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Warum in die Ferne schweifen?

Studien und Lebenserfahrung sind sich einig: Die ewige Suche nach dem Glück erfüllt sich am ehesten in der Familie und in erfüllenden Beziehungen.
Glückliche Familie
Foto: Imago / Zoonar | Das „eudaimonische“ Glück, das den Zustand von tiefstem Wohlbefinden und Glückseligkeit bezeichnet, findet der Mensch vor allem in erfüllten Familienbeziehungen.

USA Ende November 1846: Deutsche Auswandererfamilien bei der Donnerpassüberquerung in der Sierra Nevada. Die Geschichte endete in einer menschlichen Tragödie. Und doch zeigte sie schon damals, was heute nach der Covid-Pandemie in vielen Studien nachgewiesen wurde: Der starke Zusammenhalt von Familien sicherte das Überleben. Wie Frank Schirrmacher in seinem vielbeachteten Werk „Minimum“ schreibt, kommt der Anthropologe Donald Grayson bei seinen Studien über die Tragödie am Donnerpass zum Schluss, dass, je größer die Familie, desto größer die Überlebenswahrscheinlichkeit des Einzelnen war. Familien, so schlussfolgert Schirrmacher, waren der Garant fürs Überleben.

Hilfe in der Familie

Dass Familien durch gegenseitige Hilfestellungen, dem Sorgen für leibliches und seelisches Wohl bessere Überlebenschancen haben, ist einleuchtend. Aber sind Menschen, die in Familien leben, auch glücklicher als „Einzelkämpfer“ und Singles? Die nächste Frage wäre, wie man Zufriedenheit und Glück überhaupt messen kann. Anhand welcher Indikatoren kann die Lebenszufriedenheit festgestellt werden? Alexandra Wegscheider-Pichler von Statistik Austria betonte in einem Vortrag beim Österreichischen Institut für Familienforschung, dass die Messung von Glück subjektiv und mehrdimensional sei, da verschiedene Einflussfaktoren wie die individuelle und sozioökonomische Stimmung einberechnet werden müssten. Interessanterweise war die allgemeine Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 0-10 bei der befragten Bevölkerung ab 16 Jahren im Jahr 2020, also zu Beginn der Coronazeit, mit 8,1 Punkten am höchsten. Im Vergleich dazu lag sie 2017 bei 7,9. In den letzten beiden Jahren ist wieder eine leicht fallende Tendenz auf 7,9 zu beobachten. Die höchste Zufriedenheit nach verschiedenen Lebensbereichen ist bei den persönlichen Beziehungen mit 8,6 Punkten festzustellen, bei der finanziellen Situation des Haushaltes ist sie mit 7,3 Punkten am niedrigsten.

Auffällig ist, dass Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Lebenszufriedenheit offenbar in umgekehrtem Verhältnis zueinander stehen: Am Tiefpunkt des BIP im Jahr 2020 war die Lebenszufriedenheit mit 8,1 am höchsten. Bemerkenswert auch, dass die allgemeine Zufriedenheit 2022 bei Familien mit mindestens zwei Kindern einen Höchststand von 8,2 Punkte verzeichnete. Erwartungsgemäß befand sich mit 7,1 Punkten der Tiefststand bei Einelternhaushalten.

Studien zur Lebenszufriedenheit

Noch aussagekräftiger ist die Studie über Adult Developement der Harvard Universität, die bereits seit 1938 die Lebenszufriedenheit von ausgewählten Familien abfragt. Die Forscher verfeinerten ihre Methoden im Laufe der Jahrzehnte und dehnten die Studie aus, sodass sie heute drei Generationen und mehr als 1 300 Kinder der ursprünglichen 724 Mitwirkenden umfasst. Sie ist mittlerweile die längste tiefgehende Längsschnittstudie zum Leben des Menschen, die je durchgeführt wurde. Es wurden Tausende von Fragen gestellt und Hunderte von Messungen vorgenommen, um festzuhalten, was den Menschen wirklich gesund erhält und glücklich macht. „In all den Jahren der Studie hat sich ein Faktor als absolut entscheidend für die körperliche Gesundheit, die psychische Gesundheit und die Lebensdauer erwiesen“, so einer der Mitautoren der Studie, der Psychiater Robert Waldinger. „Und dieser Faktor ist im Gegensatz zu dem, was wahrscheinlich viele Menschen glauben, nicht der berufliche Erfolg, die regelmäßige Bewegung oder die gesunde Ernährung. Damit wir uns nicht missverstehen: Diese Dinge sind wichtig, sogar sehr wichtig. Doch eines ist noch wichtiger: Erfüllende Beziehungen.“

Was aber bedeutet Glück? Waldinger unterscheidet zwischen dem Begriff „Eudaimonia“, einem Zustand tiefsten Wohlbefindens und der Glückseligkeit, in dem der Mensch sein Leben als zielgerichtet und sinnhaft erfährt, und der „Hedonia“, aus dem sich der Begriff des Hedonismus ableitet und für das flüchtige Glück verschiedener sinnlicher Freuden steht. Wenn Menschen vom Glücklich-sein erzählen, ist der Psychiater überzeugt, meinen sie immer das eudaimonische Glück. Und dieses, so sagen es uns die Ergebnisse von 84 Jahren Harvard Studien, findet sich in erfüllten Beziehungen in der Familie.

Im starken Gegensatz dazu ist zu beobachten, dass die Einsamkeit in unserer digital vernetzten Welt immer mehr zunimmt. Waldinger spricht vom Gespenst der Einsamkeit und sozialen Isolation. Umso wichtiger sei es, herzliche und enge Beziehungen einzugehen, um „uns vor den Pfeilen und Schleudern des Lebens und Älterwerdens zu schützen“. Die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass die Menschen, die mit 50 Jahren am zufriedensten in ihren Beziehungen waren, mit 80 die sowohl geistig als auch körperlich gesündesten sind.

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Was ist Glück?

Die „Suche“ nach dem Glück führt uns unweigerlich auch zu der Frage, ob die Grundlage eines glücklichen Lebens ist, viel Geld zu besitzen. Viele würden spontan mit „Ja“ antworten. Alle Studien weisen aber darauf hin, dass zumindest das eudaimonische Glück nicht mit Geld gekauft werden kann. Interessant sind in dem Zusammenhang auch die Ergebnisse einer Studie des Gallup Forschungsinstituts in Zusammenarbeit mit der Princeton University, die aufzeigte, dass 75 000 Dollar offensichtlich eine magische Grenze bezeichnen. Familien, die mehr als dieses Jahreseinkommen verdienen, sind weder glücklicher noch zufriedener. Als Lebensbilanz nannten die Befragten im hohen Alter in der Harvard Studie nie ihre Erfolge im Beruf oder ihr Einkommen, sondern bezeichneten sich als glücklich, weil sie ihre goldene Hochzeit feiern durften und mit Stolz auf Kinder und Enkelkinder blicken konnten. Auf die Frage, was sie bedauerten, zu wenig oder zu viel getan zu haben, antworteten die Befragten am Ende ihres Lebens unisono, sie hätten sich gewünscht, mehr Zeit mit ihrer Familie verbracht zu haben. Als Konsequenz dieser Aussage plädieren die Studienleiter der Harvard Studie in ihrem Buch für soziale Fitness, oder anders ausgedrückt, für die sorgsame Pflege unserer Beziehungen. Auch wenn in der Studie aufgezeigt wird, dass das Zusammenleben in einer Familie durchaus komplex ist, so bringt es die Aussage eines Befragten auf den Punkt, als er zu seinem Neffen sagt: „Ich weiß, dass du stinksauer bist. Aber denke immer daran, dass niemand sich je mehr um dich sorgen wird als deine Eltern.“

Ähnlich sieht es der Bestsellerautor Robin Sharma in seinem neuesten Buch „Das Vermächtnis meiner Familie“, in dem er ein Plädoyer für den Wert der Familie hält und dabei praktikable Tipps gibt, wie Eltern Ihren Kindern helfen können, die großen Träume ihres Lebens zu verwirklichen. Liebe, Lob, Ermunterung und Vorbild sein, sind für Sharma nur einige der Eckpfeiler für ein gelungenes Familienleben. „Die Menschen sollten sich wieder auf ihr Familienleben besinnen und es an die erste Stelle setzen. Langsam verstehen die Leute, dass sie die gesellschaftliche Erfüllung, die sie früher aus ihrer Arbeit bezogen, in ihrem eigenen Zuhause finden. Es wird ihnen klar, dass sie die Vorteile einer Gemeinschaft nicht erst außerhalb ihres Zuhauses erleben können“, so Sharma.

Die kleinen Freuden

Der viel beachtete Autor geht streng mit der Jagd nach schnödem Mammon um: „Die Menschen haben vergessen, dass die kleinen Freuden im Leben wie der Zauber eines Kinderlachens das Wichtigste im Leben sind.“ Er plädiert für eine neue Familienkultur, die die familiäre Gemeinschaft zu einem Hort des Glücks machen kann. Dabei spielen zum Beispiel auch die Großeltern eine große Rolle. Die Weisen im Himalaya, so erzählt Sharma, wären nie auf den Gedanken gekommen, irgendwo ohne ihre Eltern zu leben. „Ihre Vorfahren waren ihnen eine ständige Quelle des Trostes, des Wissens und der Liebe!“

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Themen & Autoren
Alice Pitzinger-Ryba Anthropologinnen und Anthropologen Frank Schirrmacher

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