„Allen Stadträten gestatten wir, die Juden in die Kurie zu berufen.“ Mit diesem Satz aus dem Jahr 321 ordnete der römische Kaiser Konstantin der Große an, dass Juden in Köln öffentliche Ämter in der Stadtverwaltung bekleiden dürfen. Das Edikt, dessen Original sich im Vatikan in Rom befindet, gilt als die Geburtsurkunde der nachweislich ältesten jüdischen Gemeinde im Europa nördlich der Alpen. Wie bedeutend dieses Datum, nicht nur für die Geschichte der Juden in Köln, sondern in Deutschland und Europa ist, betont Josef Schuster. Mit Blick auf das nahende Jubiläumsjahr 2021, in dem sich das Edikt Konstantins zum 1 700. Mal jährt, erklärt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster: „Für uns Deutsche ist dieses Datum von besonderer Bedeutung und vergleichbar mit der Erinnerung der evangelischen Kirche an das Reformationsjubiläum 2017.“
Bis zum Jubiläumsjahr sind es zwar noch knapp zwei Jahre. Damit es aber auch wirklich zu einem Jahr wird, das dem damit verbundenen Anlass gerecht wird, hat sich bereits schon jetzt ein Verein konstituiert. „321: 1 700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, der, laut Satzung, „das Wachhalten der Erinnerung an die jüdische Kultur und jüdische Geschichte in Deutschland und Europa“ zum Zweck hat. Zudem will der Verein ein deutliches und sichtbares Zeichen gegen den wachsenden Antisemitismus setzen. „Es ist dringend notwendig, darauf hinzuweisen, was Deutschland seinen jüdischen Mitbürgern verdankt“, sagt Gründungsmitglied Jürgen Rüttgers. Der ehemalige Bundesminister sowie Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen fügt hinzu: „Wer viel von der jüdisch-deutschen Geschichte weiß, kann eigentlich kein Antisemit sein.“ Rüttgers wörtlich: „Antisemitismus gehört geächtet, und wir müssen den Weg finden, auch diejenigen zu erreichen, die Antisemitismus nicht wahrhaben wollen.“
Die Realität sieht aktuell vielfach anders aus. Ist die Unwissenheit so groß? Deshalb will der Verein dazu beitragen, dass gerade im Jubiläumsjahr in vielen Veranstaltungen jüdische Geschichte und Leben in Deutschland thematisiert werden. Eingeladen sich zu beteiligen sind alle gesellschaftlich relevanten Gruppen und Institutionen. Mit dem Zentralratspräsidenten Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, sowie dem Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchentags, Hans Leyendecker, gehören bedeutende Laienverbände zu den Gründungsmitgliedern. Auch die Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, Henriette Reker, und der Präsident des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), Jürgen Wilhelm, waren bei der Gründungsversammlung des Vereins in Köln dabei. Jürgen Rüttgers übernimmt den Vorsitz des Kuratoriums. Den Vorstand bilden Matthias Schreiber von der Evangelischen Kirche im Rheinland, Joachim Gerhardt, Pfarrer des Evangelischen Kirchenkreises Bonn, sowie Dana Avidor, Mitglied der SGK. Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln (SGK), wurde zum Vorsitzenden der Mitgliederversammlung gewählt. Ihm ist es besonders wichtig, dass die inhaltliche Arbeit des Vereins darauf ausgerichtet ist, „nachzuspüren, worin denn ganz konkret der besondere Anteil des jüdisch-christlichen Abendlands liegt“. Damit spielt Lehrer auf die immer wieder, auch und gerade von politisch hochrangigen Funktionsträgern fast floskelhaft anmutend bemühte Vokabel von der christlich-jüdischen Prägung unserer Gesellschaft an. Doch diese dabei unterschwellig anklingende Harmonie gab es nicht und gibt es derzeit nicht.
Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker zeigt sich erfreut darüber, dass in ihrer Stadt „lebendiges jüdisches Leben stattfindet und gestaltet wird“. Das Stadtoberhaupt zeigte sich anlässlich der Gründungsversammlung überzeugt, dass die Domstadt und ihre Bürger die Pflicht erfüllen werden, „gegen Antisemitismus eindeutig Stellung zu beziehen und sich mit vielen Impulsen in die Vereinsarbeit einzubringen“. Neben der seit 1979 bestehenden Städtepartnerschaft mit Tel Aviv und der bundesweit beachteten Arbeit des renommierten Kölner NS-Dokumentationszentrums nannte Reker als konkrete Beispiele die Fortschritte mit dem MiQua, dem im Bau befindlichen Jüdischen Museum unweit des Rathauses. „Damit wird jüdische Geschichte wieder dorthin gerückt, wo sie hingehört: in die Mitte unserer Stadt.“ Vermutlich bereits in der Spätantike, mit Sicherheit aber seit dem Mittelalter war das Zentrum des jüdischen Lebens dort verankert. Zudem: Ein seit Langem geplantes jüdisches Gymnasium werde laut Reker darüber hinaus die vielfältige Kölner Schullandschaft bereichern. Nicht zuletzt seien zahlreiche, auch private, Initiativen und Bildungseinrichtungen zu nennen, die sich um jüdische Geschichte und Repräsentanten in dieser Stadt kümmern.
Hier bringen sich beispielsweise immer wieder der Kölner Katholikenausschuss, das Katholische Bildungswerk sowie Vertreter des Kölner Stadtdekanates und des Erzbistums ein. Das Resümee des Kölner Stadtoberhaupts: „Nur durch die Vermittlung dessen, was unter welchen Bedingungen geschehen konnte, können wir die Erkenntnisse aus der Vergangenheit in die Gegenwart übertragen.“ Einen besonderen Beleg für diese Aussage lieferte bereits vor elf Jahren der damalige Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner. Auf seine Initiative hin wurde mit Geld des Erzbistums die in der Reichspogromnacht 1938 von dem katholischen Priester Gustav Meinertz aus der brennenden Synagoge gerettete Torarolle – sie enthält die fünf Bücher Mose und bildet damit den ersten Teil der hebräischen Bibel – restauriert und in die jüdische Gemeinde Kölns zurückgebracht. Solche bemerkenswerten Geschichten und Beispiele von Zivilcourage und bürgerschaftlichem Engagement werden sicherlich in die Arbeit des Vereins einfließen.
Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sicherte dem Verein seine Unterstützung zu. Beim Jahresempfang der SGK kündigte er mit Blick auf die aktuellen Vorkommnisse und Debatten an, dass die Schulministerin auf den zunehmenden Antisemitismus in Schulen reagieren und in Dienstbesprechungen dafür sensibilisieren werde. Als „Alarmsignal“ bewertete er die 240 antisemitischen Straftaten im vergangenen Jahr allein in NRW. Er konstatierte, dass es zwar durch den Zuzug von Flüchtlingen auch zu einer neuen Form des Antisemitismus gekommen sei, stellte aber zugleich klar: „Es ist absurd, zu glauben, dass die deutsche Gesellschaft vor den Flüchtlingen frei von Antisemitismus gewesen ist.“ Laschet will zudem den Jugendaustausch mit Israel intensivieren. „Wir werden alles tun, damit jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen gelingen kann.“
Der Verein will einerseits die Bedeutung des Jüdischen für die Prägung des christlichen Abendlands deutlich machen, andererseits aber auch deren Grenzen, Brüche und Verwerfungen aufzeigen. „Das Judentum, das Wissen um seine Religion und Kultur muss bekannter werden – nicht nur als Opfer von Pogromen im Mittelalter und der Shoah“, so Abraham Lehrer.
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