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Lebenszeit gegen Geld

Der deutsche Netflix-Film „Paradise“ zeigt die ethischen und moralischen Konsequenzen einer dystopischen Welt, in der mit Lebenszeit gehandelt wird.
Netflix-Film "Paradise"
| In naher Zukunft: Nachdem sie ihre Haushypothek in Lebenszeit zurückzahlen musste, ist Elena (Corinna Kirchhoff) um 38 Jahre gealtert. Ihr Mann Max (Kostja Ullmann) stemmt sich dagegen.

Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit scheint untrennbar mit dem Menschsein verbunden zu sein. Doch für diejenigen, die nicht an ein Leben nach dem Tod in einer jenseitigen Welt glauben, besteht ein verzweifeltes Bedürfnis nach Möglichkeiten, den Tod zu überwinden, oder zumindest die Lebensspanne so weit wie möglich zu verlängern.

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Im Bereich der filmischen Science-Fiction wird dieses Thema immer wieder auf unterschiedliche Weise „erforscht“: Im Netflix-Film „Self/Less – Der Fremde in mir“ (Tarsem Singh, 2015) wird das Bewusstsein eines sterbenden älteren Menschen in den Körper eines Jüngeren übertragen. Ähnlich wird das Problem des Alterns in der Netflix-Serie „Altered Carbon – Das Unsterblichkeitsprogramm“ (2021) behandelt: Der menschliche Geist wird codiert und auf einer kleinen Scheibe gespeichert, um in einen jungen Designer-Körper oder einen Klon eines alten Körpers „heruntergeladen“ zu werden. Eine Variation dieser Idee bietet die Arte-Serie „Ad Vitam“ (2018), in der jeder ab dem 30. Lebensjahr das verfassungsmäßige Recht hat, sich kontinuierlich zu verjüngen.

Lebenszeit wird zwischen Menschen transferiert

Der kürzlich auf Netflix veröffentlichte deutsche Spielfilm „Paradise“ setzt sich mit dem Alterungsprozess des menschlichen Körpers auf eine Weise auseinander, die an den US-amerikanischen Film „In Time – Deine Zeit läuft ab“ (Andrew Niccol, 2011) erinnert: In einer nicht näher bestimmten Zukunft ist es möglich, Lebenszeit zwischen Menschen zu transferieren, womit die Lebensspanne eines Menschen zur Ware wird.

In „Paradise“ hat das Biotech-Unternehmen AEON in einer nahen Zukunft die Technologie des Lebenszeittransfers entwickelt. Dieser Prozess ist jedoch nicht so einfach wie „In Time“: Neben bestimmten genetischen Voraussetzungen ist ein operativer Eingriff erforderlich. Dem Zuschauer wird der Prozess im Rahmen einer Präsentation durch AEON-Geschäftsführerin Sophie Theissen (Iris Berben) erklärt. Da sie die Firmengewinne größtenteils in Forschung und Entwicklung sowie in eine Stiftung investiert, die Nobelpreisträgern zusätzliche Lebensjahre verschaffen soll, wird sie nicht als profitorientierte Geschäftsfrau, sondern als durchaus humanitär gezeichnet.

Max (Kostja Ullmann) arbeitet für AEON. Er überzeugt Menschen, die aus verschiedenen Gründen Geld benötigen, ihre Lebenszeit zu spenden. Doch als die schicke Wohnung von Max und seiner Frau Elena (Marlene Tanczik) in Brand gerät, wird offenbart, dass Elena Lebenszeit als Sicherheit für die Hypothek hinterlegt hatte. Ein richterlicher Beschluss ordnet die Pfändung von 38 Lebensjahren an.

Ein bekanntes Genre um neue Aspekte bereichert

Max wendet sich an seine Chefin Sophie Theissen in der Hoffnung, den Beschluss rückgängig machen zu können. Doch die Geschäftsführerin von AEON weist ihn ab. Elena (nun von Corinna Kirchhoff dargestellt) altert rapide, was ihre Beziehung auf eine harte Probe stellt. Dennoch gibt Max nicht auf, und unternimmt einen verzweifelten Versuch, Elenas verlorene Lebenszeit zurückzugewinnen.

Regisseur Boriz Kunz und seine Mit-Drehbuchautoren Peter Kocyla und Simon Amberger bereichern ein bekanntes Genre um einige neue Aspekte. Insbesondere die dystopische Welt, die zu Beginn des Films gezeigt wird, nimmt sich gelungen aus. Allerdings nimmt im Verlauf des Films die eher konventionelle Action mit rasanten Verfolgungsjagden und ähnlichen Elementen überhand, was dazu führt, dass die im Film aufgeworfenen Fragen in den Hintergrund treten. Deshalb ändern die Filmemacher gegen Ende die moralische Ausrichtung der Hauptfiguren, was allerdings etwas erzwungen wirkt.

Die Frage des Handelns mit Lebenszeit wirft ethische und moralische Fragen auf: Welche Auswirkungen hat es für eine junge Frau, plötzlich um 40 Jahre gealtert zu sein? Wie beeinflusst der beschleunigte Alterungsprozess eine Beziehung? 

Welche gesellschaftlichen Konsequenzen hätte eine solche Möglichkeit, von der ohnehin nur den Reichen profitieren würden? Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn die Älteren nicht mehr altern? Die erwähnte Arte-Serie „Ad Vitam“ verdeutlichte, dass in einer solchen Gesellschaft die Jüngeren keine Chance hätten und für die dominierenden Älteren nur Störfaktoren wären. „Paradise“ stellt diese Fragen nicht explizit, gibt jedoch einen Einblick in diese Thematik.


„Paradise“, Deutschland 2023. Drehbuch: Boris Kunz, Peter Kocyla, Simon Amberger. Regie: Boris Kunz. 118 Minuten. Auf Netflix.

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José García Humanität Spielfilme

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