Wenn die Lehre der Kirche wahr ist, dann muss es auch Wege geben, diese Lehre zu leben“, sagte Josef Rötzer, der Begründer der ersten sympto-thermalen Methode zur Natürlichen Empfängnisregelung (NER), in Bezug auf die Enzyklika Humanae Vitae. Dass die Lehre der Kirche nicht nur lebbar, sondern für viele Paare der Weg aus der Krise und hin zum Glück ist, habe ich in zwanzig Jahren Paarseelsorge immer wieder erfahren. Wie viele Ehepaare durfte ich begleiten, die sich in schweren Krisen befanden und nicht selten vor der Scheidung standen.
Mit der Eheschließung sagen Mann und Frau ein bedingungsloses Ja zueinander. Das schließt das Ja zur Fruchtbarkeit und zur Natur von Mann und Frau mit ein. Wenn die Fruchtbarkeit entweder mechanisch umgangen oder chemisch unterdrückt wird, wird aus dem Ja bei der Eheschließung ein „Ja, aber“. Die Verhütung klammert einen wesentlichen Teil des Menschseins aus, indem die Fruchtbarkeit wie eine Krankheit behandelt wird, die umgangen oder ausgeschlossen werden muss. Durch diese Manipulation werden die Sinngehalte ehelicher Liebe – die Liebesbezeugung und die Offenheit für neues Leben – vom Menschen bewusst auseinandergerissen.
Bei der Natürlichen Empfängnisregelung hingegen beobachtet das Paar die natürlichen Abläufe im Zyklus der Frau und entscheidet im Sinne der verantwortlichen Elternschaft gemeinsam, ob ein weiteres Kind zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verantworten ist oder nicht – ohne in die natürlichen Abläufe einzugreifen. Dadurch ist die Natürliche Empfängnisregelung ein Mitwirken am Schöpfungshandeln Gottes – Verhütung hingegen ist ein Handeln gegen den Schöpfer. Darin liegt auch der eigentliche Unterschied zwischen Empfängnisverhütung und Empfängnisregelung: Bei der Verhütung werden die natürlichen Abläufe so manipuliert, dass ich mein eigenes Verhalten nicht zu ändern brauche. Bei der Empfängnisregelung hingegen beobachten Mann und Frau die körperlichen Abläufe und passen ihr Verhalten im Sinne verantwortlicher Elternschaft an die Gegebenheiten an.
Gebrauchen oder genießen
Papst Johannes Paul II. unterscheidet ausgehend vom heiligen Augustinus zwischen „uti“ („gebrauchen“) und „frui“ („genießen“). Die eine Haltung – uti – strebt nach der Lust um ihrer selbst willen, ohne Rücksicht auf das Subjekt. Frui hingegen findet Freude in der ganzheitlichen Zuwendung zum Subjekt, da genau dies von der Natur des Menschen gefordert ist. Das Liebesgebot weist im gegenseitigen Umgang von Personen verschiedenen Geschlechts innerhalb der Ehe den Weg zu diesem „frui“. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob eine Frau sagen kann, dass sie von ihrem Mann auch in ihrer Fruchtbarkeit angenommen wird, oder ob sie ihre Fruchtbarkeit manipulieren und wie eine Krankheit behandeln muss.
Es ist sicher nicht immer leicht, diesen Weg der Natürlichen Empfängnisregelung zu gehen. Aber: Dieser Weg bringt gute Früchte für die Ehe und für die Familie. Periodische Enthaltsamkeit bedeutet nicht Enthaltsamkeit, obwohl ich dich liebe, sondern: Enthaltsamkeit, weil ich dich liebe. Gerade jungen Menschen muss man sagen, dass gelebte Sexualität kein Problemlöser ist. Sexualität schafft keine Harmonie. Sexualität löst keine Probleme, sondern macht Probleme offenbar. Vielmehr müssen die Harmonie und der gegenseitige Respekt vorhanden sein, damit die liebende Vereinigung für beide, auch für die Frau, beglückend ist. Auf diese Weise erlebte, gemeinsam gelebte Sexualität wird die bestehende Harmonie verstärken und festigen. Dadurch wird die Sexualität eines Ehepaares tatsächlich eine Kraftquelle für die Anforderungen des Alltags und die täglichen Probleme und Aufgaben.
Fatale Reaktionen auf die Enzyklika Humanae Vitae
Die ablehnenden Reaktionen auf die Enzyklika Humanae Vitae durch Bischöfe im deutschen Sprachraum waren fatal. Auch heute mehren sich innerkirchlich die Stimmen, die die Inhalte von Humanae Vitae nicht nur aufweichen wollen, sondern es sogar als geboten sehen, Verhütungsmittel unter bestimmten Bedingungen zu empfehlen. Aus persönlicher Erfahrung als Familienseelsorger und Referent für Natürliche Empfängnisregelung muss ich dazu sagen: Die Feststellung, dass Humanae vitae und die NER nicht lebbar sei, kommt nicht selten von Leuten, die sich nicht wirklich mit NER befasst haben oder sie aus ideologischen Gründen ablehnen. In meiner seelsorglichen Beratung sind mir in all den Jahren nur ganz wenige Paare untergekommen, denen mit NER nicht geholfen werden konnte. Das hing meist mit medizinischen Gründen zusammen, die mit Verhütungsmitteln auch nicht gelöst hätten werden können.
In der seelsorglichen Begleitung ist praktisch immer eine Neubelebung der Ehe zu beobachten, wenn Paare den Weg zur Theologie des Leibes und zur Natürlichen Empfängnisregelung finden. Die Gabe eines neuen Anfangs ist tatsächlich möglich, wenn die Bedeutung der Leiblichkeit und die Sexualität entsprechend gelebt werden. Dadurch entsteht ein neues Bewusstsein für den Leib, womit nicht selten eine Erneuerung der Ehe verbunden ist. Daher ist meine persönliche Überzeugung, dass grundsächlich jedes Paar „Humanae vitae“ leben könnte, wenn es eine entsprechende Anleitung und Begleitung bekäme. Ich bin überzeugt, dass so auch viele Scheidungen verhindert werden könnten. Von daher ist es eine schwere Unterlassung, den Paaren die Lehre von „Humanae Vitae“ und die „Theologie des Leibes“ vorzuenthalten. Die Kirche würde schwere Schuld auf sich laden, wenn sie Verhütungsmittel erlauben würde. Positiv formuliert: Es muss unsere Plicht und unser Bemühen sein, möglichst vielen Paaren diesen ehelichen Weg nach dem Plane Gottes zu eröffnen, um so beizutragen, dass Ehen immer tiefer gelingen und sogar geheilt werden können.
Zufrieden mit NER
Jene Paare, die die tatsächliche kirchliche Lehre zur Sexualität kennengelernt haben und auch ganz konkret und konsequent umsetzen, sind laut der europäischen Rhomberg-Studie überwiegend (über 95 Prozent) mit NER glücklich und zufrieden, 99 Prozent empfehlen NER weiter. Es ist bezeichnend, wenn junge Theologen hingegen berichten, dass in ihrem Studium Natürliche Empfängnisregelung mit dem Satz abgetan wurde, sie sei unsicher und den Leuten nicht zumutbar und letztlich sei es die Gewissensentscheidung der Paare, ob sie Verhütungsmittel verwenden oder nicht. Die allermeisten – auch katholischen Paare – leben in verschiedenen Formen eine Weise der Verhütung. Es bleibt ihnen auch keine andere Wahl, weil die, die es besser wissen müssten, über Jahrzehnte zu dem Thema geschwiegen haben. Welche Aufgabe haben wir also, die wir als Kirche, als Lehrende, als Verkünder, als Missionare, als Ehepaare Zeugnis geben sollen?
Wir müssen uns ganz bewusst mit dem Thema Sexualität befassen, um die uns anvertrauten Menschen auf ihrem Weg zur Heiligkeit zu begleiten und sie auch in Bezug auf die Sexualität nicht alleine zu lassen. Dazu müssen wir den Schatz, den Papst Johannes Paul II. uns mit der „Theologie des Leibes“ und dem postsynodalen Schreiben Familiaris consortio hinterlassen hat, immer wieder neu heben. Wir selbst müssen verstehen und verständlich übersetzen, was die tatsächliche Lehre der Enzyklika Humanae vitae beinhaltet. Wir haben es nicht nötig, zu moralisieren. Sehen wir die Realität und argumentieren wir auf der Vernunftebene – ohne dabei unsere Glaubensüberzeugung zu verschweigen.
Paare bei der Einhaltung des Eheversprechens unterstützen
Seelsorge für Paare sollte dadurch motiviert sein, Paare dabei zu unterstützen, ihrem Eheversprechen treu zu sein. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ehe eines Paares, mögen die beiden auch schwere Krisen durchmachen, immer gerettet werden kann, wenn sich das Paar kompetente Hilfe von außen holt und diese auch annehmen kann. Es braucht ausgebildete Multiplikatoren und Fachleute, die besonders in der Ehevorbereitung das Wissen über die Natürliche Empfängnisregelung in ansprechender Weise weitergeben. Es gehört in die Priesterausbildung und in die Studienpläne der Theologischen Fakultäten, zumindest grundsätzlich über die biologischen Abläufe im Zyklus der Frau und die Fruchtbarkeit des Paares informiert zu werden. In jeder Pfarrei sollten Beraterinnen tätig sein, die kompetent in Fragen der Natürlichen Empfängnisregelung Auskunft geben und Paare in dieser Lebensweise unterrichten können.
In Ausbildung und Erziehung dürfen wir nicht versäumen, jungen Menschen zu vermitteln, dass die gelebte Sexualität ganz natürlich ihren richtigen Platz in der Ehe hat und gleichzeitig, dass Sexualität etwas Wunderschönes ist. Die sexuelle Lust ist keine Folge der Erbsünde, sondern durfte aus dem Paradies herübergerettet werden – Gott sei Dank! Im Vordergrund muss die wahre Liebe stehen, die reine Lust darf und soll ganz selbstverständlich dazukommen.
Sprachlosigkeit von Eltern
Als Kirche haben wir den Auftrag, die von Gott geoffenbarte Wahrheit in Bezug auf die Ehe und die Würde des Menschen, die seiner Gottebenbildlichkeit entspringt und entspricht, zu vermitteln und zu verteidigen. Das geht vor allem über eine Familienpastoral, die sich an dem Bedürfnis der Paare nach gelungener Sexualität und Intimität orientiert. Wenn ein Paar gerade durch die Natürliche Empfängnisregelung gelernt hat, in einer der Würde und Heiligkeit der Sexualität angemessenen Sprache zu sprechen, dann werden sie auch in der Lage sein, mit ihren Kindern in entsprechender Weise über die Schönheit und Bedeutung von Sexualität und Ehe zu sprechen. Die immer wieder zu beobachtende Sprachlosigkeit von Eltern gegenüber ihren Kindern in diesen Bereichen ist oft darin begründet, dass nicht einmal Paare eine gemeinsame, schöne und klare Sprache über die Sexualität finden. Auch kann man ihnen mit der Theologie des Leibes diese Sprache an die Hand geben. Reden wir viel über die Schönheit, Bedeutung und Würde der Sexualität, die in gottgewollter Weise gelebt wird. Denn hier haben wir ein Alleinstellungsmerkmal.
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