Klein und verloren brennt ein Lagerfeuer gegen die Kälte der grau-verschneiten Bergwelt an, kaum erkennt man die daneben zusammengekauerte Gestalt. Ein eisiger Wind weht durch die schwarzen Ballons an ihrem Rucksack, während sich majestätisch wie die Gipfel hinter allem ein fast kämpferischer Beat erhebt. NF ist im Nirgendwo. Den Mantel seines Stolzes knöpft der mittlerweile 30-jährige Rapper am liebsten bis oben zu, Luft und Freude einzulassen, scheint ihm wohl noch zu gefährlich.
Seine Single „LOST“, eine Zusammenarbeit mit dem ebenfalls US-amerikanischen Rapper Hopsin, entführt mit ihrem Musikvideo in die Bergeinsamkeit Colorados, mit ihrem Inhalt jedoch in die vielleicht ganz ähnlich weiten Köpfe zweier Künstler. Sie sind noch da, die von NF bereits wohlbekannten schwarzen Ballons, die dunklen Gewichte seiner Vergangenheit, die nach wie vor an seiner Seele zerren. NFs Kampf mit den eigenen Gedanken und Gefühlen ist noch nicht vorbei und ehe man es sich versieht, ist man mittendrin. Wie ein Gewehrlauf ist die enge Straße, die NF entlang blickt, wie alle auf der Suche nach etwas, das ihn wieder atmen lässt und aus seinem kritischen Zustand befreit.
In den Texten befragt Rapper NF sich schonungslos selbst
Dabei weiß der junge Mann um die Hoffnungslosigkeit mancher Strategien: „Wir alle haben uns Vogelscheuchen zur Verteidigung gemacht, die wir auf unseren Feldern verteilen und wie Helden behandeln, wenn sie die Dinge verscheuchen, die wir eigentlich schätzen sollten.“ Warum? „Weil es uns zu peinlich ist, zuzugeben, dass unsere eigentliche Angst ist, verloren zu sein“, meint der Rapper.
NF, wie man ihn kennt. Schonungslose Selbst- und Beziehungsreflexion, irgendwo zwischen Schmerz, Hoffnung und Wut, mal aggressiver, mal sanfter. „Vorhersehbar“, wird kritisiert. „Sich treu geblieben“, könnte man entgegnen. Vor kurzem hat der Künstler, nach vier erfolgreichen Studienalben, die ebenfalls in Zusammenarbeit mit Tommee Profitt als Produzent entstanden, sein erstes Mixtape, „CLOUDS“, veröffentlicht. Die gleichnamige Single klingt wie ein Manifest auf die Unfügsamkeit seiner Kunst, wie ein trotziges Statement gegen alle Wünsche und Erwartungen von außen. „Ich bin einfach, wer ich bin und bereue es nicht. Erkenne, was ich will und dann geh ich und kriege es. Bin meinem Bauch gefolgt und froh, dass ich es getan habe, trotze allen Wahrscheinlichkeiten, ich habe keine Limits, kann nicht gestoppt werden, hört ihr mir zu? Ich werde es nicht sagen, sie wissen, wo mein Kopf ist.“ Ja, das weiß man spätestens seit dem „Perception“-Titel „Outcast“: in den Wolken. Herzlich willkommen also in NFs „CLOUDS“.
Es stimmt allerdings, viel Neues lernt man über den jungen Künstler aus Michigan in den Wolken nicht. Wer seine Alben kennt, wird in seinem Mixtape kaum weitere Erkenntnisse über NF gewinnen. Sicher, es gibt Entwicklungen, und doch ist es ganz der alte Nate, der einem da entgegentönt. Gerade das ist wohl aber das Schöne, trotz der Kritik derer, die gerne etwas ganz Anderes von ihm hören würden. Nein, es bleibt bei Nathan Feuersteins Kampf mit sich selbst und seinen Fehlern, bei seinen Zweifeln, dem unglaublichen Drang, seiner Seele in der Musik Luft zu machen. NF weiß mittlerweile, was er kann. Warum Gott gerade ihn berufen hat, weiß er nicht.
Nun ja, wer genau hinhört, dürfte die Antwort auf diese Frage zumindest ahnen. NF gibt sowohl dem drückenden Schmerz als auch dem befreienden Kämpfen Worte, eine Stimme, einen Rhythmus. Und damit gibt er Millionen anderen, die keine Worte, keine Stimme und keinen Rhythmus für ihren Schmerz, ihr Fühlen und ihr Denken haben, einen Weg nach draußen, nach oben. In „JUST LIKE YOU“ geht es genau um diese Millionen anderen, diese „Millionen von uns, denen es genau wie dir geht“. Es ist ein Gespräch über Angst, über die Tücke des eigenen Verstandes, der so beeindruckend „mit der Wahrheit spielen“ und uns in „unserer eigenen Märchengeschichte begraben“ kann.
Dem Teufel will er nicht nachgeben
Aber NF bleibt nicht stehen bei dieser Diagnose, vorsichtig fragend zeigt er Möglichkeiten auf, wie man diese Irrwege verlassen könnte. „Hast du jemals darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn die Wolken weg wären und du das Licht sehen könntest? Wenn die Tür offen wäre, würdest du losfliegen oder die Vorhänge zuziehen und drinnen bleiben?“ Auch er habe Angst, meint er, und doch würde er gern mit dir losziehen, das Risiko eingehen. Ob es gelingen wird, bleibt offen. Einen Trost gibt NF jedoch mit auf den Weg: „Die Last, die du trägst, ist nicht umsonst, hörst du?“ Und: „Es sind die regnerischen Tage, die uns die Liebe zur Sonne geben.“ Und nur für den Fall, dass sein Auto einmal von der Straße abkommen sollte oder das Flugzeug, das er besteigt, entscheidet, dass es sein letzter Tag ist, rappt er dir mit seinen Versen ein für alle Mal ins Gedächtnis, dass du nicht die einzige Person in der Welt bist, der es nicht gut geht. Gut zu wissen, dass da noch jemand ist.
Und auch NF scheint froh, zu wissen, dass da noch jemand ist außer denen, die ihn in seinem Erfolg kritisieren oder beraten wollen. „Ich hab‘ Leute, die verrückt werden, weil ich nicht bin, wie sie mich wollen. Ich hab‘ Leute, die ich nicht kenne, aber die mir sagen wollen, was ich brauche. Ich hab meine Lieben, die mir sagen, dass sie für mich beten – ich bin dankbar für die Gebete, ich brauche mehr davon, falte meine Hände, beuge meinen Kopf und danke dem Herrn für alles, was er getan hat.“ Da ist er wieder, der Glaube, der so unauffällig wie natürlich durch seine Texte streift.
„ Warum also weitermachen,
wenn er mir sagt,
ich könnte genauso gut aufgeben?“
Nicht wie fromme Verse wirken die wenigen Zeilen, die an sein Christsein erinnern, eher wie ein beinahe beiläufiger, dafür aber umso authentischerer Blick nach oben. Und doch geben sie seiner Kunst eine ganz andere Tiefe. Da ist ein Mensch, der um den Weg zu Gott ringt und der all seine psychischen und alltäglichen Kämpfe einzuordnen weiß in den viel tieferen Kampf um seine Seele. „Als ich am Tiefpunkt war, musste ich mich mit dem Teufel zusammensetzen. Ich ging in die Hölle und fragte ihn laut schreiend, was das Problem ist. Er versuchte, mich dazu zu bekommen, mit ihm zu leben, nannte mich einen Sünder und erzählte mir, dass nichts von mir nach einem Gewinner aussieht. Warum also weitermachen, wenn er mir sagt, ich könnte genauso gut aufgeben? Ich nahm mir einen Moment, dachte darüber nach, fühlte mich zwischen den Fronten gefangen. Aber als er mir sagte, ich würde in einem Hundezwinger leben, wurde ich beleidigt. Ich könnte ihn niemals verlassen, selbst wenn ich es in den Himmel schaffen würde, würde er einen Weg finden, mich zurückzuholen … Da sagte ich: ,Wooh, wooh, warte! Das sehe ich anders!‘“ Und dann beschließt NF, seinen mageren Widersacher nicht weiter zu füttern, ihn verhungern, ihn weinen, schreien, brüllen zu lassen. „Ich brauche ihn nicht.“
Ja, so sieht es aus in den Wolken über Michigan. Bei allem bleibt NF gewohnt niveauvoll. Selbst Hopsin, der ansonsten in seinen Songs leidenschaftlich flucht, hat aus Respekt vor NF in seinem Textteil diesmal darauf verzichtet – und schmunzelnd festgestellt, dass die Qualität dadurch nicht unbedingt sinkt. So kann es weitergehen. Man munkelt tatsächlich, dass das Mixtape nur der Vorgeschmack auf ein neues Album sein soll. Ob nun sein Sohn – NF wird im Sommer zum ersten Mal Vater – oder das Album zuerst kommt, man weiß es nicht. Aber gegen etwas mehr von diesen Wolken, Beats und Ballons ist grundsätzlich nichts einzuwenden.
NF: CLOUDS (Mixtape, CD). 2021 NF Real Music, LLC, Gesamtlänge: 42,20 Minuten, EUR 14,99
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