen Biochemikerin Jennifer Dounda die Technologie zunächst bei Bakterien entdeckt und anschließend weiterentwickelt hatte. 2020 wurden beide Wissenschaftlerinnen für ihre Entdeckung mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet.
„Die erste von vielen Anwendungen“
„Ich hoffe, dass dies die erste von vielen Anwendungen dieser mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Technologie darstellt, um berechtigten Patienten mit schweren Krankheiten zugute zu kommen“, erklärte Samarth Kulkarni, CEO und Aufsichtsratsvorsitzender von CRISPR Therapeutics, das seinen Hauptsitz im schweizerischen Zug hat, während die Zentrale für Forschung & Entwicklung ebenfalls in Boston ansässig ist.
Wie die MHRA mitteilte, seien während der Zulassungsstudien „keine wesentlichen Sicherheitsbedenken festgestellt“ worden. Die Sicherheit werde „weiterhin von der MHRA und dem Hersteller genau überwacht“. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat für die Sichelzellanämie eine Entscheidung für den 8. Dezember angekündigt. Über den Einsatz der Therapie gegen die Beta-Thalassämie will sie am 30 März 2024 entscheiden. Frühere Studien haben gezeigt, dass die CRISPR/CAS-9-Technologie auch Gensequenzen verändert, die von den Forschern gar nicht anvisiert wurden (Off-Targeting). Ob oder inwieweit dieses Problem inzwischen gelöst wurde, darüber schweigen sich die Unternehmen in ihrer Mitteilung aus. DT/reh
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