War Nikolaus Kopernikus ein Pole oder ein Deutscher? In Polen ist das nicht die entscheidende Frage. Die Antwort steht fest: Natürlich war der am 19. Februar 1473 in Toru (deutsch: Thorn) geborene Kanoniker und Wissenschaftler ein Pole, weshalb es nicht überrascht, dass jedes polnische Schulkind nicht nur mit seiner bahnbrechenden heliozentrischen Entdeckung, dass sich die Planeten um die Sonne drehen, sondern auch mit dem Titel seines wichtigsten Buchwerkes "De Revolutionibus Orbium Celestium" (1543) vertraut ist.
Ein anschauliches Beispiel für die lebendige Pädagogik auf den Spuren des Forschers, der in diesem Jahr seinen 550. Geburtstag feiert, ist das Warschauer Wissenschaftszentrum Kopernikus (Centrum Nauki Kopernik), welches - am Ufer der Weichsel gelegen - geradezu spielerisch zum Umgang mit Fortschritt und Erkenntnisgewinn einlädt. Nicht nur, weil Familien mit Kindern hier Kopernikus-Trinkbecher, Kopernikus-Bleistifte oder Kopernikus-Kinderbücher erwerben können oder ein Planetarium den Blick in den wissenschaftlich durchleuchteten Himmel erlaubt.
Verbindung von Glaube und Wissenschaft
Diverse Zukunftsthemen, wie Digitalität, Umweltschutz, Population oder Stadt- und Mobilitätsentwicklung, werden in dem meist gut besuchten Wissenschaftszentrum den jungen und nicht mehr ganz so jungen Besuchern erlebnis-orientiert präsentiert: Man kann mit Computerbildschirmen ein Schattenspiel veranstalten, sich von Robotern, welche von Künstlicher Intelligenz angetrieben werden, in stereotypischen Denkmustern prüfen und ästhetisch kategorisieren lassen, oder - für ganz Mutige - mit dem digitalen Priester-Roboter San-TO, der mit den Schriften von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gefüttert wurde, einen anspruchsvollen Seelsorge-Chat abhalten. Digitaler Segen inklusive!
Eine Verbindung von Glaube und Wissenschaft, die durchaus zum Leben des vielseitigen Kopernikus passt, der nicht nur die Theologie und Astronomie beherrschte, sondern nach Studien in Krakau, Bologna, Ferrara und Padua auch in Mathematik, Juristerei, Ökonomie und Medizin ein Meister war. Die entscheidende langjährige Wirkungsstätte des vielseitigen Forschers befindet sich aber wohl in Frombork (deutsch: Frauenburg) in der Region Warmia (deutsch: Ermland), die schon 1466 zu Polen gehörte, dann lange Zeit preußisch war und seit 1945 nun hoffentlich endgültig zu Polen gehört.
Hier in Nähe der Danziger Bucht auf dem weitläufigen Grundstück des gotischen Doms der Stadt findet man zahlreiche Erinnerungen an Nikolaus Kopernikus. So etwa im Dom selbst, wo man den Altar besichtigen kann, der Kopernikus als Domherr ab 1495 zur Verfügung stand. Dazu Kopernikus-Epitaphen aus verschiedenen historischen Epochen, eine neuzeitliche Büste und - falls die modernen DNA-Analysen richtig waren - sein Grab samt Sarg.
Zunächst genoss er auch in kirchlichen Fachkreisen Ansehen
Die Unsicherheit ist durchaus signifikant und kirchlich selbstverschuldet, denn unmittelbar nach Kopernikus Tod im Mai 1543 stand es um das Ansehen des revolutionären Wissenschaftlers auch in kirchlichen Fachkreisen ziemlich gut: Wer ihn verstehen wollte, verstand ihn und die für den damaligen Forschungsstand beeindruckende Stichhaltigkeit seiner Forschungen, die sich auch esoterischen Lehren und Erkenntnissen nicht verschloss. Erst Anfang des 17. Jahrhunderts im Zuge der "Affäre Galilei" geriet Kopernikus mit seinem kurz vor seinem Tod veröffentlichten Meisterwerk "De Revolutionibus Orbium Celestium" (Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären) in die Umlaufbahn der kirchlichen Zensurbehörden. Das Buch kam aufgrund des Widerspruchs zu Aussagen der Bibel auf den kirchlichen Index; Kopernikus' Grab wurde vernachlässigt, was die tatsächliche Lokalisierung und Identifizierung der sterblichen Überreste bis heute hin so kompliziert macht.
Spaziert man von dem neben dem Dom befindlichen Bischofspalast, in dem sich das Kopernikus-Museum befindet, über eine Gartenanlage am Haupttor vorbei, gelangt man zum Glockenturm, in dem ein Planetarium untergebracht ist, und rechts davon zum Kopernikus-Turm, in dem der Universalgelehrte eigenen Worten nach "in hoc remotissimo angula terrae" ("im hintersten Winkel der Welt") seine bahnbrechenden Forschungsergebnisse niedergeschrieben haben soll, wenn er nicht mit Münz- und Kirchengeschäften okkupiert war. Nicht zu vergessen die Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Orden, der in der Region ziemlich für Unruhe gesorgt hat.
Auf das heidnische Denken antiker Philosophen gestützt
So darf man sich Kopernikus wohl als einen Mann vorstellen, der seine vielfältigen diplomatischen, wissenschaftlichen und ärztlichen Aufgaben und Interessengebiete mit Disziplin, Scharfsinn und rascher Auffassungsgabe betreute - allerdings mit eingeschränkten empirischen Beobachtungsinstrumenten, was zu Ungenauigkeiten bei den Ergebnissen führte. Er stützte sich, wie er in seiner an Papst Paul III. adressierten Vorrede zu seinem Opus Magnum unumwunden zugibt, auch sehr stark auf das heidnische Denken der antiken Philosophen. "Ich nahm mir deshalb vor, die Schriften aller Philosophen, deren ich habhaft werden konnte, zu erforschen, um festzustellen, ob niemand auf eine Vermutung gekommen sei, daß die Bewegungen der Weltkörper andere sein müßten, als es die schulmäßigen Mathematiker annehmen. Und da fand ich denn freilich bei Cicero eine Stelle, daß Nicetas eine Bewegung der Erde angenommen habe. Später las ich auch bei Plutarch, daß noch einige andere dieser Ansicht gewesen wären."
Auch das Werk "De Revolutionibus Orbium Celestium" selbst ist nicht frei von Magie und Poesie. "In der Mitte von allen aber hat die Sonne ihren Sitz. Denn wer möchte sie in diesem herrlichen Tempel als Leuchte an einen anderen oder gar besseren Ort stellen als dorthin, von wo aus sie das Ganze zugleich beleuchten kann? Nennen doch einige sie ganz passend die Leuchte der Welt, andere den Weltengeist, wieder andere ihren Lenker, Trismegistos nennt sie den sichtbaren Gott, die Elektra des Sophokles den Allessehenden. So lenkt die Sonne gleichsam auf königlichem Thron sitzend, in der Tat die sie umkreisende Familie der Gestirne. [ ] Indessen empfängt die Erde von der Sonne und wird mit jährlicher Frucht gesegnet." Hermes Trismegistos war eine mythologische Figur, eigentlich ein Konstrukt aus zwei Göttergestalten (Hermes und Thot), den man viele christliche Jahrhunderte hindurch für den Verfasser esoterisch-magischer Schriften hielt.
Ohne Angst vor Revolutionen
Dennoch ließ sich die Kraft der mathematischen Hypothese trotz mancher Fehler (Kopernikus konnte sich, wie der Wissenschaftsautor Hans Joachim Störig schreibt, "nicht von der Vorstellung lösen, die Bahnen himmlischer Körper müßten kreisförmig sein") nicht aufhalten. Weder von Katholiken noch von Protestanten, denen besonders die Widersprüche zur Bibel wie auch der Rekurs auf heidnische Autoritäten ein Gräuel war.
So gesehen ist der Standort des vermutlich berühmtesten Kopernikus-Denkmals eigentlich ideal. Es befindet sich auf der Warschauer Prachtstraße Krakowskie Przedmiecie - zwischen dem Staszic-Palast, in dem die Polnische Akademie der Wissenschaften untergebracht ist, und der Heilig-Kreuz-Kirche, in der sich das Herz Chopins befindet, eines anderen berühmten Polen. Sitzend mit langen Haaren und langem Gewand erklärt Kopernikus den Passanten mit Zirkel und Armillarsphäre regungslos den Lauf der Planeten, als wollte er den Skeptikern beider Lager leise zuflüstern: Glaube und Vernunft müssen kein Widerspruch sein, wenn man sich beider wahrhaftig und ohne Angst vor Revolutionen zu bedienen versteht.
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