Der Kriegssommer 2023 unterscheidet sich im ukrainischen Urlaubsparadies Odessa stark vom ersten Kriegssommer 2022. Bis zu den starken russischen Angriffen auf die Hafenanlagen am Schwarzen Meer und der Donaumündung, nach dem russischen Ausstieg aus dem Getreideabkommen, war das Vertrauen in die Zukunft im zweiten Kriegsjahr gegenüber dem ersten etwas gestiegen. Urlaub vom Kriegsalltag gab es jedoch in Odessa nicht, erstmals wurden im Juli auch die Altstadt und die orthodoxe Kathedrale, beides Weltkulturerbestätten unter dem Schutz der UNESCO, von Russland bombardiert und stark beschädigt. Kriegsrecht, Sperrstunde und Luftalarm sind auch im Sommer Teil des Alltags überall in der Ukraine, auch in Odessa. Die bevorzugten sicheren Urlaubsorte der Ukrainer sind seit Kriegsbeginn das relativ sichere Lemberg, Ivano-Frankivsk, Ternopil und vor allem das Vorkarpatengebiet um Uschgorod und andere Regionen im Westen der Ukraine. Aber es gibt auch viele, die es auch im Krieg an die Urlaubsorte ans Schwarze Meer zieht.
Urlaub in Odessa
Die Möglichkeiten, einen Sommerurlaub in Odessa zu verbringen, sind sehr vielfältig. Es gibt eine große Auswahl an Hotels mit Swimmingpools, zwei Wasserparks, ein Delphinarium, Ausflugsmöglichkeiten und ein reichhaltiges Kultur- und Unterhaltungsprogramm sowohl in der Stadt Odessa als auch in den Außenbezirken. Seit der russischen Annexion der Krim 2014 hatte sich die touristische Infrastruktur an der Schwarzmeerküste der Region Odessa als Ersatz für die Krim sprunghaft entwickelt. Es wurden Erholungszentren, teure Hotels mit Schwimmbädern, Cafés und Restaurants neu gebaut. Der Strandbezirk Arkadija im Zentrum von Odessa erhielt ein neues Amüsierviertel, das bei den Menschen „Miami Beach“ genannt wird.
Die Region Bessarabien, bis 1939 auch Siedlungsgebiet vieler Deutscher, im Gegensatz zu Odessa, konnte in diesem Jahr auf keine Saison zählen. Die Wahrscheinlichkeit von Raketenangriffen ist in dieser Region, über die ein großer Teil des Nachschubs der Ukraine aus dem NATO-Land Rumänien kommt, sehr groß. Die Logistik der Urlaubsorte wurde bereits durch den Beschuss der Brücke in Satoka am Anfang des Krieges lahmgelegt, was zu einem fast vollständigen Stillstand des öffentlichen Verkehrs führte. Die Satoka-Brücke ist eine kombinierte Eisenbahn-Straßen-Brücke über die Mündung des Dnjestr-Limans in das Schwarze Meer, sie bildet die einzige Landverbindung von Odessa aus nach Bessarabien und darüber hinaus nach Rumänien und Moldawien. Der beliebte Urlaubs-Ort Satoka, neben der Brücke, wurde schon zu Kriegsbeginn von russischen Bomben vollkommen in Trümmer gelegt. Es wurde eine Behelfsersatzbrücke gebaut, und am 6. Juni nahm die Fähre Ovidiopol-Belhorod-Dnistrovskyi ihren Betrieb auf.
Baden im Meer verboten
Das Schwarze Meer und Odessa bleiben auch Frontgebiet, weil die Russen die Lufthoheit haben und das Meer beherrschen. Es gibt einen gemeinsamen Erlass der regionalen Militärverwaltung von Odessa und des Militärkommandos aus dem Jahr 2022, der das Betreten und den Aufenthalt an der Schwarzmeerküste sowie in Buchten, Binnengewässern und Strandbereichen innerhalb der Küstenschutzzone des Schwarzen Meeres in der Region Odessa verbietet. Dennoch kommen viele erholungssuchende Ukrainer nach Odessa. Das zeigt sich auch an den Immobilienanzeigen. Die meisten davon konzentrieren sich auf die Stadt Chornomorsk (ehemals Ilitschowsk), 30 Kilometer von Odessa entfernt, am Ufer der Sukhoi-Mündung. Die Hafenstadt, die erst in der Sowjetzeit in den 1970er Jahren als Retortenstadt entstand, lockt Touristen mit einer recht großen Auswahl an Freibädern, die viel erschwinglicher sind als in Odessa, Kiew oder Dnipro. Gästehäuser eröffnen jetzt für den Vollzeitbetrieb auch als Erholungsorte für Frontsoldaten. 85 Hotels wurden zur Unterbringung der Binnenvertriebenen umfunktioniert. Viele Hotels und Campingplätze sind durch russische Raketeneinschläge völlig zerstört worden. In Odessa herrscht jetzt eine Badesaison unter Kriegsrecht. Offiziell ist hier, wie an der gesamten Küste, das Baden im Meer verboten. Aber das hält die Menschen nicht ab, ans Meer zu kommen. Bereits am ersten Maiwochenende, als es in der Stadt deutlich wärmer wurde, kamen Zehntausende von Menschen an die Strände. Das frische Wasser zog die Menschen mehr an als die Minengefahr sie abschreckte. Der Zugang zu fast allen Strandabschnitten Odessas, von Langeron über Lustdorf bis zur 15. Station von Fontana, das sind mehr als 15 Kilometer Küstengebiet, sind offen. Nur einige Strände sind mit Bändern abgesperrt. Auch die Unternehmer, die mit der Infrastruktur der Strände Geld verdienen, bauen Holzdecks auf dem Sand, streichen Schuppen, stellen Tische und Stühle auf den Sommerspielplätzen auf. Die Cafés öffnen rege, direkt am Ufer spielt laute Musik. An manchen Wochenenden bilden sich sogar Warteschlangen vor den Lokalen. Einer der Nachtclubs von Odessa veranstaltete sogar eine Party, um die „Eröffnung der Sommersaison“ zu feiern, die auch während eines Luftalarms nicht unterbrochen wurde. Seit 18 Monaten herrscht Krieg in der Ukraine, aber an der Küste Odessas, der „Perle am Meer“, wird er von vielen verdrängt.
Urlaub in der Zerstörung
Das Militär beharrt weiterhin darauf, dass die Touristensaison in Kriegszeiten unangemessen ist, aber gleichzeitig ist es klar, dass die Menschen ans Meer gehen werden. Daher wurden den städtischen Behörden Empfehlungen übermittelt. Insbesondere sollte es an den Stränden Schutzräume geben, und das Wassergebiet in Strandnähe sollte ständig auf Minen untersucht werden. Für den Fall einer Notfallevakuierung sollten Menschenansammlungen vermieden werden. Durch die Sprengung des Kachowka-Dammes im Dnepr wird Baden auch zum Gesundheitsrisiko. Immer noch treiben Müll, Tierkadaver und gefährliche Stoffe im Wasser, die mit der Strömung vom Kachowka-Stausee ins Schwarze Meer getragen werden. Das bedeutet, dass Schwimmen nur in Schwimmbädern möglich ist.
Die Situation in den Urlaubsorten an der von Russland besetzten Küste des Asowschen Meeres ist noch schwieriger. Russische Propagandisten verbreiten zwar das Märchen von einem gemütlichen Urlaub im kriegszerstörten Mariupol und anderen Küstenorten, aber selbst auf der seit 2014 russisch besetzten Krim ist der Tourismus fast zusammengebrochen. In Berdjansk und Kyrylivka setzen die Besatzer die Beschlagnahmung der touristischen Infrastruktur fort, evakuierte Menschen von der russischen Seite der Front werden dorthin umgesiedelt. Nach Angaben des ukrainischen Bürgermeisters von Melitopol hat das russische Militär bereits die Hälfte der mehr als 600 Erholungszentren in Kyrylivka besetzt.
Kilometerlange Traumstrände
Durch die Invasion Russlands wurde auch das einstige Juwel und der absolute touristische Geheimtipp der Ukraine, die größte unbewohnte Insel Europas, Jarylgach besetzt. Auf dieser Insel von der doppelten Größe Norderneys, die auch wegen ihrer kilometerlangen Traumstrände, als „Ukrainisch Malediven“ bezeichnet wurde, wo Tierarten leben, die es sonst nirgendwo gibt, hat sich ein sandiger Damm zwischen dem Festland im Kreis Cherson und der Insel gebildet, der eine ökologische Katastrophe zu verursachen droht. Die Gewässer um die Insel sind ein wichtiges Gebiet für Meeressäuger. Insbesondere leben hier einzigartige Küstengruppen von Delfinen und Schweinswalen.
Auch nach dem Ende des Krieges wird es noch einige Zeit dauern, bis die zerstörte Tourismus-Infrastruktur wieder aufgebaut und die Sicherheit der Touristen gewährleistet ist. Die Nachkriegszeit wird auch für die Tourismusbranche eine Herausforderung sein. Angesichts der von Menschen verursachten Katastrophe im Wasserkraftwerk Kachowka und russischer Drohungen gegen das unter russischer Kontrolle stehende Kernkraftwerk Saporischschsja wird sich die Sicherheit der Touristen nicht auf den Schutz vor Minen und Raketen beschränken.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.