Alexei Anatoljewitsch Nawalny ist raus aus dem Krankenhaus. Nach einer schweren, lebensbedrohlichen Vergiftung mit dem international verbotenen russischen Nervenkampfstoff Nowitschok kann er weiterleben – vorerst jedenfalls, denn in Russland hat es seit Jahrzehnten Tradition, Oppositionelle, die beginnen, die Mächtigen zu nerven, „auszuschalten“.
Die Liste ist lang, und man muss gar nicht die Ära des Kalten Krieges bemühen, denn wir haben ja gelernt, dass Putins Russland ganz etwas anderes sein soll als die Sowjetunion Breshnews.
Ist es das wirklich? Klar, Moskau ist eine glänzende Metropole mit Nachtclubs, Gucci-Geschäften und reichlich Mercedes-Sternen auf den Kühlerhauben der Straßen. Klar, hat sich Russland verändert und klar, können die meisten Menschen in den großen Städten ein auskömmliches Leben haben. So richtig die These ist, dass Russland wahrscheinlich einen Führer wie Putin braucht, um den Laden zusammenzuhalten, so richtig ist, dass kaum einer von uns dauerhaft in Putins Reich leben wollen würde. Und übrigens auch immer weniger Unternehmen dort arbeiten wollen, weil es eben keine Rechtssicherheit gibt. Nawalny ist so einer, der viele Menschen auf die Straße bringt gegen die Oligarchen, gegen Korruption und gegen den Paten im Kreml, der internationale Regeln bricht (Krim), der Milliardenwerte beiseite schaffen lässt (Panama-Papers) und der die baltischen Staaten, Polen und Europa mit Hackerangriffen, Fake-News-Medien und gekauften Freunden in der Politik destabilisiert und bedroht.
Als Journalist lebt man in Putins Reich gefährlich
Seit Putin die Geschicke in Russland führt, sind mehr als 200 Journalisten dort ermordet worden. Am bekanntesten wahrscheinlich Anna Politkowskaja, eine Journalistin, die vor der eigenen Wohnungstür in Moskau getötet wurde, nachdem sie einen Artikel über Korruption im Verteidigungsministerium veröffentlicht hatte.
Und auch Navalny ist nicht der einzige „Verräter“ in den Augen der Machthaber im Kreml. Der frühere russische Geheimdienstler Sergej Skripal, ein Überläufer zum britischen MI 6 wurde gemeinsam mit seiner Tochter 2018 mit einem Nervengift aus russischer Produktion vergiftet. Beide überlebten knapp. Alexander Litwinenko, ebenfalls russischer Überläufer, starb in einem Londoner Krankenhaus 2013 an einer Polonium-Vergiftung. Und so weiter, und so weiter…
„Gegenüber Staatschefs wie Putin
muss die zivilisierte Welt klare Kante zeigen“
Jetzt hat sich Altbundeskanzler Gerhard Schröder, ein enger Freund des russischen Präsidenten Putin und auch sein Angestellter, zu Wort gemeldet. Ja, man müsse den Fall Nawalny aufklären, aber nicht so intensiv, denn immerhin stünden ja zehn Milliarden Euro auf dem Spiel, sollte die Pipeline Nord Stream 2 nicht gebaut werden als Vergeltung für den Anschlag. Die richtige Antwort auf solches Denken gab Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, als er in Litauen bekräftigte: „Das war ganz klar ein Mordversuch auf russischem Boden gegen einen russischen Oppositionsführer mit einem chemischen Wirkstoff, der in Russland manipuliert wurde.“ Und gegenüber Staatschefs wie Putin muss die zivilisierte Welt klare Kante zeigen. Das wird der Pate im Kreml verstehen…
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