Er gehört zu den Geistlichen in Rom, die man sich auch gut als Dressman vorstellen kann: Großgewachsen, schlank, mit schlohweißem Haar im schwarzen Blazer-Mantel entspricht Markus Zimmermann nicht dem Stereotyp, das man sich in Kirchenfernen Kreisen von einem Priester macht. Liegt es auch daran, dass der 60-jährige immer noch etwas Jungenhaftes an sich hat? Vielleicht hat seine lebendig-kreative Ausstrahlung aber auch etwas mit seiner Spiritualität zu tun – seiner Suche, seinem Weg, der äußerlich nicht gradlinig wirkt, obwohl es seit seiner Teenagerzeit ein klares Ziel gab: Gott.
An einem lauen Februarabend an der Piazza Navona erzählt Zimmermann, der inzwischen an der Gregoriana Fundamentaltheologie und Dogmatik unterrichtet von seinem Leben, in dem vielleicht trotz oder gerade wegen des unkonventionellen Wegs Lernstoff für die Zukunft des katholischen Lebens zu finden ist. Geradlinig konventionelle Priesterberufungswege dürfte es in einer sich zunehmend selbst säkularisierenden Kirche schließlich immer weniger geben.
Und: In die menschliche Wiege gelegt wurde Markus Zimmermann die Priesterberufung sicher nicht. Aufgewachsen in Berlin in einem durch und durch preußischen Elternhaus, in dem der Vater „wegen der Mutter“ katholisch geworden war, konnte ihm der Erzeuger ebenso wenig wie die Mutter den Glauben vermitteln. Daher gab es bei Zimmermann wohl auch keine wirklich kindliche Frömmigkeit, sondern es ging gleich intellektuell zu: Ministrant in einer Pfarrei in Zehlendorf in einer edlen Atmosphäre, in der die Priester der sehr akademisch geprägten Gemeinde eher Goethe und Schiller zitierten als allzu oft aus der Heiligen Schrift.
Jesuitisch gemäßigte Katholizität
Daheim zählten Noten, alles war leistungsorientiert. Seine folgenden kirchlichen Erfahrungen bezeichnet er als „jesuitisch gemäßigte Katholizität“. Da war das Mitmachen beim Primanerforum, der diözesanweiten Jungen-Erwachsenen-Arbeit des BDKJ, für den Teenager ein wichtiger Schritt: Gleichgesinnte Jugendliche verbrachten mit Sport und Glaubensdingen ihre Wochenenden. Schon bald übernahm Zimmermann Leitungsaufgaben und übte sich in der Erarbeitung und Durchführung spiritueller und sozialpolitischer Tagungen. Auf dem humanistischen Gymnasium wurde er für dortige Christentreffen angesprochen – von einem Baptisten. „In der Diaspora fand man sich als Christen zusammen“, erläutert Zimmermann den ökumenischen Kontakt und gibt zu, dass er damals trotz katholischen Engagements eigentlich keinerlei Bibelkenntnisse hatte.
„Man hat auch daheim schlicht nicht darin gelesen.“ Dank des Baptistenfreundes lernte er, Gott direkt zu fragen, mit ihm zu sprechen, was man Gebet nennt. Allmählich fand eine persönliche spirituelle Revolution statt.
Rund um das Abitur, so Zimmermann, sei ihm klar geworden, dass die Bibel Antworten gibt. Doch ein Verlassen der katholischen Kirche hin zu den Baptisten war kein Thema. Schließlich hatten es ihm auch die Heiligen und ihre Lebensgeschichten angetan. Besonders der hl. Franziskus sprach Markus Zimmermann an: das Naive, die gelebte Armut, die Einfachheit. Was man sich vor dem entgegengesetzten Familienhintergrund leicht vorstellen kann. Durch die geistliche Lektüre war er gleichsam „wie weg“, Gott brach in seine Welt ein und es wurde ihm klar, dass es Gott gibt und er mit diesem in einen Dialog eintreten könne.
Zwei Jahre auf dem Fußboden geschlafen
Doch Markus Zimmermann glaubte nicht nur – er machte ernst. Auch äußerlich. Der junge Mann verzichtet auf sein Bett, schläft zwei Jahre auf dem Fußboden zur Gebets- und Charakterschulung und um in Armut zu leben. Die richtige Berufung, den richtigen Beruf hat er noch nicht erkannt, doch er ahnt: Es soll bei der Wahl des Studiums um Gott und den Menschen gehen. Also beginnt er das Studium der Theologie, Philosophie und Psychologie an der FU Berlin („Wenn schon, dann alles“), das er sich mit Jobs im Altersheim und im Krankenhaus mitfinanziert.
Eigentlich kristallisierte sich, wie er heute weiß, schon damals die Berufung zum Priestertum heraus – denn: nie fühlte er bei Freundinnen, die es durchaus auch gab, ein „Mit der will ich durchs Leben gehen“. Eine Bibelstelle (1. Korinther 7) brachte Klarheit und Berufung: Ehelosigkeit ist besser – um des Himmelreichs willen. Er soll Priester werden. Zimmermann entscheidet sich für das Diplomstudium der Theologie an der Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt ab 1986 – mit langen Haaren. Auch hier knüpft der angehende Theologe an die im Veranstaltungswesen erlernte Praxis aus Berlin an. Neben AStA-Tätigkeit ist er der Leiter der Theologischen Abendgespräche an der PTH St. Georgen oder auch Hauptkoordinator der Großen Limburger Theologentage. Wenn schon, dann alles – Studium und Engagement fast ohne Grenzen bleiben der rote Faden in seiner Ausbildung. Auch nach dem Diplom 1990. Was vielleicht auch etwas mit seinem Ehrgeiz zu tun hat, den man bei allem Sunnyboy-Image nicht übersehen darf.
Immer wieder Rom
1991 folgt der erste längere Romaufenthalt: Sprachstudium und Lizentiatsstudiumbeginn in Fundamentaltheologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. 1992 zurück in Deutschland: Diakonenweihe mit anschließendem Pastoralkurs und Dienst als Diakon, 1993 die Priesterweihe durch Joachim Kardinal Meisner in Köln. Wenig später zieht es den ehrgeizigen Wissenschaftler wieder nach Rom: Lizentiats- und Doktoratsstudium an der Gregoriana – was er allerdings für die Ausbildung zum Pfarrexamen und für eine Pfarrerstätigkeit in Berlin unterbricht. Erst im Frühjahr 2002 wird die Dissertation zu Romano Guardini mit dem Titel „In-Existenz“ abgeschlossen sein. Rast- und ruhelos forscht Zimmermann weiter: Seine Studie zur Nachfolge Jesu Christi wird auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert, es schließt sich ein Forschungsprojekt zur philosophischen Hermeneutik an. In diesen Jahren ist der Priester auch in Freiburg tätig, wo es neben dem Pfarrdienst zu Forschungsarbeiten zur dogmatischen Erkenntnislehre und zahlreichen wissenschaftlichen Seminaren und Vorträgen kommt. Die weitere Ausbildung gipfelt im Zertifikat für Hochschuldidaktik aus Baden-Württemberg.
Dann zieht es den Seelsorger wieder für mehrere Jahre in die Pfarrei: Berlin ab 2010 mit vermehrt künstlerischem Einschlag. 2015 Promotion zum Dr. phil. an der TU Dortmund zu „Schriftsinn und theologisches Verstehen“. Schließlich als zweifach promovierter Priester Freistellung für die Theologische Wissenschaft und zweijährige Lehrtätigkeit an der Uni Regensburg. Seit 2018 dann als Fundamentaltheologe und Dogmatiker wieder in Rom - als „Professore“ an der Gregoriana.
Kirche in Deutschland
Dass ihm mit der jetzigen Lehr- und Forschungstätigkeit nicht viel Zeit für die direkte Seelsorge bleibt, weiß er. „Trotzdem ergeben sich auch bei mir immer wieder intensive geistliche Gespräche. Nicht nur bei Personen, die mich regelmäßig als ihr geistlicher Begleiter aufsuchen, sondern oft auch zufällig in Cafés, wo ich Zeitung lese, Brevier bete oder mit Menschen digital kommuniziere. Es entstehen dort Kontakte, die sich zu Gesprächen entwickeln, in denen Gott im Mittelpunkt steht und die zur Seelsorge werden. Außerdem erlebe ich, wie das Lehren unter den Studierenden und das Verfassen und Weitergeben von theologischen oder spirituellen Texten zur Seelsorge führen. Denn einfache Andachten sprechen Studierende und Akademiker selten an. Sie brauchen stärker reflektiertes, um mit ihrem Leben und Glauben weiterzukommen. Diskussionsrunden und Einzelgespräche helfen hier am besten und prägen meinen Alltag.“
Und was denkt er über die Situation der Kirche in Deutschland? Von der römischen Perspektive aus betrachtet, in der Nähe des Pantheons mit der jahrhundertealten Geschichte sieht er die Kirche in Deutschland in einer „Pastoral der Verwaltung und des Kompromisses – kaum vereinbar mit der Haltung Jesu!“ Seiner Meinung nach ist nicht der Priestermangel das Problem, sondern der „Mangel an Gottvertrauen“. Der „Mangel des Hörens auf die eigene Berufung“. In der Kirche in Deutschland ginge es „mehr um kirchenpolitische Reformen, als um das Hören und den Blick auf Gott,“, so Zimmermann. Aber: „Nur mit dem klaren Blick auf Christus sieht man die Welt richtig.“ Und der Zölibat? Ist er noch zeitgemäß? Markus Zimmermann hat daran keine Zweifel. Der Zölibat lasse sich aber nicht mit „pfarrlichem Managertum“ kombinieren. Wer ihn lebe, müsse sich „in Gott fest machen“. Er weiß auch das Rezept, wie das gelingen kann: Täglich das Brevier beten, alle sieben Horen. Ohne Mystik geht es auch auf dem Weg der Nachfolge Christi nicht.
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