Literatur

Gott gibt die größte Kraft für die Ehe

Ida Friederike Görres schreibt in Briefen über die Bedeutung der ehelichen Bindung und über Einsamkeit. Von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Ida Friederike Görres, Schriftstellerin
Foto: KNA | Die Schriftstellerin Ida Friederike Görres.

Warum gibt man im Jahr 2012 ein Buch neu heraus, das kurz nach dem alle Lebensbindungen zerreißenden Krieg 1949 erschien? Weil es wahrhaftig auch heute ins Schwarze trifft. Die Schwierigkeiten einer tragenden Beziehung sind offenbar dieselben geblieben, denn vor einer Bindung schrecken allzu viele zurück: Wieso nur du und für immer? Wieso unauflöslich? Wie sich selbst retten, wenn alles bricht, zu brechen scheint? Und ebenso wenig lassen sich die Nöte des wider Willen Einsamen, heute: des Single betäuben: Warum finde ich keinen Partner? Bin ich falsch gepolt, wenn mir der bloße Sexbetrieb auf die Nerven geht? Bin ich zu anspruchsvoll – zu wenig attraktiv – zu verklemmt – zu idealistisch – zu unweiblich/unmännlich – zu mausgrau et cetera? Gibt es einen Rat, über Psychologie und Lebensklugheit hinaus, der ernsthaft weiterträgt?

Dieser Rat kommt von der heute vielfach vergessenen, längst wieder zu entdeckenden Schriftstellerin Ida Friederike Görres (1901 Ronsperg/Böhmen – 1971 Freiburg). In den 1930er und 1940er Jahren war ihre Schaffenskraft erstaunlich; vor allem trat sie mit neuartigen, in die menschliche Tiefe gehenden Heiligenbiographien hervor. 1943, mitten im Krieg, erschien ihr großes Buch über Therese von Lisieux, 1946 ein folgenreicher kritischer „Brief über die Kirche“. 1949/50 folgte auf einen Schlag, was in den zurückliegenden Jahren gereift war: Der Gedichtband „Der verborgene Schatz“, dann: „Nocturnen. Tagebuch und Aufzeichnungen“, welcher „Wurf“ 1950 noch weitergeführt wurde mit: „Die leibhaftige Kirche“. Diese erstaunliche, ja überbordende Arbeit wurde ab Oktober 1950 eingedämmt durch heftige Krankheitsschübe, die als Läuterung empfunden wurden und die Schaffenskraft nicht völlig unterbrachen. Eine Monographie zu John Henry Newman blieb zwar liegen (veröffentlicht erst im Jahr 2004), aber es folgten unter anderem die Arbeiten „Der karierte Christ“, das Tagebuch „Zwischen den Zeiten“ und „Weltfrömmigkeit“ (posthum). Nach dem Konzil, das sie mit Aufmerksamkeit, aber auch Bangen verfolgt hatte, wurde sie in die Würzburger Synode berufen – und sie starb dort bei einer Sitzung völlig unvermutet an einem Gehirnschlag, nachdem sie eine Stellungnahme abgegeben hatte.

Übrigens: Der damalige Tübinger Professor Joseph Ratzinger sprach im Freiburger Münster am 19. Mai 1971 die Gedenkworte an Ida Görres: Er hatte sie in den Wirren von 1968 kennen und schätzen gelernt.

Was das neu aufgelegte Buch so anziehend und frisch macht, sind drei Dinge: der unverblümte Inhalt, die farbige Sprache und die ungewohnte religiöse Aufhellung von Fragen.

Der unverblümte Inhalt: Alle Einwände gegen Ehe als „unmögliche Dauerbindung“ werden vorgebracht – nichts hat sich seitdem verändert. Aber auch alle Erfahrungen des „unerfüllten“ Alleinseins werden – ja, herausgeschleudert, zornig und traurig. Und werden in der Antwort aufgegriffen, behutsam vertieft, in ihrem wahren Anspruch geklärt, in der Übertreibung abgewiesen – bis sich die großen Möglichkeiten herausschälen, wie Leben in riskanter Balance, aber doch zu bestehen ist: das ganze Leben mit einem anderen Menschen oder das ganze Leben ohne einen bestimmten anderen, mit vielen Menschen. Beides hat seine je eigenen Lasten, die nicht schönzureden sind, aber ohne Bitterkeit geschultert werden wollen; beides hat seine Erfüllungen, aber auch seine Abstürze. Und trotzdem können sie gemeistert werden. Auch die (Selbst-)Missverständnisse der ersten großen Liebe werden im vierten Brief behutsam beleuchtet – ein Lehrstück über die menschliche Hingabefähigkeit und die gefahrenreiche Selbsttäuschung in einem. Aber ein Lehrstück, das nicht demütigt. Hier spricht mehr als Gefühl; hier spricht Erfahrung.

Die farbige Sprache: Es gehört zur Stärke des Buches, schwierige, ja in der menschlichen Tiefe verborgene Sachverhalte solange zu umkreisen, bis sie durchsichtig werden. Es ist eine Sprache voll Leidenschaft, die ein schlagendes Herz, aber auch einen analytischen Geist spüren lassen: ebenso zuchtvoll wie schöpferisch, ebenso elegant wie kämpferisch. Eine unvergleichlich nuancenreiche Sprachkunst verleiht den Ausführungen ihre Deutlichkeit, mehr noch ihre Überzeugungsstärke.

Religiöse Aufhellung: Das Kostbare an diesem Denken ist die Kraft, Gott ins Spiel zu ziehen. Eben nicht als Lückenbüßer und Allheilmittel, sondern als lebendigen Wider-Stand, an dem man sich aufrichten kann. „Stützen kann nur, was widersteht.“ Und gerade das erweist sich als hilfreich.

Denn wenn man meint, das Ganze müsste auf den „heutigen religionsfernen Menschen“ zugeschnitten sein, damit man ihn auf keinen Fall überfordere oder herausfordere, so gilt der kluge Satz von Botho Strauß: „Er braucht nicht abgeholt zu werden, sondern wird angezogen, nähert sich von selbst, wenn jemand von einer etwa zehn Zentimeter höheren Warte zu ihm redet.“

Tatsächlich: Ida Görres zieht an und zieht mit; ihre Überlegenheit und Einsicht bestechen schon auf den ersten Seiten. Anders als in überwiegend seichten „Ratgebern für Lebensfragen“ (obwohl Ida Görres für Lebensfragen ein Gutteil Anlage besitzt) gibt sie keine Checkliste für „Beziehungsarbeit“, keine kurzatmige Anleitung zum Eheführerschein, keine Tipps zum Anmachen für Singles („tu doch endlich was!“). Sie geht wirklich auf den Grund: den Grund einer verworrenen, widersprüchlichen, „unerlösten“ Natur, in der das Geschlecht als großer ungezähmter Motor tätig ist. Lösungen gibt es nur aus dem Kern des Daseins, auf den das tastende Gespräch hinführt: in Prüfung der jahrhundertelangen Erfahrungen der Kirche, der Dichtung, der Literatur. Lösung gibt es aus dem persönlichen Gespräch und Streit mit Gott, aus dem seligen Überraschtsein von seiner Führung.

Es wird und kann sich zeigen, dass Ida Görres mit solcher Sprache, mit solchem Ernst über die Jahre hinweg das Ohr auch einer heutigen, in der Tiefe verstörten und führungslosen Generation erreicht.

Ida Friederike Görres:
Von Ehe und von Einsamkeit.
Ein Beitrag in Briefen.
Herausgegeben von Gudrun Kugler, kairos publications, Wien, November 2012,
139 Seiten, ISBN-13: 978-3-9503055-3-1, EUR 9,80

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