Die Online-Plattform Netflix hat den fast dreistündigen Film „War Sailor“ (Originaltitel: „Krigsseileren“), den Norwegen im vergangenen Jahr als offiziellen Beitrag für den nicht-englischsprachigen Oscar eingereicht hat, in drei einstündige Episoden aufgeteilt. „War Sailor“ ist eine Hommage an die norwegische Handelsmarine und ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg. Sie erinnert an die mehr als 30.000 Matrosen, die ohne militärische Ausbildung an der Seite der Alliierten kämpften, ohne die die Briten – so die Aussage des Friedensnobelpreisträgers Philip Noel-Baker – „den Krieg verloren hätten“.
Keine Rettung
Im Mittelpunkt stehen zwei lebenslange Freunde: der Koch Alfred oder Freddy (Kristoffer Joner), ein Vater von drei Kindern, und der Ingenieur Sigbjörn (Pål Sverre Hagen), ein Junggeselle. Im Jahre 1939, sieben Monate vor der deutschen Besetzung Norwegens, heuern sie in Bergen auf einem Schiff an, das für eine 18-monatige Reise fern ab vom Krieg – so glauben sie – in See sticht. Alfreds Frau Cecilia (Ine Marie Wilmann) zeigt sich wenig begeistert von den Plänen ihres Mannes. Doch das neutrale Norwegen wähnt sich in Sicherheit, und die arme Familie benötigt dringend den Lohn. Die gehbehinderte Tochter Magdeli versteckt die Heuerpapiere ihres Vaters, weil sie eine Ahnung hat: „Er wird sterben!“ Sie kann nicht wissen, dass der Krieg auch Norwegen heimsuchen wird.
Der Krieg holt Alfred und Sigbjörn schnell ein: Ihr Schiff begegnet Schiffsbrüchigen nach einem Angriff von deutschen U-Booten. Nicht alle Schiffsbrüchigen können gerettet werden, weil deutsche U-Boote auf der Lauer liegen. Freddie und Sigbjörn retten den 14-jährigen Aksel, der sich ihnen ebenso anschließt wie der junge Braathen und die Küchenhilfe Hanna. Sie bilden nun eine fünfköpfige Gruppe, die um ihr Überleben kämpft, da sie jeden Moment von einem deutschen U-Boot angegriffen werden könnten.
Teure Produktion
Parallel wird gezeigt, wie britische Flugzeuge Bergen bombardieren. Auch hier ist die Luft voller Rauch, und auf dem Schutt der versehentlich getroffenen Schule sucht Freddys Frau Cecilia ihre in den Trümmern verschütt gegangene Tochter. Später wird Freddy die Falschnachricht vom Tod seiner gesamten Familie erreichen.
Drehbuchautor und Regisseur Gunnar Vikene zeigt den Krieg ohne die typischen Kriegsszenen und Materialschlachten. Er konzentriert sich vielmehr auf die verheerenden Folgen für beide Mikrokosmen, auf hoher See und an Land, die eine Familie zerreißen. Mal mit wackeliger Handkamera aufgenommen, um dem Zuschauer den Eindruck zu vermitteln, „mittendrin“ zu sein, mal mit Totalen, die das Ausmaß der Zerstörung verdeutlichen, lässt Kameramann Sturla Brandth Grøvlen sehr unterschiedliche Räume wieder erstehen. Der Mitteleinsatz macht diese Produktion zur teuersten des norwegischen Kinos. Lebensecht und sorgfältig nimmt sich das Produktionsdesign aus – es genügt, die bescheidenen Häuser der Familie 1939 und 1972 zu vergleichen, um es zu schätzen.
Gunnar Vikene weiß, wie man mit der Zeit umgeht: Tage werden zu Wochen, Monaten, Jahren... und Jahrzehnten. „War Sailor“ beginnt 1939, umspannt mehrere Jahrzehnte und verfolgt die Auswirkungen des Weltkrieges bis in die 1970er-Jahre hinein. Genauso wie die Zeit ist auch der Raum zersplittert. Die Serie springt von einem Kontinenten zum nächsten – die Heimat scheint immer ferner zu sein. Mit den eingeblendeten Jahreszahlen und Ortsangaben wird dem Zuschauer eine Orientierung geboten.
Puzzlesteine
„War Sailor“ braucht ziemlich lange, nicht so sehr, um die unterschiedlichen Figuren einzuführen, sondern eher, um die unterschiedlichen Puzzlesteine zu einem Gleichgewicht zu führen, insbesondere den Kampf auf hoher See und die zunehmenden Schwierigkeiten, denen Cecilia begegnet, um die Familie im kriegsgeschüttelten Norwegen über die Runden zu bringen. Insbesondere in seinem Epilog, der die langanhaltenden Nachwirkungen des Krieges beleuchtet, erweist sich „War Sailor“ als außergewöhnlicher (Anti-)Kriegsfilm. Obwohl die Netflix-Miniserie in der Inszenierung ganz andere Wege geht als Edward Bergers Film „Im Westen Nichts Neues“, haben die beiden gemeinsam, dass sie die grauenhaften Seiten des Krieges schonungslos zeigen. Gemeinsam ist beiden außerdem, dass die Musik von dem deutschen Komponisten Volker Bertelmann stammt, der für Bergers Film einen Oscar erhielt.
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