Wenn sich selbst die kürzlich wiedervereinigten 70er-Jahre-Musiklegenden Abba („Waterloo“, „Dancing Queen“) mittlerweile einen eigenen Tiktok-Kanal leisten, um mit einer nachwachsenden jüngeren Fangeneration auf Tuchfühlung gehen zu können, dann weiß man: Soziale Netzwerke wie eben Tiktok, Facebook oder Instagram sind für niemanden, der auch nur halbwegs über eine ordentliche Medienresonanz und Reichweite verfügen will, mehr aus seinem PR-Alltag wegzudenken.
Egal ob Promi, Halbpromi, Influencer oder ganz normaler Jugendlicher: Soziale Netzwerke wie Instagram verführen auch immer mehr junge Menschen ohne Promistatus dazu, sich im besten Sinne des Wortes verkaufen und das eigene Leben genauso spannend und glamourös wie das der dort sich tummelnden Vollzeit-Medienprofis aussehen lassen zu wollen. Doch das bleibt nicht ohne Folgen. Denn aktuelle Studien bringen es laut „Wall Street Journal“ (WSJ) an den Tag: Instagram macht junge Menschen depressiv, schadet ihrem Körperbild und löst sowohl Angst- als auch Essstörungen aus.
„Ich kann mir kein Produkt vorstellen,
das, wenn es einem Drittel seiner erwachsenen Kundschaft schadet,
weiter auf dem Markt sein darf.“
Diese niederschmetternden Erkenntnisse haben jedoch nicht Instagram-Kritiker herausgefunden, sondern Forscherteams der Instagram-Mutter Facebook. Demnach leiden besonders junge Frauen und Mädchen unter dem Druck, dem sie auf Instagram begegnen: 32 Prozent der Teenagerinnen sagen, dass, wenn sie Probleme mit ihrem Körper haben, Instagram das verschlimmert. Junge Frauen vergleichen sich mit anderen Nutzerinnen. Das verändert, wie sie sich selbst wahrnehmen", steht unter anderem in Präsentationen, die Facebook-intern verwendet werden und dem „Wall Street Journal“ vorliegen, wie einer der Autoren des Artikels, Jeff Horwitz, dem TV-Sender CNBC erzählt.
Die US-Amerikanische Wirtschaftszeitung berichtet unter anderem, dass Facebook in den vergangenen drei Jahren viele Studien dazu in Auftrag gegeben habe, wie Instagram seine in die Millionen gehenden jungen User beeinflusst. Dabei kam der Tech-Konzern mehrfach zu dem Ergebnis, dass Instagram einem großen Teil seiner wichtigsten Zielgruppe regelrecht schadet, nämlich in erster Linie jungen Mädchen. Besonders erschreckend: Im Vereinigten Königreich führten 13 Prozent der für die Studien befragten Jugendlichen mögliche Suizidgedanken auf Instagram zurück – in den Vereinigten Staaten waren es 6 Prozent. Auf einem anderen Slide, der innerhalb von Facebook verwendet wird, stehe zudem: "Wir verschlimmern Körperwahrnehmungsprobleme bei drei von zehn Mädchen."
Die jungen Menschen wissen, dass sie süchtig sind
Die Studienautoren schreiben laut dem "Wall Street Journal" sogar, dass viele Jugendliche eigentlich sogar am Liebsten weniger Zeit auf der App verbringen wollen. Jedoch: "Sie fühlen sich süchtig und wissen, dass es schlecht für ihre Psyche ist. Aber sie können einfach nicht aufhören", heißt es hierzu bei den für Facebook erstellten Studien. Denn die Algorithmen der App suchen während der Nutzung immer neue Inhalte für die Nutzer, um das Interesse und somit die Nutzdauer der App hochzuhalten. Die Studien warnen aufgrund der Programmierung der App deswegen explizit davor, dass man Jugendliche damit in eine Abwärtsspirale von Inhalten zieht, die gegebenenfalls schädlich sein könnten.
Das Problem für Facebook jedoch ist: Junge User sind die wichtigste Zielgruppe von Instagram. Sie zu erreichen ist essenziell für den mehr als 100 Milliarden US-Dollar hohen Umsatz der Facebook-Tochter. Somit hat das Unternehmen Anreize, Teenager auf der Plattform zu halten. Mehr als 40 Prozent des Publikums ist 22 Jahre oder jünger - und 22 Millionen Teenager
öffnen die App allein in den USA täglich. Zum Vergleich: Auf Facebook sind es nur fünf Millionen.
Zuckerberg und das Management kennen die Gefahren
Facebook und Instagram wurden bereits häufiger für die psychischen Auswirkungen ihrer Plattformen kritisiert. Die Verantwortlichen, allen voran CEO Mark Zuckerberg, haben diese Vorwürfe stets zurückgewiesen. Dabei wusste der Konzern augenscheinlich, dass seine Apps psychische Erkrankungen auslösen und verschlimmern können.
Trotzdem stellt der Konzern die Zusammenhänge in Form eines Blogposts bewusst anders dar. Und dreht in diesem Post den Spieß einfach um: 81 Prozent der Jugendlichen würden sich laut Facebook durch soziale Medien stärker mit ihren Freunden verbunden fühlen – lediglich 26 Prozent gäben an, sich durch soziale Netzwerke schlechter zu fühlen. Die Journalisten des WSJ hätten, so Facebook, die Studiendaten in ein negatives Licht gerückt.
Ändern will man bei Instagram wohl erst einmal nichts. Das sei ein Unding, meint Psychologieprofessor Jonathan Haidt ebenfalls bei CNBC: "Ich kann mir kein Produkt vorstellen, das, wenn es einem Drittel seiner erwachsenen Kundschaft schadet, weiter auf dem Markt sein darf." In den USA hat sich nun aufgrund der Enthüllungen des „Wall Street Journals“ immerhin auch die Politik eingeschaltet und Instagram beziehungsweise die Muttergesellschaft Facebook unter Druck gesetzt – um noch Schlimmeres zu verhindern. Denn Facebook plant bereits seit längerem, Instagram für Kinder unter 13 Jahren weiterzuentwickeln, um noch mehr User zu gewinnen. Doch dieses „Kinder-Instagram“ dürfte nun aufgrund der äußerst negativen Publicity und des Hinschauens der Öffentlichkeit erst einmal für längere Zeit auf Eis liegen.
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