Serienrezension

Netflix-Hit „Diplomatische Beziehungen“: Spannend und scharfsinnig

Eine spannende und scharfsinnige Polit-Serie, jedoch mit oberflächlichen Figuren: Der Netflix-Serienhit „Diplomatische Beziehungen“.
Netflix-Hit „Diplomatische Beziehungen“
Foto: Netflix | Kate Wyler (Keri Russell) findet sich mitten in einer weltpolitischen komplexen Lage wieder, als sie zur US-Botschafterin in Großbritannien ernannt wird.

Nach einem Angriff auf einen britischen Flugzeugträger fällt der Verdacht schnell auf den Iran. Nur die Mittlerer-Osten-Expertin Katherine „Kate“ Wyler (Keri Russell) glaubt nicht daran. Eigentlich sollte sie zu einer Sondermission nach Kabul aufbrechen, als sie aber zur neuen US-Botschafterin im Vereinigten Königreich bestellt wird. Kate muss sich nicht nur in einem komplexen politischen Konflikt gegen die Rachelust des britischen Premiers Nicol Trowbridge (Rory Kinnear) sowie gegen den Druck durch den alternden US-Präsidenten William Rayburn (Michael McKean) und die Missgunst des US-Außenministers Miguel Ganon (Miguel Sandoval) durchsetzen.

Im Dickicht diplomatischer und politischer Verwerfungen

Darüber hinaus ist Kates Lage in privater Hinsicht auch arg kompliziert. Denn sie ist mit dem ehemaligen Botschafter Hak Wyler (Rufus Sewell) verheiratet, der von allen als Polit-Star geschätzt wird. Allerdings kriselt es in der Ehe offensichtlich schon länger. Dass er ihr Mentor gewesen ist, hilft auch nicht gerade dazu, dass er jetzt eine Rolle im Hintergrund einfach so akzeptiert. Dass sich Hal immer wieder in Kates Arbeit einschalten wird, ist vorauszusehen. Die Diplomatin muss also in einem Dickicht diplomatischer und politischer Verwerfungen einen Weg finden, um die Hintermänner des Anschlags zu finden. Hilfe bekommt sie nicht nur von ihrem Stellvertreter in der Botschaft Stuart Heyford (Ato Essandoh), sondern auch vom britischen Außenminister Austin Denisson (David Gyasi), der über das berufliche hinaus auch ein persönliches Interesse an Kate zu entwickeln scheint.

Schöpferin der Netflix-Serie „Diplomatische Beziehungen“ (Original: „The Diplomat“), ist Deborah Cahn, die sich als Drehbuchautorin und Produzentin hochwertiger Serien, insbesondere „Westwing – Im Zentrum der Macht“, „Homeland“ und Fosse/Verdon, einen Namen gemacht hat. Das Drehbuch schafft Spannung nicht so sehr durch Action – der Anschlag auf den Flugzeugträger zu Beginn bleibt die Ausnahme –, sondern eher durch das hohe Tempo und durch den vermeintlichen Einblick in die Hinterzimmer der internationalen Politik. Wobei die großen Weltführer hier eher populistisch klischeehaft dargestellt werden.

„Diplomatische Beziehungen“ legt den Akzent mehr auf die Figuren in der zweiten oder dritten Reihe, die dank dem Charisma der Schauspieler als diejenigen dargestellt werden, die aus einer gewissen Anonymität heraus die wahre Macht ausüben.

Aktuelle Politikthemen spannend aufbereitet

Die Hauptdarstellerin und Mit-Produzentin der Netflix-Serie, Keri Russell, wurde Anfang des Jahrhunderts insbesondere durch eher süßliche Rollen, etwa in „An deiner Schulter“ (2005), „Jennas Kuchen – Für Liebe gibt es kein Rezept“ (2007) oder „Der Klang des Herzens“ (2007) bekannt. Ihre Karriere nahm eine einschneidende Wendung mit der Erfolgsserie „The Americans“ (hierzulande bei Disney+), die in sechs Staffeln ein in die Vereinigten Staaten russisches eingeschleustes Spionen-Ehepaar jahrzehntelang begleitete. „The Americans“ gewann 48 Preise, darunter Emmys und den Golden Globe.

„Diplomatische Beziehungen“ nimmt sich ziemlich aktuell aus, nicht nur wegen der geopolitischen Lage – konkret werden Folgen des Brexits, der Angriff Russlands auf die Ukraine sowie die herausgehobene Rolle Chinas und des Iran zitiert –, sondern auch wegen der derzeitigen Tendenz, „alte weiße Männer“ mit ihrer „toxischen Männlichkeit“ negativ zu besetzen, wie im Falle des  US-Präsidenten und US-Außenminister über den britischen Premier bis zu Hal Wyler. Die einzigen positiv besetzten männlichen Figuren sind „People of Color“, sowohl der britische Außenminister als auch der „zweite Mann“ in der Botschaft.

Lesen Sie auch:

Die eigentlichen Hauptfiguren sind darüber hinaus weiblich. Dies wird insbesondere bei einem Schlüsselgespräch in der dritten Folge deutlich, an dem die Botschafterin, die Stabschefin des US-Präsidenten Billi Appiah (Nana Mensah) und die Chefin der CIA-Station in der Londoner US-Botschaft Eidra Graham (Ali Ahn) teilnehmen, während sich der US-Präsident und der britische Premier über Nichtigkeiten unterhalten.

Auch wenn sich der Zuschauer manchmal wünschte, es würde hin und wieder etwas ruhiger zugehen, kann die Darstellung der Beziehungen im Bereich der Politik und Diplomatie samt den dazu gehörigen Dialogen sehr wohl als gelungen bezeichnet werden. Damit kontrastiert jedoch die sozusagen private Ebene, die sich eher oberflächlich ausnimmt. Dies steht der Komplexität der Serie zwar etwas entgegen. Insgesamt bietet aber „Diplomatische Beziehungen“ einen bemerkenswerten Einblick in die Verwerfungen der Weltpolitik. Dies empfinden anscheinend auch zahlreiche Netflix-Zuschauer so – denn bereits wenige Tage nach Ausstrahlung der ersten Staffel wurde „Diplomatische Beziehungen“ schlagartig um eine weitere zweite Staffel verlängert. Fiktional verfremdet auf dem TV–Bildschirm sind Weltkrisen anscheinend etwas leichter zu ertragen als in den normalen Nachrichten.

 

„Diplomatische Beziehungen“, USA 2023. Serienentwicklerin: Deborah Cahn, insgesamt acht Kapitel à 43 bis 55 Minuten. Seit dem 20. April auf Netflix.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
José García

Weitere Artikel

In Ägypten mehren sich kritische Stimmen an der Besetzung der "Kleopatra" durch eine schwarze Schauspielerin in einer neuen Netflix-Dokumentation.
08.05.2023, 20 Uhr
José García

Kirche

Wegen Überfüllung geschlossen: 16000 Pilger aus 28 Ländern wandern am kommenden Wochenende zu Fuß von Paris nach Chartres.
28.05.2023, 13 Uhr
Franziska Harter
In der 56. Folge des Katechismuspodcasts mit der Theologin Margarete Strauss geht es um die Frage, wie der Mensch mit der Vorsehung zusammenarbeitet.
27.05.2023, 14 Uhr
Meldung
„Das war die Vorsehung!“ Aber was genau ist das eigentlich? Dieser Frage widmet sich Theologin Margarete Strauss in der 55. Folge des Katechismuspodcasts.
26.05.2023, 14 Uhr
Meldung
In der 54. Folge des Katechismuspodcasts geht es mit Theologin Margarete Strauss um die Schöpfungstätigkeit Gottes.
25.05.2023, 18 Uhr
Meldung
Historisch, theologisch, spirituell: Welche Aspekte laut "Premio Ratzinger"-Preisträger Ludger Schwienhorst-Schönberger eine zeitgemäße Bibelwissenschaft auszeichnen. 
27.05.2023, 17 Uhr
Ludger Schwienhorst-Schönberger