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Wenn nicht jedes Kind zählt

Das Pflegereformgesetz soll den Familien mehr Gerechtigkeit zukommen lassen. Dabei sind für die Ampel Kinder unterschiedlich viel wert.
Jedes Kind zählt
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Nach dem neuen Gesetz sind Kinder für den Berechnung der Beiträge für die Pflegeversicherung unterschiedlich viel wert.

Familie hört für die Ampel-Koalition beim 5. Kind auf - zumindest bei der Beitragsgestaltung der Pflegeversicherung. Nach der am Freitag im Bundestag beschlossenen Pflege-Reform haben nämlich nicht alle Familien etwas von der Neugestaltung der Beitragserhebung, die ab 1. Juli gelten soll.  

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Diese gibt es ohnehin nur, weil das Bundesverfassungsgericht vor über einem Jahr wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG eine Neufestsetzung der Beiträge für die Pflegeversicherung verlangt hatte. Die von der Kinderzahl unabhängige gleich hohe Beitragsbelastung für Eltern sei eine unzulässige Gleichbehandlung von Ungleichem. Schließlich steige der wirtschaftliche Erziehungsaufwand der Eltern mit jedem Kind, zudem werde die Benachteiligung beitragspflichtiger Eltern mit mehreren Kindern gegenüber solchen mit weniger Kindern innerhalb des Systems der Pflegeversicherung nicht hinreichend kompensiert. Die klare Vorgabe des Gerichts lautet also: den generativen Beitrag von Eltern honorieren, erst recht, wenn diese mehrere Kinder erziehen.

Jedes Kind zählt

Vom Kinderlosenzuschlag ausgehend, der von derzeit 0,35 Beitragssatzpunkten auf 0,6 Punkte kräftig erhöht wird, führt die Koalition tatsächlich eine Beitragsentlastung für Eltern ein. Wer ein Kind hat, ist zuschlagsfrei und darf lebenslang 0,6 Prozentpunkte weniger einzahlen. In diesem Tempo geht es aber nicht weiter: Eltern mit mehr als einem Kind erhalten zum einen eine geringere Entlastung (0,25 Prozentpunkte). Darüber hinaus ist diese zeitlich begrenzt bis zum 25. Lebensjahr des Kindes. Eine weitere Einschränkung: die Beitragsentlastung gilt nur für zweite, dritte, vierte und fünfte Kinder. Ab dem sechsten Kind gibt es gar keine Entlastung mehr.

Dabei könnte es doch so einfach sein: jedes Kind zählt, jedes Kind zählt gleich, jedes Kind zählt gleich lange. Für die Ampel aber ist (hoffentlich nur rein monetär gesehen) ein erstes Kind mehr „wert“ als ein zweites, und alles, was bei der Familiengröße über die Finger einer Hand hinausgeht, befindet sich außerhalb der Wahrnehmung. Dazu heißt es schlicht in der Begründung des Gesetzentwurfs: Familien mit fünf und mehr Kindern machten nur 0,6 Prozent aller Familien aus, und dieser Anteil sei „klein genug, um nicht weiter zu differenzieren“. 

Derselbe Aufwand

Ob die Abgeordneten wohl bedacht haben, dass erste wie zweite Kinder mit ihren künftigen Beiträgen die Pflegeversicherung von morgen finanzieren? Und dass die Sozialversicherungssysteme auch auf sechste, siebte und achte Kinder angewiesen sind? Und dass weder Lebensmittelhandel noch Bekleidungsindustrie danach differenzieren, ob der Kaba für das erste oder zweite Kind und die Turnschuhe für das fünfte oder sechste Kind gedacht sind? Der wirtschaftliche Erziehungsaufwand für die Eltern ist jeweils derselbe, auch wenn sich das Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PEÜG) weigert, dies anzuerkennen.

Offensichtlich bleibt wieder einmal nur der Gang nach Karlsruhe, um dem Gesetzgeber die Anwendung des Gleichheitssatzes für eine verfassungskonforme Gestaltung der Beiträge auszubuchstabieren.

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Cornelia Huber Bundesverfassungsgericht Deutscher Bundestag

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