Pressefreiheit

Putin zwingt alle Medien „auf Linie“

Bis zu 15 Jahre Haft will Russland für das mediale Darstellen der Realität verhängen. Wer nicht nach dem Geschmack des Kremlherrschers berichtet, lebt gefährlich.
Ukraine-Konflikt - Reaktionen
Foto: dpa | Putin über alles: Der Kreml-Diktator hat Russland zu einem medialen „Tal der Ahnungslosen“ herabgestuft.

Da flogen die Wodkagläser wohl ein wenig zu früh an die Wand– denn der russischen Staatsagentur Ria Nowosti war am Montag vergangener Woche ein peinlicher Fehler unterlaufen. Bei der von ihr betreuten Version der Nachrichtenseite Sputnik für die Ex-Sowjetrepublik Usbekistan wurde versehentlich ein vorbereiteter Kommentar mit dem Titel „Russlands Angriff und die neue Welt“ hochgeladen, in welchem der Verfasser, Ria-Kolumnist Pjotr Akopow, bereits davon ausging, dass Russlands völkerrechtswidriger Einmarsch in die Ukraine bereits siegreich geendet hatte und die Ukraine mittlerweile gewissermaßen „heim ins Reich“ geholt worden sei.

Unter anderem war in dem Kommentar zu lesen: „Russland stellt seine Einheit wieder her – die Tragödie von 1991, diese schreckliche Katastrophe in unserer Geschichte, (...) wurde überwunden.“ Zudem schrieb Akopow weiter: „Wladimir Putin hat ohne Übertreibung eine historische Verantwortung übernommen, indem er entschieden hat, die Lösung der Ukraine-Frage nicht künftigen Generationen zu überlassen.“ Und – so fügt der Kreml-Propagandist hinzu: Habe „ernsthaft jemand in den alten europäischen Hauptstädten in Paris und Berlin geglaubt, dass Moskau Kiew aufgeben würde?“ Jetzt ist „dieses Problem weg – die Ukraine.“

„Bereits zuvor war es Medien in Russland verboten,
in der Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine
Begriffe wie „Angriff“, „Invasion“ und „Kriegserklärung“ zu verwenden“

Lesen Sie auch:

Nach Recherchen der Deutschen Presse-Agentur war der Artikel bei Ria Nowosti mehr als 24 Stunden online, bevor er gelöscht worden ist. Ob sich die entlarvten Propagandisten, die genauso wie ihr eigener Diktator vom Widerstandswillen der Ukrainer inklusive ihres Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kalt erwischt worden waren, wenigstens ein bisschen schämten, sowohl über die vorzeitige Veröffentlichung des Kommentares als auch über dessen hochnotpeinlichen Inhaltes, wird wohl bis auf Weiteres ungeklärt bleiben.

Was jedoch klar vor Augen liegt ist, dass Putin den Ukrainekrieg nicht nur für die massivste Desinformation und Propaganda innerhalb Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, sondern auch zur völligen medialen Abschottung Russlands vom Rest der Welt nutzt: George Orwell kannte zwar Stalin – doch er kannte Putin nicht. Denn der russische Diktator hatte vergangene Woche mehrere Gesetze zur weiteren Einschränkung der freien Meinungsäußerung in Russland unterzeichnet, mit denen unabhängige Medienberichterstattung nicht nur in radikalster Form beschnitten worden, sondern de facto an ihr Ende gekommen ist.

Der unabhängige Journalismus ist in Russland am Ende

Lesen Sie auch:

Bis zu 15 Jahre Haft drohen demnach für die Verbreitung von angeblichen „Falschinformationen“ über die russischen Streitkräfte sowie über Russlands völkerrechtswidrigen Einmarsch in die Ukraine im Allgemeinen. Strafen drohen auch jenen, die öffentlich die Armee „verunglimpfen“. Das russische Parlament, die Duma, hatte ebenfalls einer entsprechenden Gesetzesänderung zugestimmt. Gleichzeitig blockierte Russland Facebook und Twitter, nachdem zuvor bereits mehrere unabhängige Medien abgeschaltet worden waren, darunter der kremlkritische Radiosender Echo Moskwy und der Fernsehsender Doschd: Nicht mehr die westliche Welt, sondern Nordkorea lässt bezüglich Putins nun vollendeter Mediendiktatur grüßen – und der von Putin-Verstehern gegenüber westlichen Medien gern verwendete Begriff der „Lügenpresse“ bekommt angesichts der putinschen Untaten eine vollkommen neue Dimension.

Bereits zuvor war es Medien in Russland verboten, in der Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine Begriffe wie „Angriff“, „Invasion“ und „Kriegserklärung“ zu verwenden. Moskau selbst bezeichnet den Überfall auf sein Nachbarland bekanntermaßen in orwellscher Manier als militärische „Spezialoperation“, die dort wütenden Streitkräfte gelten als „Friedenstruppen“.

Letzte Hoffnung VPN-Technik?

Nun wurden durch Putins Mediengesetze auch die meisten ausländischen Berichterstatter mundtot gemacht – denn die neuen Verordnungen verfehlten ihre Wirkung nicht: Nach dem Erlass des russischen Mediengesetzes stellten mehrere internationale Sender und Agenturen wie die BBC, Bloomberg oder CNN ihre Arbeit in dem Land ganz ein und wichen somit der Gewalt.

Doch viele Russen können sich, obwohl Putin gegenwärtig alle diktatorischen Register zieht, damit Russland in ein mediales „Tal der Ahnungslosen“ verwandelt wird, mithilfe einer bestimmten Technologie über das wahre Ausmaß des Kriegs und die Folgen für ihr Land informieren. Denn die wohl am weitesten verbreitete Software, um Netzblockaden gegen kritische unabhängige Medien zu umgehen, sind sogenannte VPN (englisch für „Virtual Private Networks“): Zahlreiche kommerzielle Anbieter bieten VPN als App fürs Smartphone oder für Laptop und Computer an. Wer ein solches Programm benutzt, leitet seinen Internetverkehr quasi verschlüsselt über die Server des VPN-Anbieters. Nur der VPN-Anbieter kennt die Zieladresse – nicht jedoch Putin und seine Schergen.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Stefan Ahrens Friedenstruppen George Orwell Josef Stalin Pjotr Akopow Ukraine-Krieg Wladimir Wladimirowitsch Putin Wolodymyr Selenskyj Zweiter Weltkrieg (1939-1945)

Weitere Artikel

Lange Zeit hatten Juden in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion den Mythos eines Sowjetjudentums am Leben erhalten, weil die Sowjetunion sie vor dem Holocaust gerettet hatte.
16.04.2023, 13 Uhr
Bodo Bost
Die Person ist die Botschaft: Wie Bilder und Symbolhandlungen beeinflussen, was wir über die russischen und europäischen Kriegs-Akteure denken und fühlen.
25.06.2022, 07 Uhr
Stefan Meetschen

Kirche

Historisch, theologisch, spirituell: Welche Aspekte laut "Premio Ratzinger"-Preisträger Ludger Schwienhorst-Schönberger eine zeitgemäße Bibelwissenschaft auszeichnen. 
27.05.2023, 17 Uhr
Ludger Schwienhorst-Schönberger 
In der 56. Folge des Katechismuspodcasts mit der Theologin Margarete Strauss geht es um die Frage, wie der Mensch mit der Vorsehung zusammenarbeitet.
27.05.2023, 14 Uhr
Meldung
„Das war die Vorsehung!“ Aber was genau ist das eigentlich? Dieser Frage widmet sich Theologin Margarete Strauss in der 55. Folge des Katechismuspodcasts.
26.05.2023, 14 Uhr
Meldung
In der 54. Folge des Katechismuspodcasts geht es mit Theologin Margarete Strauss um die Schöpfungstätigkeit Gottes.
25.05.2023, 18 Uhr
Meldung
In Ulm findet eines von 30 Pfingstfestivals für Jugendliche statt. Die Veranstalter geben Einblicke in ihre Vorbereitungen.
27.05.2023, 13 Uhr
Sally-Jo Durney