Spätestens seit Hera Lind („Das Superweib“) ist unterhaltsame Frauenliteratur vom deutschsprachigen Büchermarkt nicht mehr wegzudenken. Das Schema der Handlungen in diesem Genre ist einfach: mit Humor, Sehnsucht und Eleganz gelingt es einer Protagonistin, ein persönliches Problem oder eine komplizierte Situation zu bestehen – am Ende winkt zur Belohnung viel Geld und die große Liebe, die sich nach all den Schwierigkeiten und Hindernissen erfüllt. Auch Mira Mendel, die 27-jährige Heldin des Debütromans „Mira“ der Autorin Sandra Dorn, passt in dieses Schema. Mira Mendel gibt Tanzunterricht und arbeitet als Spanisch-Übersetzerin in Bamberg. Sie leidet darunter, dass Bamberg kein mondänes Flair hat und sie selbst trotz beruflicher Erfolge nicht wirklich zur Crème de la Crème der Stadt gehört. Ihr Liebhaber Andrés Moreno, immerhin zweiter Bürgermeister, unternimmt zwar gern mit ihr zusammen interessante Reisen, doch in Bamberg verbirgt er die Liaison. Es könnte ihm ja politisch schaden.
Da lernt Mira den Bamberger Wirtschaftsmogul Sándor Dorian kennen. In seinem Auftrag reist sie nach Málaga, wo sie nicht nur gut verdient, sondern auch der künstlerischen Seite ihrs Wesens frönen kann. Sie schreibt gern Gedichte (von denen einige im Roman auftauchen). Doch was macht Andrés Moreno in der andalusischen Stadt? Und wieso wird Mira Mendel in Bamberg plötzlich gekidnappt?
Eine himmlische Dimension über die Lebensweisheitsdosis hinweg
Auf all diese Fragen gibt die spannende und gut durchkomponierte Handlung peu à peu Antwort, sodass man wissen möchte, wie und bei wem Mira Mendel am Ende das große Glück finden wird. Als Verdächtiger drängt sich bei diesem geradezu Shakespeare’schen Reigen auch der sympathische Priester und Regens Justus („Hannes“) auf, der selbst nach einem schweren Schicksalsschlag den Weg des Geistlichen eingeschlagen hat und bei den Gläubigen aufgrund seines menschlichen Wesens und seiner geerdeten Spiritualität beliebt ist – auch bei Mira, die ansonsten eher auf „Energie“ und andere esoterische Weisheiten setzt. Bei Justus hingegen bekommt das Christentum eine anziehende Note: „Seine Vergangenheit war ein Vorteil für seine Arbeit mit Menschen. Er kannte das Leben in all seinen Facetten. Freude und Leid. Liebe und Hass. Höhenflüge und Abgründe.Tiefste Verzweiflung. Ausweglosigkeit. Dieses Rüstzeug, gepaart mit der mit ihm eigenen emotionalen Intelligenz, ebnete ihm den Weg für einen steilen beruflichen Aufstieg.“
Mithilfe der Priesterfigur gelingt es Dorn, ihrem Roman eine himmlische Dimension zu geben, die über die übliche Lebensweisheitsdosis des Genres deutlich hinausgeht: „Das heutige Thema der Predigt ließ sie plötzlich aufhorchen. Der Gedanke der beiden Zeitbegriffe der Antike, Chronos und Kairos, wurde heute von Justus ausführlich mit anschaulichen Beispielen aus der Lebenspraxis präsentiert und interpretiert. Demnach umfasse der Begriff Chronos den quantitativen Zeitbegriff, den chronologischen Zeitablauf von Ereignissen und Erfahrungen. Kairos stehe hingegen für das qualitative Zeitempfinden, für die sich bietenden Optionen. Mira verstand diese Inhalte als Impuls. Nun hieß es, ihre fremdbestimmte Opferrolle zu verlassen und selbstbestimmt den Kairos zu ergreifen, der vielleicht eine einschneidende Veränderung in ihrem Leben auslösen würde.“
Nur Mut!
Theologische Reflexion und Seelsorge („Opferrolle“) gehen in diesem Fall also Hand in Hand – ein Ideal, sicherlich, welches aber keinesfalls nur Fiktion sein müsste. Wie wohl auch die politische Botschaft des Buches Gehör in der Realität verdient. Geschickt gelingt es Sandra Dorn nämlich, ihre Heldin jenseits von Erotik, Luxus und Zartgefühl zu einem gesellschaftspolitischen Sprachrohr der Gegenwart zu machen: „Ihr sprecht ständig von Inklusion, dabei betreibt ihr laufend Exklusionspolitik! Indem ihr Menschen mit anderen Interessen und Meinungen ausschließt. Oder gegnerische Gruppierungen ignoriert. Ihr müsst im Dialog bleiben.
Wenn ihr aus der Diskussion aussteigt, entwickelt sich deren Unmut und unerwünschtes Gedankengut unkontrolliert im Untergrund weiter, was dann jenseits eurer Kontrolle liegt, aus dem Ruder läuft und nicht mehr steuerbar ist. Das Gesamtpaket ist nicht stimmig, weil eure Priorisierungsorganisation fehlerhaft und nicht ganzheitlich durchdacht ist. Der Bürger will Klarheit, Geradlinigkeit, Transparenz, Ehrlichkeit, Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Beachtung, Unterstützung, Selbstbestimmung. Insbesondere will er nicht Objekt eurer Bevormundung und Gängelei sein!“ Das alles in eine kurzweilige, sentimentale Romanhandlung zu bringen, ohne dass das dramaturgische Konzept kippt, ist schon eine Leistung.
Sprachlich und stilistisch ist das Buch glatt. Auf diesem Gebiet könnte die Autorin beim Nachfolgewerk mehr wagen, indem sie auf modische Management-Begriffe und andere Fremdwörter verzichtet, um so noch stärker die poetische Kraft ihrer Geschichten und die Zerrissenheit ihrer Figuren zur Entfaltung zu bringen. Nur Mut!
Sandra Dorn: Mira. Macht, Mythen und Mysterien in Bamberg und Málaga. Verlag Edition Forsbach, 2023, Paperback, 208 Seiten, EUR 18,–.
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