Kurz vor seinem Tod im Jahre 2003 nahm der als Bibel- und Whiskyfest geltende Country-Sänger Johnny Cash ein Album mit Liedern anderer Pop-Musiker auf: Darunter „I hung my head“ von Sting oder „Personal Jesus“ von „Depeche Mode“. Cashs kauziger Kommentar: „Es sind christliche Lieder, geschrieben von Musikern, die wahrscheinlich gar nicht wissen, dass sie ein christliches Lied komponiert haben.“ Das Album wurde ein Erfolg. Im Radio werden einzelne Stücke immer noch gespielt. Für Hörer, die in den meisten Fällen wohl gar nicht wissen, wie christlich die Botschaft ist, die ihnen aus den Lautsprecherboxen entgegenschallt. Zumal Cashs Image bis heute nichts Frommes hat.
So verborgen tut die Religion in der Popkultur nicht weh, und es gibt etliche ähnliche Beispiele von Liedern, die täglich bei den öffentlichen und privaten Radiostationen über den Äther gehen und auf dieselbe Weise sozusagen undercover für das Evangelium werben: „What if God was one of us“ von Joan Osborne zum Beispiel oder „Tears in Heaven“ von Eric Clapton. Auch der mittlerweile 25 Jahre alte Song „I still haven't found what I am looking for“ („Ich habe noch nicht gefunden, wonach ich suche“) der irischen Rockband U2 zählt zu diesen bekannten Beispielen, zumal der Titel den Verdacht einer Orientierungslosigkeit nahelegt, die jedoch in den Strophen eindeutig widerlegt wird. „I believe in your Kingdom Come“ toniert der Sänger Bono lautstark. „Ich glaube daran, dass Dein Reich kommen wird”.
Doch mit U2 und Bono hat es eine besondere Bewandtnis: Die vier Musiker-Superstars, deren Stellenwert in der Popgeschichte dicht bei Giganten wie den Beatles oder The Who liegt, haben aus ihrem christlichen Glauben nämlich niemals einen Hehl gemacht. Seit dem ersten Album mischen sie Bibelzitate mit poetischen Bildern, harten Gitarren-Riffs und peitschenden Basslinien, und wenn es nötig ist, was bei Bühnenauftritten und Interviews eigentlich immer der Fall ist, gefällt sich Bono, der Gute, in der Rolle des pathetisch-verantwortungsvollen Predigers im globalen Dorf, der die Reichen der Welt zum Teilen auffordert, die Fans zu Mitmenschlichkeit und Güte. Dass Bono dem Papst bei einem Vatikanbesuch einst seine Sonnenbrille schenkte und Johannes Paul II. flugs zum größten „Popstar aller Zeiten“ erklärte, fällt dabei im säkularen Popzirkus kaum noch negativ ins Gewicht. Man hat diese missionarische Haltung und offen zur Schau getragene Religiosität des U2-Frontmans akzeptiert, zumal neben der handwerklich-kreativen Leistungsfähigkeit der Gruppe niemals Skandale an die Öffentlichkeit traten. Im Gegenteil: Als britische Presseleute nach etwas Schmutz im Privatleben des Sängers suchten, erfuhren sie, dass er auch ohne Kameras mit seiner Frau nach Afrika reist, um soziale Projekte zu unterstützen.
Soviel heiligmäßige Züge sind im kommerziellen Haifischbecken der Popkultur selten, zumal sich diese Kultur Mitte der 1950er Jahre ausdrücklich als Protestbewegung gegen den bürgerlichen und kirchlichen Wertekodex entwickelte. James Dean, Marlon Brando und später die Rolling Stones standen mit ihrem Halbstarken-Image in Opposition zu Tradition und Familie. Heiligkeit war nicht gefragt. Es ging um Emanzipation, Freiheit, Bindungslosigkeit. Es ging um Jeans und Lederjacke statt Anzug und Krawatte. Es ging um das ewige Heutige, die ewige Pubertät, forever young. Eine Geschmacks- und Kulturrevolution, die mittlerweile sämtliche westliche Gesellschaften erfasst hat, wie es der Dichter Botho Strauß in seiner Novelle „Die Unbeholfenen“ messerscharf diagnostiziert: „Aus der Banalität des Bösen ging das Böse der Banalität hervor. Und nichts gab es mehr, das neue Vergangenheit bildete.“ Die Generationenkonflikte der 1950er Jahre – sie scheinen vom Alltag der heute Aufwachsenden Lichtjahre entfernt zu sein. Warum noch kämpfen? Mittlerweile gehen Mami und Papi mit den lieben Kleinen gemeinsam zum Nena- oder Pink Floyd-Konzert. In Jeans und Lederjacke oder was sonst gerade auf dem Modemarkt up to date ist.
Sind Popkultur und Christentum also schon deshalb unmöglich kompatibel? Sind es geistige Kraftzentren, die sich (von wenigen Ausnahmen wie U2 abgesehen) gegensätzlich und feindlich gegenüberstehen? Weil Christen zwar in, aber nicht von dieser Welt sind, während die Pop Kultur diese Welt in all ihrer Verlorenheit und Lüge repräsentiert – trotz all der vielen Lieder von Freiheit, Liebe und Sehnsucht?
Zu einer überraschend optimistischen Einschätzung dieses Fragenkomplexes kommen die evangelikalen Autoren Craig Detweiler und Barry Taylor in ihrem Buch „A Matrix of Meanings: Finding God in Pop Culture“ (2004), in welchem sie nicht nur einzelne Produkte der Popkultur loben, wie etwa die Austin Powers-Komödien, sondern zu dem Ergebnis stoßen, dass „Gott sich in der Popkultur auf neue Weise enthüllt“ und das Evangelium die Menschen im postmodernen Kontext von Filmen und Songs frisch und zeitgemäß anspricht. Die Autoren leiten also geradezu eine Theologie (aus) der Popkultur ab. Verhalten optimistisch ist dagegen der Geistliche Andrew Greeley in seinem schon etwas älteren Buch „God in Popular Culture“ (1989). Greeley sieht zwar spirituelle Werte in Woody Allen-Filmen oder in Genres wie Western, Romanzen oder sogar Horrorfilmen verwirklicht, seine Kritik richtet sich jedoch stärker gegen die Kirche, die – was Kathedralen, Gemälde, Lieder, Rituale betrifft – einstige Supermacht im Bereich der populären Kultur, die es heute jedoch kaum noch schaffe, mit den Entwicklungen der säkularen Welt in Berührung zu kommen. Eine Kritik, die mittlerweile zumindest teilweise widerlegt werden kann: Etwa durch Artikel des „L'Osservatore Romano“, in dem John Lennon, die Beatles und sogar Harry Potter gepriesen wurden oder durch den berühmten Konzertauftritt von Bob Dylan vor Papst Johannes Paul II. im Jahre 1997, welchen der Papst nutzte, um Dylans Song „Blowing in the Wind“ einer Exegese zu unterziehen, die zumindest beim damaligen Papst thematisch zum Wirken des Heiligen Geistes führte.
Fest steht bei all diesem Jubel über die nahezu allgegenwärtige Popkultur aber auch, dass sie in den 1960er Jahren nach der ersten pubertären Protestphase ziemlich unverhohlen in Richtung Dekadenz steuerte. Die schrille Dreifaltigkeit von Sex, Drugs and Rock'n'Roll bestimmte schnell das Bild und den Geist der Epoche. Das ist eindrucksvoll festgehalten in Filmen wie „Easy Rider“ mit Dennis Hopper oder „Barbarella“ mit Jane Fonda.
Spiritualität wurde, wenn überhaupt, im esoterischen oder hinduistischen Bereich gesucht. Mit Hilfe bewusstseinserweiternder Drogen, die der LSD- und Woodstock-Guru Timothy Leary empfahl, wollte man den schnöden Materialismus überwinden, dem man im menschlich knallharten Pop-Charts-und-Bestseller-System jedoch unverhohlen huldigte. Die makabere Folge: Der Club 27. Will sagen: Eine Reihe von Pop- und Rockstars, die mehr oder weniger im Zusammenhang mit Drogen ums Leben kamen. Seltsamerweise alle im Alter von 27 Jahren. Seien es Jimi Hendrix, Jim Morrison oder als aktuelleres Beispiel der Nirwana-Sänger Kurt Cobain im Jahre 1994. Und viele, viele andere. Nihilistisch-blasphemische Aussagen in Songs und Interviews waren bei manchen dieser Verblichenen durchaus keine Mangelware. Es regierte das Motto: „Live fast, love hard, die young“ (dt.: Lebe schnell, liebe hart, sterbe jung). Dazu dominierte beim Bühnen-Outfit nicht selten der Totenkopf, die Farbe Schwarz.
Was in manchen christlichen Kreisen schon früh den Verdacht weckte, dass bei der Popkultur destruktive Kräfte am Werk seien, die mit dämonischer Effizienz Artisten und Fans ins Verderben stürzen. Es entstanden die backwards-playing-Theorien: Hör die Schallplatten der erfolgreichsten Bands wie „Queen“, „Eagles“ oder „Deep Purple“ rückwärts an und Du wirst Satanische Botschaften heraushören. Teufelsanbetung, um des Erfolgs willen. Ob wahr oder nicht. Bei manchen Schallplatten der 1970er Jahre konnte man auch in normaler Laufrichtung ziemlich schnell dunkle Töne erhaschen, wie zum Beispiel bei der Gruppe AC/DC, welche voller Begeisterung singen: „Hey satan, payed my dues /Playing in a rocking band /I'm on the Highway to hell“. Eine musikalische Formation, die mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Der Abtprimas der Benediktiner, Notker Wolf, fetzt die Songs der wilden Australier auf der eigenen E-Gitarre nach und die von Guttenbergs sah man auch schon mal bei einem AC/DC Konzert. Was besonders im Falle der Stephanie zu Guttenberg erstaunlich ist. Diese setzt sich nicht nur gegen Kindesmissbrauch ein, sondern sozusagen auch für eine pornofreie Zone in der Popkultur. 2010 griff sie mit Hilfe der „Bild“-Zeitung moderne Popsängerinnen wie Lady Gaga an, die bei ihren Auftritten kaum noch Kleidung tragen würden und dadurch die Sexualisierung der Gesellschaft vorantrieben. Tatsächlich muss man konstatieren, dass spätestens seit Beginn der 1990er Jahre, als Madonna begleitend zum „Erotica“-Album mit schockierenden Domina- und Bondage-Videos via MTV viele Kinderzimmer veränderte, der Performancecharakter in der Popkultur immer grellere und – sagen wir es ruhig – perversere Formen angenommen hat. Ob Kylie Minogue, Britney Spears – sie alle änderten im Zuge von Madonnas Popularität ihr braves Image. Provozierten nun ebenfalls mit lesbischen Auftritten und machten sittlich anstößige Modecodes, die einst auf Subkulturen beschränkt waren, für den etablierten Mainstream salonfähig.
Doch muss sich das Rad der Popkultur zwangsläufig in diese Richtung drehen? Ist die zunehmende Perversion, die zunehmende „Ausbreitung des Heidentums“ (Michael O'Brien) durch die Popkultur unaufhaltbar? Gibt es nur noch einen zunehmenden Werteverfall zu diagnostizieren? So unbestritten die Tatsache ist, dass James Bond trotz wechselnder Darsteller auf sexuellem Gebiet nicht gerade der Gentleman der alten Schule ist, sondern äußerst charmant den Lebensstil der Promiskuität präsentiert, so unbestritten ist aber auch, dass er im Kampf gegen das Böse antritt und gewinnt. Er erfüllt also eine Ursehnsucht des Menschen, die in sämtlichen Groschenromanen seit Mitte des 19. Jahrhunderts erfüllt wird. Das Gute siegt. Der Böse wird bestraft.
Auch James Bond lässt das Böse nicht gleichgültig und dank der Finesse seiner britischen Technologieentwicklung gelingt es ihm, die Welt, die gerade mal wieder am Abgrund steht, zu retten, zu erlösen.
Auch Fernsehserien, die in den 1930er Jahren ursprünglich als Seifenopern im Radio begannen und schnell zu einem wichtigen Bestandteil der Popkultur wurden, folgen dramaturgisch den Mustern des Guten. Im Kampf gegen das Böse. Und natürlich geht es immer um Liebe. In neueren Serien wie „Sex and the City“ oder „Desperate Housewives“: um die große Liebe, die man hoffentlich eines Tages zur Beendigung des coolen, aber nervigen Singledaseins doch noch findet, in früheren Serien wie „Dallas“ oder „Bonanza“ stand sehr stark die Familie im Fokus. Mit all ihren Stärken und Schwächen, aber dennoch als unverrückbarer, nicht zur Diskussion stehender Wert.
Auch Serien wie „Star Wars“ haben eine Zeitlang sehr wohl wichtige Werte wie Toleranz, Gedankenfreiheit und Verständigung zwischen fremden Kulturen (des Universums) propagiert. In jüngster Zeit bahnt sich allerdings auch bei diesem Genre der Popkultur, der TV-Serie, ein Wertewandel an. Kein ganz zufälliger. So sagte die Autorin der polnischen Familienerfolgsserie „M jak Milosc“ (L wie Liebe) ganz offen, dass sie endlich einen sympathischen Homosexuellen einführen möchte, um das Publikum für dieses brisante Thema zu „domestizieren“. Ob das klappt? Bislang waren die beliebtesten Serien des Landes mehr auf sympathische Geistliche ausgerichtet. Wie auch in Deutschland oder Italien. Wo schon seit Heinz Rühmanns Pater Brown Auftritten deutlich ist, wie kompatibel Christentum und populäre Serien sein können. Wenn sie gut gemacht sind und wenn Programmmacher sie wollen.
Dass man auch mit mysteriösen, zwielichtigen Plots Erfolg haben kann, zeigen im Bereich der populären Bücher Autoren wie Dan Brown oder Steven King, die ihren Massenerfolg größtenteils mit der Verbreitung falscher, negativer Klischees über das Christentum erreicht haben („Sakrileg“) oder mit der Faszinationskraft des Okkulten, der unsichtbaren dämonischen Welt („Shining“, „Es“). Doch auch hier auf der dunkleren Seite des populären Buchmarkts gibt es Wendemöglichkeiten. So bekehrte sich die Gruselautorin Anne Rice („Interview with a Vampire“) vor zehn Jahren zum Katholizismus, um nur noch Bücher für den „Herrn“ zu schreiben. Mittlerweile hat sich Rice, wie man ihren facebook-Angaben entnehmen kann, aus dem Schoß der Kirche wieder etwas gelöst. Dem persönlichen Erlöser, „Lord Jesus“, will sie schriftstellerisch und persönlich weiter nachfolgen.
Auch der weitere Weg des erst 17-jährigen Justin Bieber mit Spannung zu verfolgen. So früh bereits am Pophimmel angelangt, bekennt Bieber ohne Scheu, wie wichtig ihm das Beten und die persönliche Beziehung zu Jesus Christus sind. Wenn in dem ganzen Spektrum aus Hedonismus, Neu-Heidentum, Okkultismus ab und zu ein kleiner, aber authentischer christlicher Akzent gesetzt wird. Das ist schon sehr viel. Wer es hören soll, egal ob der Glaube noch fehlt oder schon da ist, der wird es hören und vielleicht auch verstehen.