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Einfache Menschen auf der Suche nach Liebe

Mit seinem preisgekrönten Film „Fallende Blätter“ knüpft Aki Kaurismäki an seine besten Filme aus den 1990er und 2000er Jahren an.
"Fallende Blätter"
Foto: Malla Hukkanen/Sputnik | Ein Mann und eine Frau auf der Suche nach der endgültigen, einzigartigen Liebe. Satte Farben, Ausstattung wie aus Omas guter Stube. Ein echter Aki-Kaurismäki-Film.

Die Beschreibung von Aki Kaurismäkis Filmen als „lakonisch“, „wortkarg“ und „minimalistisch“ ist in der Filmkritik allgegenwärtig. Bereits in seinem dritten Film „Schatten im Paradies“ (1986), der die Geschichte einer ungewöhnlichen Liebe zwischen einem Müllwagenfahrer und einer arbeitslosen Supermarktkassiererin erzählt, etablierte der finnische Regisseur diesen „lakonischen“ Stil. 

Kaurismäkis Filmographie umfasst sowohl die „proletarische Trilogie“ mit dem erwähnten „Schatten im Paradies“ sowie „Ariel“ (1988) und „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ (1989) als auch die „Verlierer“-Trilogie mit den Werken „Wolken ziehen vorüber“ (1996), „Der Mann ohne Vergangenheit“ (2002) und „Lichter der Vorstadt“ (2005). In diesen Filmen sind die Protagonisten stets einfache Menschen aus dem „Erdgeschoss“ der Gesellschaft oder noch darunter. Sie sind jedoch stets Menschen mit dem Herzen am rechten Fleck. Diese Charaktere schaffen es, das Herz des Zuschauers zu berühren.

Ganze Dialoge in einem einzigen Blick

Die Schauspieler, die solche Charaktere verkörpern, sind nicht nur bekannt für ihre Wortkargheit, sondern auch dafür, ganze Dialoge in einem einzigen Blick, einer Geste oder einem knappen Satz auszudrücken. Nach dem Tod von Matti Pellonpää im Jahr 1995, der in allen Kaurismäki-Filmen von 1983 bis 1994 mitgewirkt hatte, trug vor allem Kati Outinen dazu bei, den unverwechselbaren Wiedererkennungseffekt in Kaurismäkis Filmen aufrechtzuerhalten. Sie war von 1986 bis 2002 die Hauptdarstellerin in seinen Werken, und hatte dann kleinere Rollen in „Lichter der Vorstadt“ (2005), „Le Havre“ (2011) und „Die andere Seite der Hoffnung“ (2017). 

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Es ist erstaunlich, dass der finnische Regisseur immer wieder Darsteller findet, die diese Kriterien erfüllen. Dies war bereits im erwähnten „Lichter der Vorstadt“ der Fall, und es zeigt sich erneut in seinem aktuellen Film „Fallende Blätter“ („Kuolleet lehdet“), der von der Sehnsucht nach Liebe zweier einsamer Menschen erzählt. Die Hauptfiguren, die auf der Suche nach ihrer ersten und vielleicht ewigen Liebe sind, stammen erneut aus einfachen Verhältnissen: Ansa (Alma Pöysti) arbeitet im Supermarkt, Holappa (Jussi Vatanen) zunächst in einer Fabrik. Auch ein Hund („Alma“) spielt eine Rolle in der Geschichte.

Minimalistische Inszenierung

In der Handlung und der Inszenierung erinnert der neue Kaurismäki-Film stark an seine „Verlierer-Trilogie“: Die Inszenierung zeichnet sich durch Minimalismus aus, und konzentriert sich auf eine begrenzte Anzahl von Figuren. Wie bei keinem anderen Regisseur der Gegenwart tritt die Technik in den Hintergrund, um die Aufmerksamkeit nicht von den menschlichen Charakteren abzulenken. Aki Kaurismäkis bleibt seinem Markenzeichen treu: die Suche nach Glück inmitten widriger Umstände einer harten sozialen Realität, mit einer Prise Humor.

Eine Kostprobe des Humors liefern im Film zwei Männer nach einem Kinobesuch, in dem sie einen Zombiefilm gesehen haben. Sagt der eine: „Toller Film. Hat mich an Bressons ‚Das Tagebuch eines Landpfarrers‘ erinnert“. Der andere antwortet: „Godard!“

Die knallbunten Farben und die Lichtsetzung des Kameramanns Timo Salminen, der seit jeher Kaurismäkis Filme fotografiert, schaffen die eigentlich unmögliche Verknüpfung von (Neo-)Realismus und intensiver Märchenanmutung, die die Ästhetik der „Verlierer-Trilogie“ prägt. Dazu gehört ebenfalls ein Produktionsdesign, das von der Kleidung bis zur Ausstattung wieder einmal aus den fünfziger oder sechziger Jahren zu stammen scheint, während die Handlung in der Gegenwart angesiedelt ist: Radiomeldungen über russische Angriffe auf die Ukraine verorten den Film in unserer Zeit. 

Die Musik spielt eine zentrale Rolle

Die Musik spielt wieder einmal eine zentrale Rolle – erneut ein festes Element in einem „Kaurismäki“-Film. Zwar ist auch Tango-Star Carlos Gardel zu hören. Der Soundtrack besteht aber meistens aus dem Pop-Duo „Maustetytöt“ aus den Schwestern Anna und Kaisa Karjalainen mit ihren eingängigen Melodien, zu denen sie auf Finnisch singen – Ihre erste Single „Tein kai lottorivini väärin“ wurde bislang knapp 5,5 Millionen Mal auf Spotify gestreamt. Aus Anlass des Filmstarts wird „Maustetytöt“ Mitte September in mehreren Städten Konzerte geben. Auch ohne finnischen (und argentinischen) Tango gibt es ein Musikleben in einem Kaurismäki-Film.

Einfache Menschen auf der Suche nach Glück, die allen Widrigkeiten – Holappas Alkoholsucht oder dem Verlust einer Telefonnummer – zum Trotz die Zuversicht auf die Erfüllung ihres Liebestraums nicht verbieten lassen wollen – mit seinem neuen Film „Fallende Blätter“ knüpft der finnische Meisterregisseur an seine besten Filme an.

„Fallende Blätter“ wurde auf dem internationalen Filmfestival von Cannes mit dem „Preis der Jury“ ausgezeichnet. Auf dem Münchner Filmfest erhielt er den Publikumspreis. Der internationale Filmkritiker-Verband FIPRESCI wählte ihn kürzlich zum „Besten Film des Jahres“ ¬– der Preis gilt den Filmen, die vom 1. Juli 2022 bis zum 30. Juni 2023 veröffentlicht wurden.

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José García Aki Kaurismäki

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