Johannes Hartl im Interview

Schön ist die Liebe

Was bedeutet "Schönheit" eigentlich für Christen? Johannes Hartl, Gründer des Gebetshauses Augsburg, hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema befasst. Ein Gespräch.
Gebetshaus-Gründer Johannes Hartl
Foto: copyright by Rudi Töws | Johannes Hartl ist katholischer Theologe und bekannt als Gründer des Gebetshauses Augsburg. Seine Vorträge erreichen auf Youtube Hunderttausende Zuschauer.

Herr Hartl, in den letzten Jahren steigt der Trend zu Schönheitseingriffen immer mehr an, auch unter jungen Menschen. Was für ein Schönheitsbegriff steht Ihrer Meinung nach hinter dieser Entwicklung?

Es ist der verzweckte Schönheitsbegriff, der im Design ja gang und gäbe ist: "form follows function". Wo Schönheit auf einen Zweck reduziert wird, wird auch die menschliche Schönheit zum Vehikel der Performance. Dass dieses Vehikel dann mit steigendem Leistungsdruck äußeren Erwartungen immer mehr angepasst werden muss, liegt in der Natur der Sache. Der menschliche Körper wird zum Werkzeug der sozialen Leistung.

Schönheit ist ja ein objektiver Wert, wie Sie auch in Ihrem Buch "Eden Culture" hervorheben. Inwiefern gilt das aber für die Schönheit von Personen?

Schönheitsvorstellungen unterliegen selbstverständlich sowohl epochenspezifischer als auch kultureller Prägung und sind deshalb nicht einheitlich. Dennoch gibt es bestimmte Merkmale, die tendenziell von den meisten Menschen als schön empfunden werden, auch über die verschiedenen Prägungen hinweg, zum Beispiel Symmetrie im Körperbau. Die große Chance besteht in der Erkenntnis, dass die Schönheit von Personen keineswegs nur vom Körper abhängt, sondern auch von "inneren" Dingen. Wer authentisch lebt, sich selbst annimmt und einen eigenen Stil gefunden hat, wirkt zum Beispiel oft schon schöner. Darüber hinaus gibt es eine Schönheit des Charakters, die unmittelbar anspricht, auch wenn ein Mensch nicht allen Kriterien eines Modemagazins entspricht.

"Die große Chance besteht in der Erkenntnis,
dass die Schönheit von Personen keineswegs nur
vom Körper abhängt, sondern auch von "inneren" Dingen"

Welche Perspektive bietet das Christentum auf die Frage nach der Schönheit von Personen?

Der Schönheitsbegriff wird im Licht des Christentums einerseits radikal betont und erfüllt, andererseits auch hinterfragt und durchkreuzt. In Gottes Blick auf seine Schöpfung - "es war sehr gut!" - liegt eine Würde aller Geschöpfe begründet, die die Quelle all ihrer Schönheit ist. Indem Gott Mensch wird und einerseits in den Messias-Psalmen als "schönster aller Menschen" (Psalm 45,3) vorhergesagt wird, doch andererseits in der Erniedrigung am Kreuz bis zum Verlust aller Ansehnlichkeit in das Gebrochene der gefallenen Schöpfung hinabsteigt, durchmisst Gott selbst das ganze Spektrum des Schönen und definiert es völlig neu. Schön ist der Mensch, der sich geliebt weiß und liebt. Was Liebe bedeutet, sieht man nur im Blick auf Jesus.

Einerseits betont unsere Gesellschaft scheinbar Individualität, andererseits zeigt der Trend bei Schönheitseingriffen eine zunehmende "Normierung" des Aussehens: Wie passt das zusammen?

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Wir haben es mit zwei parallelen Trends zu tun. Zwar leben wir im Zeitalter des "expressiven Individualismus", der Erfüllung des Lebens im authentischen Ausdruck des Inneren versteht. Das hört sich nach radikaler Freiheit an. Zugleich bedeutet der Abschied von einem inneren Wesenskern des Menschen aber auch, dass er sich in einem quasi-kapitalistischen Wettbewerb um Geltung seiner selbst behaupten muss. Weil der Mensch nicht völlig frei wählt, welche Impulse ihn antreiben, wird das Individuum im "freien" Spiel dieses Wettbewerbs zwangsläufig zum Objekt normierender Erwartungen. Dass diese Erwartungen nun aber auf die Ebene der Umformung des eigenen Körpers verlagert werden, zeigt, wie sehr der Versuch, den eigenen Wert durch Performance im sozialen Raum zu stabilisieren, letztlich Selbstausbeutung ist.

Geht uns heute vielleicht die Fähigkeit verloren, Schönheit zu suchen? Haben Sie einen Tipp, wie das im Alltag besser gelingen kann?

Wir leben in sehr ästhetischen Zeiten und Menschen haben viel mehr Zugang zu ästhetischen Erfahrungen als je zuvor. Das Problem ist eher, dass die Fähigkeit des Sehens und des Sich-Einlassens erlernt werden muss. Im Alltag können zwei ganz einfache Fragen helfen: wann habe ich zuletzt etwas getan, einfach nur, weil es schön ist? Und: wann habe ich mich im Bereich des Schönen zuletzt bewusst gebildet, also etwas getan, um mein Vermögen, das Schöne wertzuschätzen, zu vertiefen?


Johannes Hartl ist katholischer Theologe und bekannt als Gründer des Gebetshauses Augsburg. Seine Vorträge erreichen auf Youtube Hunderttausende Zuschauer. Mit dem Netzwerk "Eden Culture", das nach seinem gleichnamigen Buch benannt ist, versucht er unter anderem, den Blick der Gesellschaft für die Schönheit zu schärfen.

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