Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Filmrezension

„The Marvels“: Das Marvel-Superheldenkino tritt auf der Stelle

Selbst geballte Superheldinnen-Power wird das Marvel Cinematic Universe nicht vor seinem ersten großen Flop bewahren.  
Ms. Marvel, Captain Marvel und Captain Monica Rambeau wollen in "The Marvels" den Diebstahl der Sonne verhindern.
Foto: Laura Radford (Disney/Marvel) | Ms. Marvel, Captain Marvel und Captain Monica Rambeau wollen in "The Marvels" den Diebstahl der Sonne verhindern.

Seitdem der Superheldenfilm „Iron Man“ vor fünfzehn Jahren das Marvel Cinematic Universe begründet hat, umfasst das MCU mittlerweile ganze 33 Filme und ein dutzend TV-Serien. „The Marvels“ ist dabei nun der neueste Kino-Blockbuster aus dem Hause Marvel beziehungsweise Disney. 
Aber ob der Film wirklich ein Erfolg werden wird - das bezweifeln bereits zum Kinostart viele Branchenbeobachter, was nicht nur an der offensichtlichen Marvel-Müdigkeit oder aufgrund von zu viel generischem, sich ständig wiederholenden Content liegt, sondern auch an den Figuren, die wieder einmal die Welt beziehungsweise das Universum retten, aber niemanden (mehr) so richtig interessieren. 

Eine Fortsetzung, auf die nicht viele gewartet haben

„The Marvels“ ist eigentlich die Fortsetzung des Marvel-Superheldenfilms „Captain Marvel“ von 2019 sowie die thematische Fortführung der Ereignisse aus den bei Disney+ laufenden Marvel-Serien „WandaVision“, „Ms. Marvel“, „Secret Invasion“ und „Hawkeye“. Vor vier Jahren sprang der Marvel-Konzern mit deutlicher Verspätung auf den „Me too“-Zug auf und präsentierte mit „Captain Marvel“ die erste weibliche Hauptheldin. Während genannter Film auf der Welle des Erfolgs in der Hochphase des MCU noch 1,13 Milliarden Dollar einspielen konnte, fanden die obigen Serien beim Publikum kaum Beachtung. Das könnte sich aber nachträglich durchaus ändern, wenn „The Marvels“ an den Kinokassen überzeugt - so malen sich das die Macher rund um MCU-Mastermind Kevin Feige wohl aus. Oder traute man es Captain Marvel nicht mehr so richtig zu, erneut als alleiniges Zugpferd Gewinne zu generieren und hat den Film deshalb von vornherein nicht als „Captain Marvel 2“ betitelt? 

Wie auch immer, die gute Nachricht ist: Der Film setzt zwar einiges an MCU-Wissen voraus, aber man muss weder „Captain Marvel“ noch die vielen Marvel-Serien gesehen haben, um „The Marvels“ inhaltlich wirklich verstehen zu können. Durch kurze Erklärungen und Rückblicke wird genug Kontext hergestellt, wodurch man den Geschehnissen des Films auch ohne viel Vorwissen gut folgen kann. Der Film hat zwar eine recht simple Grundhandlung, kommt aber mit einigen innovativen Überraschungen daher: Zum ersten Mal gibt es beispielsweise eine Musical-Gesangseinlage, TikTok-taugliche Flerken-Katzenvideos, eine Zeichentrick-Sequenz und zwei Cameo-Auftritte von weiteren Superheldinnen. Zudem werden in den beiden finalen Mid/Post-Credit-Szenen gleich zwei Türen in neue Sphären des Marvel-Universums aufgestoßen, die durchaus vielversprechend sind, was die Zukunft des MCU anbetrifft. Doch worum geht es in dem Film inhaltlich? 

Marvel befindet sich auf dem Wokeness-Trip

In „The Marvels“ tun sich gleich drei Superheldinnen aus dem MCU zusammen, um sich einer neuen Bedrohung entgegenzustellen: Die blonde Carol Danvers alias Captain Marvel (Brie Larson), die pakistanisch stämmige Teenagerin Kamala Khan alias Ms. Marvel aus der Disney+-Serie „Ms. Marvel“ (Iman Vellani) und die afro-amerikanische Astronautin Monica Rambeau aus „WandaVision“ (Teyonah Parris). Die drei Frauen sind aufgrund ihrer Superkräfte plötzlich auf ganz besondere Weise elektromagnetisch miteinander verbunden: Sobald eine von ihnen ihre Kräfte einsetzt, beamt es sie fort und die andere landet durch eine Art intergalaktisches Teleportationskarussell an ihrer Stelle. Aber wie es sich für Superheldinnen gehört, lernen sie nach anfänglichen Schwierigkeiten ihre Superkräfte zur „Female Power“ zu bündeln und retten als Girls-Trio das Universum. 
Dabei erhält das ethnisch vielfältige Dreiergespann zusätzliche quantitative Unterstützung von weiteren starken Frauen, während Männer wie Captain Marvels alter Vertrauter und Marvel-Veteran Nick Fury (Samuel L. Jackson), dem Zeitgeist geschuldet, nur noch schmückendes Beiwerk und ohne wirkliche Daseinsberechtigung sind. Die heldenhaften „alten weißen Männer“ gehören beim Mäusekonzern Disney diversitätspolitisch immer mehr der Vergangenheit an und fehlen folgerichtig hier komplett. 

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Frische Ideen werden durch Beliebigkeit ausgebremst

Dem neuen Abenteuer von Captain Marvel und Co. mangelt es zwar nicht an neuen und frischen Ideen, aber leider auch nicht an generischen Weltraumschlachten mit schlecht aussehenden Spezialeffekten sowie neben emotional relevanten, guten Figuren auch an schlechten. Denn Bösewichte waren noch nie eine Stärke des MCU und sind auch hier wieder einmal die Schwachpunkte. 
Diesmal werden die Bösen angeführt von der mächtigen Kriegerin Dar-Benn (Zawe Ashton) vom Alien-Volk der Kree. Sie hat noch eine Rechnung offen mit Captain Marvel, die sie als Annihilator, also Auslöscherin, bezeichnet. Denn diese hat den Krees und ihrem Heimatplaneten Hala einst ihre Sonne zerstört und ihnen dadurch ihren Planeten unbewohnbar gemacht. Dar-Benn möchte sich nun aus Rache und mit Hilfe von kosmischen Armringen, die Sonne unserer Erde herbeiteleportieren. Im Zuge dessen hat sie wohl auch ein Loch in die Raum-Zeit-Decke des Universums gerissen, das in eine andere Parallelwelt führt, was gleichzeitig auf die Bedeutung des Films für die aktuelle Multiverse-Saga des MCU hinweist. 

Marvelfilme sind nur noch überteuerte Dutzendware

Das titelgebende Trio rund um Carol, Kamala und Monica, hat miteinander eine gute gruppendynamische Chemie, wobei vor allem Iman Vellani als Marvel-Superfan und Herz des Films eine solch ansteckende Begeisterung ausstrahlt, wie man sie sonst maximal noch von Taylor-Swift-Konzerten kennt. Leider macht der Film trotz seines riesigen Budgets von circa 250 Millionen Dollar visuell wenig her: Er wirkt inkohärent und zusammengestückelt, was auch an den zahlreichen Startverschiebungen und notwendig gewordenen Nachdrehs liegen könnte sowie der ausufernden Postproduktion, bei der „The Marvels“-Regisseurin Nia DaCosta („Candyman“) sogar am Ende ausgestiegen ist und somit jegliche eigene Handschrift vermissen lässt. 

Marvel hat sich, beflügelt von früheren Erfolgen, in den letzten Jahren eindeutig übernommen. In der Content-Fabrik arbeitet das Personal am Anschlag und darunter leiden vor allem die Qualität und die Originalität der neuen Filme und Serien. Die Zeitschrift „Variety“ berichtete kürzlich über die „Krise bei Marvel“. In der Reportage, die für viel Aufmerksamkeit sorgte, ist von unhaltbaren Produktionsbedingungen die Rede. Marvel muss jetzt mehr denn je bei seinem Output auf weniger Projekte und dafür mehr bodenständigere und charakterfokussierte Geschichten setzen, sonst manövrieren sie sich immer mehr in die Beliebigkeit. Vielleicht könnte Kevin Feige in dem Zusammenhang etwas von seiner eigenen Figur Nick Fury lernen: Als es in einer Sequenz von „The Marvels“ sehr brenzlig für Fury und die Seinen wird und der Bruder von Kamala anfängt muslimische Gebete zu sprechen, sagt Fury zu ihm: „Hören Sie nicht auf! Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können.“

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Norbert Fink

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