Die meisten Filme des inzwischen 86-jährigen englischen Regisseurs Ken Loach sind in der englischen Arbeiterschicht angesiedelt. Einer seiner letzten Filme „Ich, Daniel Blake“, der im Jahr 2016 auf dem Filmfestival von Cannes mit der „Goldenen Palme“ ausgezeichnet wurde, war eine scharfe Abrechnung mit dem Sozialsystem Englands. Sie war so bitterböse, dass er in Richtung Parodie zu kippen drohte.
Weit weniger jähzornig, aber dennoch genauso kritiklustig zeigt sich der englische Regie-Altmeister in seinem aktuellen Film „The Old Oak“, der nach eigener Aussage sein letzter sein soll. Das Drehbuch verfasste, wie üblich seit Loachs „Carla’s Song“ (1996), Paul Laverty.
Kritiklustig, aber nicht jähzornig
„The Old Oak“ ist der Name eines Pubs in einer nordenglischen Kleinstadt, dessen Besitzer TJ Ballantyne (Dave Turner) kurz vor dem Ruin steht. Der Pub selbst hat bessere Tage gesehen: dass „K“ im Namen verrutscht beispielsweise immer wieder, trotz der Versuche von Ballantyne, es geradezustellen. Dass ein hinterer Veranstaltungsraum offenbar schon lange geschlossen ist und sich dort altes Mobiliar auftürmt, macht denselben Eindruck.
Die Handlung wird vorangetrieben, als im Jahr 2016 ein Bus mit syrischen Flüchtlingen in der ehemaligen Minenstadt ankommt. Da viele Menschen nach der Schließung der letzten Gruben wegzogen, stehen viele Häuser leer, die nun von der Regierung den Flüchtlingen zugewiesen wurden. Die meisten Einwohner, darunter auch Stammgäste des „The Old Oak“, reagieren ablehnend bis gewalttätig gegenüber den Neuankömmlingen.
Demgegenüber versucht TJ Ballantyne alles, um den Flüchtlingen das neue Leben zu erleichtern. Er tut sich mit der jungen Syrerin Yara (Ebla Mari) zusammen, damit Alteingesessene und Neuankömmlinge etwas gemeinsam unternehmen können. Der alte Wirt erinnert sich an einen großen Streik vor Jahrzehnten, als die Regierung die Minenarbeiter und ihre Familien aushungern lassen wollte, um ihren Willen zu brechen. Damals wurde gemeinsam eine Mahlzeit zubereitet und verzehrt: „Wer zusammen isst, hält zusammen“. Diese Aktion soll wieder aufleben, wobei zunächst der alte Festsaal wieder hergerichtet werden muss.
Loach vermeidet Schwarzweißmalerei
Drehbuchautor Paul Laverty und Regisseur Ken Loach betreiben keine Schwarzweißmalerei. Sie zeigen Verständnis sowohl für die Menschen – so gut wie ausnahmslos alte Männer, Frauen und Kinder –, die ihre Heimat verlassen mussten, als auch für die Abgehängten in England, die ihre Existenzgrundlage verloren und nun vor dem Ausverkauf stehen.
Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist eine kleine Szene, in der einer der Stammgäste des alten Pubs erfährt, dass in mehrere Häuser in seiner Straße gerade bei einer Onlineauktion nach Zypern verkauft wurden – für ein Fünftel dessen, was er selbst vor Jahren für sein Haus bezahlt hat. „The Old Oak“ ist der letzte öffentliche Raum in der Gemeinde, wo sie zusammenkommen können. Und nun sollen sie den Pub auch noch mit den Flüchtlingen teilen?
Der Name des Pubs hat jedoch Symbolcharakter: „Die alte Eiche“ steht für Solidität und Solidarität. Die Filmemacher tragen ihre Botschaft hin und wieder dick auf, um auf beiden Seiten Verständnis für die jeweils andere Seite aufkommen zu lassen. Auch wenn sie die Hauptfigur TJ Ballantyne nicht als Held ohne Fehl und Tadel zeichnen, bleiben andere Figuren etwas blass, um die Abkehr von ihren Vorurteilen beurteilen zu können.
Ein versöhnlicher cineastischer Abschied
Es ist verständlich, dass sich Ken Loach vom Filmemachen – wenn es denn so bleibt, dass dies sein letzter Film sein soll – weitaus versöhnlicher verabschieden möchte als mit der Bitterkeit, die frühere Filme von ihm hinterlassen. Auch wenn „The Old Oak“ nicht ohne Klischees auskommt, vermeiden die Filmemacher, in Sentimentalitäten zu verfallen, was dem Film eine gewisse Realitätsnähe verleiht.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.