Würzburg

Tagesposting: Wähler sind undankbar

In der gegenwärtigen Krise erhält mancher Politiker die Chance, sich zu beweisen und über sich selbst hinauszuwachsen. Auf zukünftige Wahlen wird das möglicherweise nicht viel Einfluss haben, lehrt die Geschichte.
Politiker auf dem Prüfstand
Foto: Bernd von Jutrczenka (dpa) | Die Corona-Krise stellt die deutschen Politiker auf den Prüfstand. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, links) nur eine zögerliche Krisenpolitik betreibt, beweisen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU, ...

In einer eminent bedrohlichen Krise versammeln sich die Bürger hinter ihren politischen Anführern. Das weiß man aus vergangenen Zeiten des Krieges. Und das sehen wir auch jetzt aktuell, da inzwischen mehr als 30 000 Bundesbürger mit dem Covi-19-Virus infiziert und bereits über 150 gestorben sind – Tendenz steigend.

In diesen Wochen suchen die Bürger einen starken Anführer oder eine starke Anführerin. Bundeskanzlerin Merkel fällt da leider komplett aus. In den Geschichtsbüchern wird diese Frau dereinst zu Recht schlecht abschneiden, als eine Zauderin. Verglichen damit können sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und nach langer Zauderei immer mehr auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) als Lichtgestalten präsentieren, die in einer Krisenlage als Anführer Kurs halten, als Macher den Bürgern sagen, was jetzt zu tun ist, damit alles wieder gut wird. Und wenn dann letztlich auch der Chefsessel im Bundeskanzleramt winkt – was wäre dagegen zu sagen?

Erst Krisen lassen Ausnahmegestalten leuchten

Fensterreden sind leicht dahingesagt, aber erst in einer schweren Krise wachsen Ausnahmegestalten über sich selbst hinaus. So wie in der deutschen Nachkriegsgeschichte Helmut Schmidt zwei Mal. Als Innensenator 1962 bei der verheerenden Sturmflut in Hamburg übernahm er die Führung, ohne darauf zu warten, dass ihm jemand Kompetenzen zuteilt. Und als Bundeskanzler im sogenannten „Deutschen Herbst“ 1977 stellte er sich energisch dem linksextremen Terror entgegen. Als eine Lufthansa-Maschine entführt, Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer entführt und ermordet wurde und dann drei inhaftierte RAF-Terroristen in ihren Zellen Selbstmord begangen, gab es keinen besseren Krisenmanager als diesen Helmut Schmidt. Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ja, auch Politiker wachsen manchmal über sich hinaus, und ihre Parteien profitieren davon. In einer aktuellen Umfrage des INSA-Instituts verbessert sich die Union plötzlich auf erstaunliche 33 Prozent – fünf Prozentpunkte mehr als in der Vorwoche. Und selbst die heruntergewirtschaftete Große Koalition im Bund hätte plötzlich wieder eine Mehrheit, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre.

Klaus Kelle
Foto: Pukall | Klaus Kelle ist freier Publizist.

Politiker, die aus der Masse herauswachsen, wenn ihre Stunde kommt, machen allerdings oft den Fehler, zu glauben, dass der Wähler dankbar für vergangene Leistungen sind. Und genau das passiert meistens nicht. Zugegeben, Helmut Schmidt wurde nicht in einer Bundestagswahl in offener Feldschlacht besiegt, sondern er verlor sein Amt durch ein konstruktives Misstrauensvotum im Bundestag 1982. Doch das berühmteste Beispiel für den vermeintlichen Undank des Wahlvolkes war zweifellos der britische Premier Winston Churchill, der die Briten im Zweiten Weltkrieg zusammenhielt und sie zu einer heroischen Abwehrschlacht gegen Nazi-Deutschland antrieb. Als der Krieg gewonnen war und die Siegermächte im Juli 1945 in Potsdam Europas Nachkriegsordnung verhandelten, wurde Churchill, der Kriegsheld, von seinen Landleuten abgewählt. Clement Attlee hatte im Wahlkampf bessere Schulen, bessere Wohnungen und ein staatliches Gesundheitssystem versprochen. Und gewonnen.

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