Erhard Mühlan ist Gründer von Team F. Außerdem haben er und seine Frau Claudia dreizehn Kinder. Im Tagespost-Interview spricht Herr Mühlan darüber, worin das Fundament einer guten Erziehung besteht.
Herr Mühlan, gemeinsam mit Ihrer Frau Claudia haben Sie „Das große Familienhandbuch“ geschrieben und in Ihrem Verlag bieten Sie weitere Medien rund um die Familie an. Was sind die wichtigsten Elemente für die Kindererziehung?
Ich halte drei Bausteine für ganz wesentlich zum gesunden Aufwachsen: Einmal seelische, emotionale Geborgenheit, dann eine Anleitung zum eigenständigen Leben und als Drittes das Akzeptieren und Leben auch in Grenzen, die nicht ausbleiben im Leben. Mit dem Bild des Familienhauses sieht man auf den ersten Blick, was elementar wichtig ist. Denn wenn es am Fundament hapert, wird die Erziehung zur Eigenständigkeit nur Drill und Grenzensetzen nur harte Strafe.
Können Sie die einzelnen Bausteine näher beschreiben?
Man beginnt mit dem Fundament, und das sind die guten Beziehungen: eine gute Familienatmosphäre, emotionale Geborgenheit, das ganz Alltägliche wie Zeit füreinander haben, scherzen, spielen, miteinander etwas unternehmen und kuscheln. Dann geht es darum, im Zusammenleben ein gutes Team zu bilden. Das fängt bei kleinen Dingen an: Zum Beispiel hilft beim Abendessen jeder mit, und man geht erst auseinander, wenn alles wieder eingeräumt ist. Hier lernt man auch viel an Teamfähigkeit und Eigenständigkeit, was für das spätere Berufsleben unabdingbar wichtig ist. Leben in Grenzen schließlich heißt, es gibt Familienregeln. Je größer die Familie wird, umso mehr muss man sich absprechen und Bequemlichkeit, Eigenwillen und Ähnliches überwinden und akzeptieren, dass es auch Grenzen gibt.
Wie ist diese Einteilung des Familienhauses entstanden?
Ich habe Ende der 1960er Jahre in der Zeit der Studentenunruhen Pädagogik studiert. Als aktiver Christ wollte ich nicht nur reden und demonstrieren, sondern auch etwas tun. Deswegen haben wir in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt sechs kleine Geschöpfe aufgenommen, und da musste ich alles, was ich studierte, gründlich durchdenken. So bin ich auf die drei Bausteine und die Abbildung mit dem Familienhaus gekommen und habe erkannt, dass das ein gutes Muster ist, an dem wir unser Familienleben orientieren können.
Ihre Familie ist weitergewachsen: Zu den sechs angenommenen kamen im Laufe der Zeit sieben leibliche Kinder. Was hat Sie motiviert, in der turbulenten Familienphase Bücher zu schreiben?
Das ist aus unserer persönlichen Alltagserfahrung heraus gewachsen. Ich habe gemerkt, dass es mir Spaß macht zu schreiben. Unser Anliegen dabei war es, anderen Eltern zu helfen.
Was ist denn in der überarbeiteten Neuauflage des Familienhandbuchs anders?
Die Neuauflage haben wir sehr intensiv überarbeitet und aktualisiert, immer mit dem Bemühen, gute und ausgewogene Ratschläge zu geben. Zum Beispiel haben wir bei der Kleinkinderziehung die Thematik der Bindungsforschung und Gehirnentwicklung ergänzt, denn in diesem wichtigen Bereich hat sich viel getan. Und eine unserer Töchter steuerte einen persönlichen Brief an die Eltern von Teenagern bei.
Sie können auf eine lange Zeitspanne als Autoren und in der Erziehung zurückblicken. Welche gesellschaftlichen Veränderungen stellen Sie fest?
Ganz einschneidend sind die Sozialen Medien. Die Medienerziehung ist in meinen Augen die größte Herausforderung für heutige Eltern. Ganz aktuell geht es um die Folgen von Corona, das Leid der Kinder, und auch die Kriegssituation, um die sich Kinder viele Gedanken machen. Es ist wichtig, dass das vom Familienfundament her mit aufgefangen wird. In Familienleben und Partnerschaft stelle ich im Vergleich zu früher ein größeres Engagement von Männern fest. Junge Väter übernehmen heute mehr Verantwortung.
Was ist heute in der Erziehung besonders wichtig?
Ich beobachte sehr gerne die Sprachentwicklung bei meinen Enkeln. Das ist faszinierend. Zur Sprachentwicklung gehört, sich immer wieder bewusst dem Kind zuzuwenden, ihm in die Augen schauen, aufmerksam zu sein und es zu ermutigen. Durch die Sozialen Medien muss man sehr bewusst darauf achten. Man sieht kaum eine Frau mit Kinderwagen, die nicht gleichzeitig telefoniert.
Weiterhin rate ich Eltern immer noch, einen guten Blick auf ihre Söhne zu halten, was die sprachliche und emotionale Entwicklung, den Umgang mit Gefühlen betrifft, damit sie mit den Mädchen mithalten können.
Eine Besonderheit im Familienhandbuch sind verschiedene Anregungen für die Eltern als Paar. Das ist ein ungewöhnliches Thema für ein Erziehungsbuch.
Eine gute freundschaftliche, erotische Ehebeziehung ist wie ein Motor, damit es leichter fällt, auch mit den Kinderherausforderungen umzugehen. Wir waren so jung verheiratet und hatten mit einem Schlag sechs Kinder! Uns war es ein fester Vorsatz, an der Ehebeziehung zu arbeiten und nicht in die Falle zu laufen, uns nur um Kinder und Kindersorgen zu drehen und uns gegenseitig aus den Augen zu verlieren. Damit sind wir gut durchgekommen. Wir haben schon lange unsere goldene Hochzeit gefeiert.
„Mit dem Bild des
Familienhauses sieht man auf den ersten Blick, was elementar wichtig ist. Denn wenn es am Fundament hapert, wird die Erziehung zur Eigenständigkeit nur Drill und Grenzen setzen nur harte Strafe.“
Außerdem bringen Sie immer wieder die christliche Perspektive ein.
Das beruht auf meiner persönlichen Gottesbeziehung. Ich habe mein Leben lang Halt und Stärke aus meinem Glauben geschöpft. Ich weiß nicht, ob wir das alles geschafft hätten ohne diesen Gottesbezug.
Was sind Merkmale eines christlichen Familienlebens und einer christlichen Erziehung?
Wichtig ist ganz viel Authentizität, gerade auch in schwierigen Situationen. Unsere Kinder haben uns immer wieder bescheinigt, dass wir über alles reden konnten und nicht den Eindruck erweckten, Patentantworten zu haben. Der Elterntypus und die Frömmigkeitsformen sind verschieden, aber entscheidend ist Folgendes: sehr viel Offenheit, sehr viel Lockerheit, Echtheit.
Sie und Ihre Frau sind Mitbegründer der Familienorganisation Team.F und der Team.F Akademie. Was ist der Hintergrund von Team.F?
Das Hauptanliegen dieser freikirchlich-überkonfessionellen Bewegung ist es, Ratschläge zu christlichem Ehe- und Familienleben weiterzugeben. Inzwischen bieten etwa 1 000ehrenamtliche Mitarbeiter eine breite Spanne an Themen an. Bei der Akademie kann man eine berufsbegleitende praxisorientierte Ausbildung zum Fachreferenten machen. (siehe auch Seite 26 am 30. März 2023, A.d.R.)
Ein weiterer Schwerpunkt Ihres Schaffens ist die interkulturelle Ethik. Worum geht es hier?
Wir hatten immer wieder bikulturelle Paare bei unseren Eheseminaren. Diese Paare spiegelten uns, dass ihnen etwas fehlt, nämlich Ausführungen zu den unterschiedlichen Kulturen. Das hat unseren Blick geöffnet für die interkulturelle Ethik und Beziehungen. Ich habe dann noch Religionswissenschaften studiert und promoviert, und wir bieten nun Seminare für interkulturelle Paare an. Solche Paare müssen noch flexibler, wandlungsbereiter, toleranter und offener sein.
Eberhard Mühlan ist Pädagoge und promovierter Religionswissenschaftler mit Schwerpunkt interkulturelle Ethik, Claudia Mühlan ist Familienberaterin und Persönlichkeitscoach. In mehr als 30 Erziehungsjahren hat das Ehepaar insgesamt 13 Kinder (sieben leibliche und sechs angenommene) erzogen. Claudia und Eberhard Mühlan haben mehrere Bücher über Ehe und Familie veröffentlicht. Die Mitbegründer der christlichen Familienorganisation Team.F sind als Referenten und Dozenten tätig.
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