Evangelikale Bewegung

Das „Bible Belt“ Osteuropas

Mit der Ukraine verbindet man die Orthodoxen Kirchen, doch ein afrikanischer Pfingstpastor gehörte zu den geistlichen Anführern des Landes. Bis der Krieg kam.
Pfingstgemeinde von Pastor Sunday Adelaja in der Ukraine
Foto: Sunday Adelaja fb | Die Pfingstgemeinde von Pastor Sunday Adelaja in der Ukraine zu besseren Zeiten. Inzwischen hat der Pastor das Land verlassen.

Die evangelikale Bewegung in der Ukraine war bis zum 24. Februar 2022 die am stärksten und am schnellsten wachsende in Europa. Der Krieg stellt diese Kirchen jedoch auf eine harte Probe, weil durch den Krieg die Nationalkirchen im Aufwind sind.

Die Ukraine als zweitgrößter Flächenstaat Europas ist ein multi-religiöses und multi-ethnisches Land. 70 Prozent seiner Bevölkerung gehören drei orthodoxen Kirchen an, 10 Prozent zwei katholischen Kirchen und 5 Prozent Dutzenden von protestantischen Freikirchen. Weil Teile der Ukraine historische Gebiete von Polen-Litauen und Österreich-Ungarn umfassen, haben protestantische Reformbewegungen in diesen Ländern auch Auswirkungen auf die heutige Ukraine. Der größte Einfluss ging jedoch von der deutschen Ostsiedlung aus, der weite Teile der Ukraine einschloss. So gründeten deutsche Lutheraner und Mennoniten seit dem 16. Jahrhundert vor allem in der Ost- und Südukraine die ersten Freikirchen.

Früher ein Eintrittstor nach Russland

Die Mennoniten errichteten ihre Mutterkolonie nach der russischen Eroberung des Gebietes im 18. Jahrhundert ausgerechnet auf der Dnepr-Insel Chortitza bei Saporischschja, wo vorher die Saporoger Kosaken, die ersten Herrscher der Ukraine, ihre erste Sitsch, ihr altes Zentrum hatten. Von hier aus wurden Hunderte von mennonitischen Tochtersiedlungen bis nach Russland gegründet. Als sie ab 1890 Wehrdienst im Zarenreich leisten sollten, verließen viele Mennoniten als Anhänger von Friedenskirchen das Land gen Nordamerika. Für viele Freikirchen war die Ukraine, wie einst auch für die orthodoxe Kirche, ihr Eintrittstor nach Russland. Unter der österreichischen Herrschaft in der Westukraine war dort seit dem 16. Jahrhundert auch eine volksnahe, mit Rom unierte, katholische Kirche mit byzantinischem Ritus entstanden, die unter dem Kommunismus zwischen 1945-1985 mit der Orthodoxie zwangsvereinigt wurde. Anders als die orthodoxen und katholischen Kirchen hatten die Freikirchen jedoch keine Gebiete, in denen sie Mehrheitskirche waren. Als Minderheitskirchen waren die evangelikalen Freikirchen in Zeiten der Verfolgung unter dem Kommunismus immer anfälliger.

Seit der Wende 1989-91 kämpften zunächst vier und dann noch drei byzantinische Kirchen um Kirchengebäude und Gläubige, ein Konkurrenzkampf, der viele orthodoxe Gläubige jedoch ihren Kirchen entfremdet hat. In dieses Vakuum strömten Pfingstkirchen und Sekten aller Couleur, bis hin zu Hare Krishna-Anhängern, die in der Ukraine sehr populär waren. In der Ukraine mit ihren vor dem Krieg 45 Millionen Einwohnern gab es etwa 1 800 Pfingstgemeinden. Jedes Jahr, auch während der Pandemie, kamen 100 dazu. Den höchsten Anteil hatten die Freikirchen im Osten und Süden der Ukraine, also dort, wo die Russen bereits 2014 Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht hatten, oder Gebiete, die sie seit Februar 2022 besetzt haben. Ihren gesellschaftlichen Einfluss auf Politik und Wirtschaft konnten die Freikirchen seit der Orangenen Revolution 2004 erheblich ausdehnen. Die Ukraine wurde für die Pfingstkirchen zum „Bible Belt“ für ganz Osteuropa, hier sind die meisten Ausbildungsstätten dieser Kirchen, auch bis zu 80 Prozent der russischen Pfingstgemeinden haben heute einen Pastor mit ukrainischem Hintergrund.

Charismatiasche Megakirche

Seit der Wende ist in der Ukraine, die keinerlei koloniale Verbindungen nach Afrika hatte, auch eine charismatische Megakirche afrikanischer Prägung wie es sie in westeuropäischen Großstädten immer mehr gibt, neu entstanden. Es handelt sich um die „Embassy of the Blessed Kingdom of God for All Nations“, von Pfarrer Sunday Adelaya, der aus Nigeria stammt. Es ist einer der größten Megakirchen afrikanischer Prägung in Europa, sie hat ihren Hauptsitz in Kiew.

Sunday Adelaja (56) kam 1986 als Student mit einem Stipendium der kommunistischen Partei ins sowjetische Minsk, um Journalismus zu studieren. Während des Studiums kollabierte 1991 die UdSSR, er blieb in Belarus und beendete sein Studium. 1993 ging er in die Ukraine, wo er zunächst bei einem Fernsehsender als Journalist arbeitete. Mit sieben anderen Afrikanern gründete er in seiner Wohnung die später „Embassy of the Blessed Kingdom of God for All Nations“ genannte Pfingstkirche. Nach anfänglichen auch auf Rassismus beruhenden Schwierigkeiten, konnte sich die Kirche schließlich durch ein umfassendes Sozialwerk in der sich im Umbruch befindlichen ukrainischen Gesellschaft fest etablieren, denn die orthodoxen Kirchen hatten infolge des internen Konkurrenzkampfes die Diakonie erst sehr spät entwickelt. Geholfen hatte auch, dass Adelaya die ersten Versammlungen in Räumen der Kiewer Universität abhielt und so viel Zulauf vor allem von Studenten hatte, was sich 10 Jahre später auswirkte, als viele dieser Studenten die neue Elite des Landes bildeten.

Wendemarke: Orangene Revolution

Bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges führte die Freikirche das berühmte „Love Rehabilitation Center“ für 5 000 Drogen- und Alkoholabhängige, Suppenküchen für Tausende Obdachlose und eine Vielzahl miteinander verbundener Organisationen wie das „Joshua Missionary Bible Institute“ und das „Center of Restoration of Personality and Transformation of the Society“.

Im Jahr 2013 hatte die Kirche nach eigenen Angaben 30 000 Mitglieder allein in Kiew, 100 000 weitere Mitglieder in 20 weiteren Gemeinden in der Ukraine und 20 weitere Gemeinden in der übrigen Welt. 30 Prozent aller Abgeordneten der ukrainischen Rada sollen damals zu seiner Kirche gehört haben, behauptet Adelaya. Die „New York Times“ schrieb wie folgt über Adelaya: „Könnte es eine unwahrscheinlichere Erfolgsgeschichte in der ehemaligen Sowjetunion geben als Pfarrer Sunday Adelaya, ein Einwanderer aus Nigeria, der in der gesamten Ukraine eine begeisterte – und enorme – Anhängerschaft aufgebaut hat?“

Wichtig für den Durchbruch Adelayas war auch die Orangene Revolution von 2004, als sich die Ukraine erstmals gegen Russland und für den Westen entschied. Seiner Kirche, wie den vielen anderen Freikirchen, wird eine aktive Rolle bei den damaligen Volksversammlungen zugeschrieben, die schließlich zur Orangenen Revolution und zur Westbindung der Ukraine führten. Der damalige Bürgermeister von Kiew, Leonid Tschernowezkij, war Mitglied seiner Kirche.

Theologie des Wohlstands

Während der Proteste errichtete die Kirche Adelayas eine Zeltkapelle auf dem Unabhängigkeitsplatz und bot Tausenden von Menschen, die nach Kiew strömten, Unterkünfte an. Präsident Viktor Juschtschenko, den Putin vor seiner Wahl versucht hatte zu vergiften, hat Adelaya später eine Dankesurkunde für seine Unterstützung bei der Orangenen Revolution überreicht. Seit 2008 sieht sich die „Embassy of the Blessed Kingdom of God for All Nations“ jedoch auch wachsendem Widerstand der beiden orthodoxen und der beiden katholischen Kirchen und anderer ukrainischer Evangelikaler, der Behörden und politischer Gruppen ausgesetzt. Die Kirche wird vor allem auch deswegen kritisiert, weil sie die „Theologie des Wohlstands“ lehrt und wohl auch praktiziert, wobei auch Korruption im Spiel gewesen sein soll.

Der Einmarsch der russischen Armee am 24. Februar 2022 war auch ein harter Schlag gegen die Pfingstkirchen. Der Krieg hat sehr stark die nationalen Gefühle angefacht, wovon in erster Linie die traditionellen Kirchen des Landes profitieren, obwohl auch die Frei- und Pfingstkirchen an die Patriotischen Pflichten ihrer Mitglieder appellieren. Viele ausländische Mitglieder der Freikirchen sind geflüchtet. Auch Sunday Adelaya hat das Land verlassen, weil er glaubt, die Russen trachteten ihm nach dem Leben. In der Russischen Föderation war er bereits 2005 zur Persona non grata erklärt worden. Allerdings spielen Mitglieder von Freikirchen, weil sie die längsten und intensivsten Kontakte in die westliche Welt haben und am besten Englisch sprechen, im Krieg eine wichtige Rolle als Vermittler mit diesen Staaten, aus denen seit einem Jahr die überlebenswichtige Hilfe kommt.

Rassismus ist nicht typisch

Vor dem Krieg in der Ukraine gab es in der Ukraine viele afrikanische Studenten, vor allem Westafrikaner, Nigerianer und andere. Auch die römisch-katholischen Gemeinden im Lande, vor allem in Odessa, Charkiw und Kiew, bestanden zum großen Teil aus Afrikanern. Als die Feindseligkeiten ausbrachen, versuchten viele zu fliehen, aber viele Züge in den Westen nahmen sie zunächst nicht mit. Die ganze Welt hat sich darüber damals empört und den Ukrainern Rassismus vorgeworfen. Deshalb hatte die nigerianische Regierung sogar Flugzeuge nach Polen geschickt, um die Nigerianer herauszuholen.

Adelaya unterstützt jedoch den ukrainischen Nationalismus. Er glaubt, dass Rassismus nicht typisch für die ukrainische Gesellschaft ist. „Ich denke, es ist eher ein russisches Phänomen, das hierhergekommen ist“, sagt er. Damit dürfte er Recht haben, denn in Moskau war schon 1992 die nach dem kongolesischen Freiheitskämpfer benannte Lumumba Universität, wo fast nur Studenten aus der Dritten Welt studierten, russifiziert worden.

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