Zuerst die gute Nachricht: Das Smartphone ist eine vorübergehende Erscheinung. Ist ein Kind heute klein genug, dann könnte der Wunsch, ein Smartphone zu besitzen, nie aufkommen. Smartphones könnten in wenigen Jahren out sein oder gar nicht mehr existieren. Was dem Smartphone folgen wird, ist derzeit kaum abzusehen. Derzeit noch experimentelle Umgebungen, wie das Metaverse, verlangen ganz andere Geräte. Doch vorerst bleibt es mal bei der Frage: Soll man Kindern ein Smartphone geben? Eindeutig ja. Wenn auch unter gewissen Voraussetzungen, wie im Folgenden ausgeführt wird. Jeglicher Versuch, diese Geräte aus dem Leben der Kinder komplett herauszuhalten, führt nur zu einem gesteigerten Interesse, das schädlich werden kann. Die Antwort auf elterliche Sorgen lautet Medienerziehung. Schauen wir zurück in das Haus einer gedachten bronzezeitlichen Familie der mittleren Oberschicht: Abends erzählt der Großvater Geschichten. Nur der Jüngste im Raum hört nicht zu. Er hat eine Rolle Papyri auf dem Schoß und liest. Der Großvater wettert gegen diese moderne Erfindung. Das Gedächtnis der Kinder wird grausig sein. Wer muss sich noch Geschichten merken, wenn man sie auch aufschreiben kann?
Smartphones: Bildung ergänzen, nicht ersetzen
Jahrtausende später lernten Kinder in der Schule immer noch Gedichte auswendig, weil man trotz Papier um den Wert der Gedächtniskultur wusste. Dass sich das geändert hat, ist ein eigenes Problem! Zurück zur Generation Smartphone. Nicht die Tatsache, dass wir alles Wissen zu allen Zeiten an allen Orten auf Klick zur Verfügung haben, ist das Problem, sondern dass wir seit Jahrzehnten Kinder in der Schule die grundlegenden Kulturtechniken Schreiben, Lesen, Rechnen nur unzureichend lehren. Auf Gedächtnisbildung wird erst gar kein Wert mehr gelegt. Nicht die neue Kulturtechnik, hier das „Googlen“ von Informationen, ist das Problem, sondern das Vergessen etablierter Techniken. Kein Smartphone stellt Wissen so schnell zur Verfügung wie unser Gedächtnis. „Dreidreidrei bei Issos Keilerei“ – wer das im Kopf hat und damit ein paar Infos zu dem damaligen Geschehen hinterlegt hat, spart sich viel Lebenszeit. Mehr noch, je mehr lexikalisches Wissen ein Mensch im Kopf hat, umso erfolgreicher ist er bei der Nutzung des Netzwissens.
Man erkennt hier recht schnell, wozu das Internet (konkret: das Smartphone) gut ist und wozu nicht. Das Smartphone kann eine gute humanistische Bildung nicht ersetzen. Der Satz gilt allerdings auch umgekehrt. Es geht nicht darum, etwas gegeneinander ausspielen, sondern vielmehr darum, aufeinander aufzubauen. Damit zeigt sich ganz logisch, ab wann solche Geräte sinnvoll sind. Ein eigenes Smartphone ist dann und erst dann sinnvoll, wenn ein Kind fremde Texte sinnerfassend lesen kann. Neuere Kulturtechniken müssen auf älteren aufbauen und nicht umgekehrt. Der unangemessene Einsatz von Smartphones ist durch deren Fähigkeit, Sprache zu interpretieren, nicht unschuldig an einem sich bei jungen Leuten massiv ausbreitenden funktionalen Analphabetismus. Ganz zu schweigen davon, dass eine ganze Generation von Mittzwanzigern mehrheitlich noch nie in ihrem Leben ein Buch gelesen hat. Der Irrweg ist hier nicht die Anwesenheit des Smartphones, sondern die Abwesenheit des Buches in der Kindheit. Eltern können etwas daran tun, indem sie Vorbilder sind. Ferner kann man Sprachnachrichten der Kinder im Messenger ignorieren und zu korrekt formulierten schriftlichen Nachrichten in ganzen Sätzen anhalten.
Gemeinsam Regeln für Eltern und Kinder finden
Wichtig ist vor allem zu Anfang, regelmäßig mit dem Kind zu schauen, welche Apps installiert sind. Man sollte sich nicht scheuen, auch das eigene Smartphone gemeinsam zur Hand zu nehmen und auch seinem Kind kritische Fragen zu erlauben. Ein weiteres Problem ist, dass das Smartphone eine elektronische Fußfessel für das Kind ist. Wenn wir in den 70er-Jahren nach der Schule nicht pünktlich nach Hause kamen, konnten wir uns des Fußballspiels im Park erfreuen und waren bis zum Passieren der Wohnungstür vor mütterlichen Standpauken sicher. Das Essen war zwar kalt, aber die Tore konnte man ungestört schießen. Jede heutige Mutter, deren Kind eine Minute überfällig ist, greift intuitiv zum Smartphone: „Wo bleibst Du?“ Für Kinder der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein Gruselszenario.
Für heutige Kinder ist es das nicht weniger, doch sie kennen diese Freiheit gar nicht. Ein neuer Trend kommt in den USA auf: Jugendliche, die die Nutzung eines Smartphones verweigern, weil sie sich nicht mehr in die Fesseln von sozialen Medien schlagen lassen möchten. Auch wenn davon auszugehen ist, dass der Trend nach Deutschland kommt, wird er sicher keine Massenbewegung. Aber es ist ein Signal: Ein Mindestmaß an Gelassenheit in der einen wie in der anderen Richtung ist gut und sinnvoll.
Sinnvoll sind auch Grenzen. Kinder können ebenso wie ihre Eltern nicht den ganzen Tag arbeiten, nicht den ganzen Tag lesen, nicht den ganzen Tag schreiben und nicht den ganzen Tag online sein. Während den ersten Punkten jeder zustimmt, ruft der letzte Stirnrunzeln hervor. Das mobile Internet ist Segen und Falle. Zeiten des Verzichts auf die Verwendung des mobilen Geräts sind ebenso Kulturtechniken wie der kompetente Einsatz der Geräte. Zonen und Zeiten, die frei von Smartphone sind, öffnen neue Räume und Möglichkeiten. Das geht nur mit fairen Vereinbarungen. Ist beispielsweise das Wohnzimmer oder der Esstisch frei von Smartphones, haben auch die Geräte der Eltern hier keinen Zutritt oder die Vereinbarung ist bald dahin.
Grenze zwischen Körper und Gerät aufrechterhalten
Auch wir Erwachsenen haben zuweilen vergessen, dass wir eine elektronische Fußfessel tragen. Das Smartphone ist dabei nur die sichtbarste Variante. Die Smartwatch beispielsweise rückt dem Körper noch ein Stück näher und zeigt, wohin der Trend geht, nämlich möglichst zu einer Symbiose zwischen Mensch und Technik zu kommen. So sinnvoll mobiles Internet sein mag, die Integrität des eigenen Körpers und der eigenen Psyche sollte eine Grenze bleiben. Diese zu verteidigen verlangt einen selbstbewussten Umgang mit der Technologie. Das wiederum setzt Wissen um die Technologie voraus und verlangt eine Haltung, die weder glorifiziert noch verteufelt. So ein Umgang muss erlernt werden. Die Kernfrage lautet am Ende immer: Wer ist der Boss, das Smartphone oder ich?
Dieser Versuch ist der Auftakt zu einer kleinen Serie „Unsere Kinder – das Smartphone und wir“. Wie man in der Familie einen sinnvollen und guten Umgang mit der modernen Technologie findet, soll auf der Familienseite regelmäßig in kurzen Beiträgen angeregt werden. Es gibt dazu keine allgemeingültigen Sätze. Daher können auch die Beiträge der Serie nur Anregungen sein, seinen eigenen Weg zu finden.
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