Moskau

Fromme Soldaten

Krieg und Glaube: Über Tarnfleck-Soutanen und Luftlandekirchen in Russland. Die orthodoxe Kirche fühlt sich den Streitkräften verbunden.
Bischof Stefan mit jungen Soldaten
Foto: Imago Images | In der Hauptkirche der russischen Streitkräfte gehen Religion und Militärstrategie ineinander über: Bischof Stefan mit jungen Soldaten.

Mystische Gesänge, kerzenerleuchtete Kirchen mit goldfunkelnden Ikonen, das sind die Assoziationen, die zumeist beim Gedanken an die russisch-orthodoxe Kirche entstehen. Doch hin und wieder gehen auch Bilder im Netz viral, die khakigrün bemalte Feldkapellen auf Lkws zeigen oder Luftlandekirchen mit Ikonostas und orthodoxem Kreuz obenauf. Die Affinität der orthodoxen Kirche zu den russischen Streitkräften wirkt in den Augen der meisten westlichen Beobachter eher befremdlich.

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Auch der Umstand, dass der Bau der drittgrößten orthodoxen Kirche in Russland auf einer Unterseite des Verteidigungsministeriums angekündigt und beworben wurde – die „Kirche des Sieges“ wurde im Sommer dieses Jahres geweiht und besitzt den offiziellen Namen „Hauptkirche der Streitkräfte Russlands“. Ebenfalls in diesem Sommer wurden während des großen Militärforums „Armee 2020“ erstmals im Rahmen der Militärseelsorge Soutanen, Skufias, das sind die typischen Kopfbedeckungen der Priester, sowie Stolen in Tarnfleck, olivgrüne statt honiggelbe Kerzchen oder auch Beutelchen mit Tarnfleckmuster zur Aufbewahrung der persönlichen Gebetsschnur im Feld vorgestellt.

Gegenseitige Wertschätzung

Die Wertschätzung, welche die Kirche dem Verteidigungsministerium entgegenbringt, beruht auf Gegenseitigkeit. Im Jahre 1995 richtete der Heilige Synod eine besondere Abteilung mit Zuständigkeit für die Streitkräfte und Strafverfolgungsbehörden – mit der Unterstützung dieser Institutionen – ein, wohingegen ab 1996 an den Militärakademien des Landes begonnen wurde, russisch-orthodoxe Glaubenskultur an einer eigenen Fakultät zu unterrichten. Die Studierenden lernen die orthodoxen Grundlagen der Weltanschauung nicht nur im Glaubensleben und während der Teilnahme an Gottesdiensten kennen, sondern auch hinsichtlich des Aufbaus von Staat, Gesellschaft und Familie. Daneben ergänzen Exkursionen zu Museen und Klöstern den Unterricht.

Zunächst ruhte die Seelsorge für Angehörige der Armee, ob in der Kaserne oder im Feld, auf den Schultern von Gemeindepfarrern der einzelnen Diözesen. Sie wurden vorwiegend zu Militäreinheiten geschickt, die ihren Dienst in Tschetschenien, im Kosovo und anderen Krisenherden verrichteten.

Erst im Jahre 2009 ordnete der damalige Präsident Russlands, Dmitri Medwedjew, die Einführung von Militärgeistlichen an. So entstand am Theologischen Institut St. Tichon ein Zentrum für die Ausbildung von Militärseelsorgern. Diese entwickelten gemeinsam mit den Kommandos der Streitkräfte eine bemerkenswerte Experimentierfreude bei der Umsetzung von Ideen, wie man eine orthodoxe Kapelle mitsamt Priester und Ikonostas ins Feld bringen könnte:

Militärseelsorge als eine alte Tradition

Vor sieben Jahren testeten die Luftstreitkräfte im Rahmen einer „moralfördernden Übung“ den Einsatz einer orthodoxen Kapelle auf Rädern, nämlich montiert auf einem Lastwagen. Man wollte den Soldaten während der Übungen oder auch im Rahmen von Einsätzen in Konfliktgebieten „geistige Nahrung“ bieten. Es waren wiederum die russischen Luftstreitkräfte, die im Frühling des selben Jahres die Idee hatten, rund vierzig orthodoxe Priester mit Fallschirmen abspringen zu lassen und im Gefolge dieser Aktion eine aufblasbare Kirche auf einem Feld in der Region Rjasan zu errichten, wobei sie die Ikonostase und die typischen orthodoxen Kreuze mit Klettbändern befestigten. Neben dem geistlichen habe die Luftlandekirche auch einen taktischen, praktischen Nutzen, befand Boris Lukitschew, der Leiter der Direktion für pastorale Arbeit mit Gläubigen der russischen Streitkräfte bei dieser Gelegenheit: „Wozu ist diese Kirche gut? Entweder wirft man sie dem Feind auf den Kopf oder man nutzt sie zum Beten an der Front.“

Bereits unter Zar Peter dem Großen erhielt die geistlich-seelsorgerische Betreuung der kämpfenden Einheiten eine regulierte, institutionalisierte Struktur. Sie umfasst das gesamte Staatsgebiet und wurde nicht von einem Bischof, sondern von einem Erzpriester geleitet. In alter Zeit, zu den Anfängen der Staatsgründung, oblag sie Wundertätern und Mönchen, wie zum Beispiel dem heiligen Sergius von Radonesch, der im Jahre 1380 dem Großfürsten Dmitri Donskoi vor seinem entscheidenden Feldzug gegen die Goldene Horde den Segen erteilte. Die Tataren wurden zum ersten Mal geschlagen und noch dazu vernichtend – ein Verdienst, der durchaus nicht nur Fürst Donskoi zugeschrieben, sondern zudem auf den heiligen Sergius zurückgeführt wird. Mit Anbruch des bolschewistischen, atheistischen und kirchenfeindlichen Regimes in Russland wurden die Militärseelsorger durch „Kommissare“ ersetzt.

Militärseelsorge als Erfolgsgeschichte

Die Geschichte der Militärseelsorge in der postsowjetischen Ära ist dagegen eine Erfolgsgeschichte. Innerhalb von nur vier Jahren wurden siebzig weitere Vollzeitstellen für Militärpriester geschaffen. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre, seit Beginn der Bemühungen, hat man rund 200 Kirchen an Garnisonsstandorten errichtet. Neben circa 270 hauptamtlichen und ungezählten freiwilligen orthodoxen Seelsorgern arbeiten drei muslimische Geistliche sowie ein Buddhist in den Streitkräften – Russland ist immer noch ein multiethnisches, multireligiöses Land, auch wenn der orthodoxe Glaube eine prominente Stellung in der Gesellschaft einnimmt. Einen festen Platz nehmen während der alljährlich organisierten Truppenübungen die zu diesem Anlass zelebrierten Gottesdienste, Teilnahme auf freiwilliger Basis, ein.

„Alles, was getan wird, muss in Übereinstimmung mit der Charta der russisch-orthodoxen Kirche erfolgen.“

Was nun die Tarnfleck-Soutanen betrifft, so zeigte sich der Heilige Synod nicht besonders angetan von dieser Idee, mag sie auch noch so zweckfreundlich daherkommen. Vor allem im Donbass seien solche Soutanen von einzelnen Geistlichen bereits eingesetzt worden. Wir erinnern uns, in der Ostukraine herrscht weiterhin Krieg. Den Segen von oben gibt es für diese arg spezielle Kleidung von Militärgeistlichen aber nicht. „Alles, was getan wird, muss in Übereinstimmung mit der Charta der russisch-orthodoxen Kirche erfolgen und mit der Synodalabteilung für die Zusammenarbeit mit den Streitkräften und Strafverfolgungsbehörden abgestimmt werden. Das ist nicht passiert.“ Soweit Bischof Stefan, Leiter dieser entsprechenden Abteilung.

Wären wir jetzt bei uns und nicht in Moskau, könnte man sagen: Roma locuta, causa finita. Aber das ist nicht der Fall und so bleiben wir neugierig, was die orthodoxen Russen sich alles noch einfallen lassen werden, um Jesus Christus und die Heiligen unter das dienende und kämpfende Volk zu bringen. Mit Stuhlkreisen brauchen wir dazu aber mit Sicherheit nicht rechnen.

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