Leben

„Verschaffen Sie sich Klarheit über Ihre Geschichte“

Mit 12 weiteren Regeln für das Leben meldet sich der erfolgreiche Buchautor, Professor und Psychologe Jordan B. Peterson nach schwerer Krankheit zurück. Stefan Meetschen stellt „Jenseits der Ordnung“ vor.
Kanadische Psychologe Jordan Peterson
Foto: imago stock&people | Ein klares Ziel vor Augen: Der kanadische Psychologe Jordan B. Peterson empfiehlt, das Leben als Geschichte zu "erleben".

Auch die schlimmste Zeit geht einmal vorbei. Die Ungeheuer weichen, die Dämonen treten zurück, wenn man durchhält, sein Kreuz auf sich nimmt. Dies predigt der kanadische Star-Psychologe, Wissenschaftler und Bestseller-Autor Jordan B. Peterson („12 Rules for Life“) – und dies hat er selbst erlebt. Auf dem Höhepunkt seines Erfolges als Autor und Vortragsreisender im Jahr 2019 erkrankte seine Frau an Krebs. Peterson nahm zur Besänftigung seiner Nerven das Beruhigungsmittel Benzodiazepin – mit katastrophalem Effekt. Während die Ehefrau trotz düsterster Prognose geheilt wurde, geriet der 59-Jährige in eine gefährliche Abhängigkeit.

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Statt Vortragsreisen und starker eloquenter Präsenz auf Social Media Kanälen musste Peterson eine Odyssee durch verschiedene Kliniken antreten, um von den zersetzenden Folgen des Medikaments befreit zu werden und zu genesen. Eine schmerzvolle Reise, die seiner Reputation als Lebens-Coach aber kaum schaden dürfte. Peterson hat seine Neigung zu Depressionen und seine Sensibilität nie verhehlt. Weder bei Vorträgen noch bei Interviews verdrängt der Mann aus dem Norden Kanadas, der an der Universität von Toronto Psychologie lehrt, seine eigene Verletzbarkeit. Frei nach C.G. Jung: Nur der verwundete Heiler kann wirklich für die Menschen heilsam sein.

„Seien Sie trotz der eigenen Leiden dankbar“

C. G. Jung steht denn auch – neben dem Entwicklungspsychologen Jean Piaget – vorwiegend Pate für die „12 weiteren Regeln für das Leben“, mit denen Jordan B. Peterson in diesem Frühjahr auf die internationalen Buchmärkte zurückgekehrt ist: In der englischsprachigen Welt bei Penguin Random House, in Deutschland bei einem Nischenverlag. Und nicht mehr bei Goldmann, was vermutlich an Petersons scharfer Kritik an Gender-Sprachreformen liegt. Machte Peterson sich in dem ersten, ganz in weiß schimmernden Band für die Ordnung als Antidot zum Chaos stark, so lädt er in dem aktuellen, ganz in schwarz gehaltenen Werk „Jenseits der Ordnung“ nicht unbedingt zum Chaos ein – doch zur unerschrockenen Begegnung mit dem noch Ungeformten, dem Unbekannten. Denn – wie schon die Alchemisten wussten: die Materia Prima, der „Urstoff“, lässt sich „auch als jenes Potenzial begreifen, mit dem wir es zu tun haben, wenn wir uns der Zukunft stellen“.

So plädiert Peterson dafür, sein eigenes Leben als eine Geschichte zu betrachten, als Abenteuer, das es zielstrebig zu bestehen gilt. Mit einem klaren Ziel vor Augen. Und nicht irgendeinem. „Wählen Sie sich das anspruchsvollste Ziel, das Ihnen einfällt. Versuchen Sie, darauf hinzuarbeiten. Registrieren Sie Ihre Irrtümer und die Fehlannahmen, die Ihnen dabei unterlaufen, stellen Sie sich diesen und korrigieren Sie sie. Verschaffen Sie sich Klarheit über Ihre Geschichte.“ Dass der zuweilen predigende Charakter des Buches im Rahmen des Erträglichen bleibt, gelingt Peterson dadurch, dass er seine Appelle immer wieder mit interessanten und anschaulichen Beispielen aus der klinischen Praxis, dem Berufsleben, der Populärkultur und der Mythologie unterfüttert. „Das Chaos, der Schatz und der Drache besitzen alle ein negatives und ein positives Element, genau wie die Natur – die böse Fee und wohlwollende Mutter – und die Kultur – autoritärer Tyrann und weiser König. Das gilt auch für den Einzelnen. Das positive Element ist der heroische Aspekt: die Person, die der Natur auf angemessene Weise Opfergaben darbringen und mit dem Schicksal einen Vertrag aushandeln kann, damit das Wohlwollen regiert; … Das negative Element hingegen ist alles, was abscheulich und verachtenswert ist.“

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Neue Fähigkeiten entwickeln

Auffällig häufig zieht Peterson auch Beispiele aus der Bibel heran. So geht er bei Regel Nummer 7 („Arbeiten Sie so hart, wie Sie können, an mindestens einer Sache und sehen Sie, was passiert“) ausführlich auf Christus ein, um das grundlegende „Drama“ der westlichen Kultur aufzuzeigen: „Psychologisch gesprochen repräsentiert oder verkörpert Christus die Herrschaft des Dogmas und das (folgende) Hervortreten des Geistes. Der Geist ist die kreative Kraft, die mit der Zeit zum Dogma wird. Der Geist ist auch das, was, wo möglich, permanent solche althergebrachten Traditionen überwindet. Deshalb endet eine Ausbildung mit einem Meisterstück, das erkennen lässt, dass der Schöpfer nicht nur die notwendigen Fähigkeiten erworben hat, sondern auch in der Lage ist, neue Fähigkeiten zu entwickeln.“

Doch kann der Mensch wirklich alles allein aus sich selbst entwickeln? Im Kapitel „Geben Sie Ideologien auf“ ermuntert Peterson zur Bescheidenheit. Er warnt vor sämtlichen „Ismen“ sowie ihren Theoretikern und erläutert die Methoden, auf welche diese zurückgreifen, egal, wo diese politisch oder weltanschaulich stehen. „Nachdem sie die Welt in große, undifferenzierte Stücke gebrochen haben, die Probleme beschrieben haben, die jeden Teil kennzeichnen, und den entsprechenden Übeltäter ausgemacht haben, entwickeln die Ismus-Theoretiker eine kleine Anzahl erklärender Prinzipien oder Kräfte… Dann erklärt er oder sie jene kleine Anzahl von Kräften zu den Hauptverursachern, während andere, die genauso wichtig oder wichtiger sind, ignoriert werden. Am effektivsten ist es, zu dem Zweck ein wichtiges Motivationssystem oder eine weitreichende soziologische Tatsache oder Vermutung zu benutzen. Es funktioniert auch, diese erklärenden Prinzipien aus einem unausgesprochenen negativen, missgünstigen und destruktiven Grund auszuwählen und dann die Diskussion des Letzteren und der Gründe für ihre Existenz für den Ideologen und seine oder ihre Anhänger zu einem Tabu zu erklären... Als Nächstes spinnt der falsche Theoretiker Post-hoc-Theorien, sodass jedes Phänomen, egal wie komplex, als sekundäre Folge des neuen totalitären Systems betrachtet werden kann.“ Wer dies kritisiere oder ablehne, werde „stillschweigend oder ausdrücklich verteufelt“. Petersons Rezept gegen solche gefährlichen Ideologisierungen stammt aus der Apotheke von C.G. Jung, der für die Integration des „Schattens“ warb. Dementsprechend schreibt Peterson: „Es ist psychologisch viel angebrachter (und gesellschaftlich weniger gefährlich) anzunehmen, dass Sie der Feind sind – es sind Ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten, die der Welt schaden-, als davon auszugehen, dass Sie und die Ihren tugendhaft wie Heilige sind, und den Feind überall sonst zu sehen und zu bekämpfen.“

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Negative Kraft ist der Teufel selbst

Sehr berührend ist das Schlusskapitel des Buches „Seien Sie trotz der eigenen Leiden dankbar“, in dem Jordan B. Peterson leidenschaftlich mahnt, der Negativität und dem Nihilismus zu trotzen. Es lässt aufhorchen, wenn ein klinischer Psychologe vom Phänomen der „Besessenheit“ schreibt, das vielfältig in Menschen wirke. „Wenn man gedanklich alles, was einem in sich selbst widerspricht, alles, was den eigenen Freundschaften und dem Ehepartner oder der Partnerin widerstrebt, ansammelt und zu einer einzigen Persönlichkeit vereint, dann tritt die negative Kraft hervor.“ Genau dies, so Peterson, sei Mephistopheles in Goethes „Faust“: „der Teufel selbst“.

Jordan B. Peterson ist dem Teufel noch einmal von der Schippe gesprungen und hat ein sehr lesenswertes, kurzweiliges Buch geschrieben, dem man viele Leser wünschen kann. Denn wer bräuchte nicht innere Heilung und Selbsterkenntnis? Gerade in Zeiten, die von ideologischen Parolen nur so wimmeln.


Jordan B. Peterson: Beyond Order/Jenseits der Ordnung. 12 weitere Regeln für das Leben.
FBV Verlag 2021, 399 Seiten, ISBN 978-3-95972-428-9, EUR 23,–

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