Die Klima-Thematik erhitzt die Gemüter und treibt seltsame Blüten. Zum Beispiel die Ginks-Bewegung (green inclination no kids – keine Kinder der Umwelt zuliebe). Um den „Planeten zu retten“ sollen keine oder weniger Kinder geboren werden. Das spare CO2 und vieles mehr (unter anderem auch Geist und Intelligenz). Abgesehen von Selbstrechtfertigungsversuchen feministischer Lebensentwürfe feiert in diesen Ideen ein Gespenst sein Comeback. Es war der anglikanische Pastor Thomas Robert Malthus (1766–1834), der 1798 sein statisches Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs, das zentrale Element der malthusianischen Theorie, veröffentlichte und damit den Keim vom Mythos der Überbevölkerung legte: Je weniger Menschen, umso weniger Armut. „Es ist ein ewiges Naturgesetz“, schrieb er, „dass ein Teil der Menschen Not leiden muss. Die Unglücklichen haben in der großen Lotterie des Lebens eben eine Niete gezogen.“
Das dümmste Buch der Weltliteratur ist das „Bevölkerungsgesetz“
Noch in den Studien „Grenzen des Wachstums“ und „Global 2000“ des Club of Rome fand es nachhaltigen Niederschlag und heute wird es schlicht auf das Klima und die Umwelt angewandt. Dabei zog Malthus wissenschaftlich selber eine Niete. Denn die fatalen Theorien des Thomas Robert Malthus sind längst und mehrfach widerlegt, „das dümmste Buch der Weltliteratur“ nannte Werner Sombart schon das „Bevölkerungsgesetz“ des englischen Gelehrten. Es war eigentlich sogar schon lange vor Erscheinen widerlegt durch die Arbeiten des deutschen Demografen Johann Peter Süßmilch (ein evangelischer Pastor) und sein Buch über die Tragfähigkeit der Erde, erschienen 1741, mit erstaunlich genauen Berechnungen. Der derzeit renommierteste Demograf, Herwig Birg, hat die beiden in interessanter Weise gegenübergestellt („Die ausgefallene Generation – Was die Demographie über unsere Zukunft sagt“, 2005). Und dennoch finden sich stets Politiker und, wie Herwig Birg sagt, „Gelegenheitsdemographen“, die beim Thema Bevölkerungswachstum immer noch warnend die Stimme heben, während das Schrumpfen der Germanen fast freudig begrüßt wird.
Es ist eine absurde Debatte. Denn die Geburtenzahlen in Westeuropa weisen nach unten und das ist das wirkliche Problem. Man hat bei den planetar denkenden Umweltideologen dann schnell das Argument zur Hand, dass das Schrumpfen der Bevölkerung in Europa durch das Wachstum in Afrika oder Asien neutralisiert werde. Herwig Birg meint dazu lakonisch: Das wäre so, wie wenn man mit einem Bein in einem Eimer voll heißem und mit dem anderen in einem Eimer mit eiskaltem Wasser stünde. Insgesamt stimme die Temperatur, trotzdem sei das kein angenehmes Gefühl. Und es ist nicht nur eine Frage des Gefühls, wie die Ginks-Jünger meinen.
Offener Wissenschaftsdiskurs kann realistische Perspektive entwickeln
Es geht um harte, wirtschaftlich und für die Sozialsysteme relevante Fakten, mithin um Wohlstand, Lebensverhältnisse und Lebensart jenseits der ökologisch ungefährlichen Steinzeithöhlen. Stichwort Facharbeitermangel oder Rentensystem. Im Übrigen gilt, was Hubert Hecker auf katholisches.info (katholisches.info in einem sehr lesenswerten Aufsatz über die „Ursachen des Klimawandels“ schreibt: „Angesichts der massiven Unklarheiten über die Ursachen der aktuellen Warmzeit wäre eine Verstärkung der unvoreingenommenen Forschung notwendig. Nur bei einem offenen Wissenschaftsdiskurs kann eine realistische Perspektive entwickelt werden, was menschliche Aktivitäten bewirken können und worauf sie sich konzentrieren sollten. Doch statt Forschung sine ira et studio und sachorientiertem Diskurs verbreiten Klima-Zeloten eine apokalyptische Panikmache. Die ist von Politikern wie Al Gore angefacht worden, wird von den links-liberalen Medien hochgekocht und neuerdings von minderjährigen Hitzköpfen mit wutverzerrten Brandreden zum Siedepunkt gebracht.“
Das wirklich haus- und menschengemachte Problem der industrialisierten Welt ist das demografische Defizit. Hier zeigen die offiziellen Zahlen von Eurostat und des Statistischen Bundesamtes einen unverändert negativen Trend für Deutschland auf. Demnach verharren die Geburtenraten der Frauen deutscher Staatsangehörigkeit (zu denen auch viele mit Migrationshintergrund gehören) auf dem niedrigen Niveau von 1, 4, das seit Jahrzehnten für Deutschland typisch ist. Das Institut für Demografie, Allgemeinwohl und Familie (i-daf.org) schreibt dazu: „Damit wird der Generationenersatz um rund ein Drittel verfehlt, die Bevölkerung überaltert dramatisch und große und traditionsreiche Regionen in Deutschland veröden.
Dass die Geburtenraten insgesamt gestiegen sind, liegt de facto nur an der Massenzuwanderung. In deren Folge sind die Geburtenraten der Ausländerinnen 2014—2016 auf weit über 2 Kinder pro Frau gestiegen. Das Phänomen können Demografen leicht erklären. Seit langem beobachten sie, dass Zuwanderinnen oft kurz nach ihrer Immigration sehr hohe Geburtenraten aufweisen. Die Gründe dafür liegen nahe, nicht zuletzt ist es der Wunsch nach Aufenthaltsverfestigung (Schutz vor Abschiebung etc.). Zu dieser Art von Geburtenboom verhält sich die Bundesregierung wohlweislich still, denn allzu offensichtlich sind seine Neben- und Folgeprobleme, gerade im Blick auf die Schulen, die mit der Integration immer mehr überfordert werden.“
Klare Familienpolitik in Ungarn, Tschechien und Polen
Ähnlich ist es in Frankreich, das mit einer Geburtenrate von 2, 0 lange Zeit als demografisches Ausnahmeland galt. Mitte September veröffentlichte das Statistische Institut INSEE die neuesten Zahlen und demnach sinken die Zahlen seit acht Jahren kontinuierlich auf 719 737 für 2018, das entspricht 1, 84 Kindern pro Frau. INSEE schlüsselt die Zahlen auf und kommt auf eine Geburtenrate von 1, 65 für Frauen, die selber in Frankreich geboren sind, und von 3, 12 für Frauen, die im Ausland geboren sind. Gegen den Trend in Gesamteuropa verlaufen die Zahlen in Ungarn, Tschechien und Polen. Diese Länder betreiben eine klare Familienpolitik nach den Kriterien Leistungsgerechtigkeit und Staatszugehörigkeit oder kulturelle Identität.
Wie immer bestimmt ein Bündel von Überlegungen das generative Verhalten. Schlüsselfaktoren für die Geburtenentwicklung aber sind heute auf jeden Fall die wirtschaftliche Situation und das sozio-nationale Umfeld. Weniger Kaufkraft durch Kappen von Transferleistungen sowie das Gefühl einer steigenden Unsicherheit dürften für den aktuellen Geburtenschwund in Frankreich ausschlaggebend sein. In Tschechien dagegen herrscht Vollbeschäftigung, in Ungarn und Polen haben die Regierungen die Kaufkraft der Familien nach dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit erhöht und damit auch die Wirtschaft angekurbelt. Es sind auch die Länder, die die Migrantenströme kontrollieren wollen und nicht ohne Bedingungen willkommen heißen. In Südeuropa und besonders in Italien stecken Wirtschaft und Arbeitsmarkt dagegen tief in der Krise und die ohnehin niedrige Geburtenrate rutscht weiter ab. Einen starken Rückgang der Geburtenrate trotz relativ guter Wirtschaftslage erlebt dagegen Irland. Hier ist offensichtlich der Verlust an katholischer Identität und Familienwerten eine wichtige Ursache.
Wunsch auf Familiengründung ernst nehmen
Genau diese Ursachenanalyse greift der Dachverband der katholischen Familienverbände Europas auf seiner jüngsten Tagung letzte Woche in Brüssel auf. In einem Appell ruft der Vorstand alle Entscheidungsträger in Europa auf, einen „Natalitätspakt für Europa“ zu vereinbaren, der sicherstellen soll, dass Eltern und Erziehungsberechtigte nicht durch Politik und öffentliche Maßnahmen an der Wahrnehmung ihrer Rechte und Verpflichtungen gehindert werden. Vielmehr sollten Politiker auf allen Ebenen „die konkreten und legitimen Wünsche junger Leute, eine Familie zu gründen“, ernst nehmen. Dieser Wunsch könne allzu oft durch kulturelle und wirtschaftliche Gründe nicht verwirklicht werden.
Auch sollten Politik und Wirtschaft auf eine Gesellschaft hinarbeiten, „in der Familien durch ihre Erziehungsarbeit eine faire finanzielle Anerkennung für ihren Dienst an der Gesellschaft“ erfahren und in der die „Infrastrukturen und Arbeitszeiten es den Familien ermöglichen, ihren Kinderwunsch zu erfüllen“.
Ferner appellieren die katholischen Verbände an die Politik, bei der Umsetzung der neuen Richtlinien der EU-Kommission zur Work-Life-Balance auf die nationalen Besonderheiten zu achten, so dass die Familien in ihrer Wahlfreiheit nicht beeinträchtigt würden. So sollte das „Stillenkönnen gesichert“ sein und überhaupt die Bindungsbedürfnisse der Kinder zu ihren Müttern und Vätern „voll anerkannt“ werden. Generell sollten „die Regierungen ihre Familien- und Bevölkerungspolitik überprüfen und verbessern“, denn diese seien zu betrachten als eine „soziale und wirtschaftliche Investition in die Zukunft Europas“.
Klima-Veränderung in den Beziehungen haben weder Politik noch die Klima-Ideologen auf dem Schirm
Dieser Aufruf, der auch vom deutschen Familienverband der Katholiken unterzeichnet ist, greift Notwendigkeiten der Familien-und Gesellschaftspolitik in Europa auf. Man könnte noch manche Erkenntnis hinzufügen, etwa dass die Gesellschaft ohne Kinder kälter und emotional ärmer wird. Diese Klima-Veränderung in den Beziehungen haben weder Politik noch die Klima-Ideologen auf dem Schirm. Die Tatsache, dass die neue EU-Kommission auch einen Kommissarsposten hat, in dessen Aufgabenfeld die Demografie eigens erwähnt und ihr also eine besondere Rolle zugewiesen wird, lässt Hoffnung aufkommen, dass nicht nur in Osteuropa das Problem erkannt und in Angriff genommen wird.
Allerdings sollte man den Tag nicht vor dem Abend loben. Zum einen steht die Kommission noch nicht und zum anderen hat sich die EU bisher eigentlich nicht als familienfreundlich hervorgetan. Eher sah man Familienpolitik als Faktor des Arbeitsmarktes und der Sozialsysteme. Es kann auch sein, dass die Funktionäre der EU Familie jetzt durch die malthusianische Klimabrille sehen. Das wäre fatal. Für die Familie und für Europa.