GLAUBENSDIALOGE

Gott und das Nichts

Das Wissen um die Geschöpflichkeit: Negative Theologie als Brücke zum Dialog mit dem Buddhismus.
Buddha -Statue in der Yungang Grotte
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | Gott und das Nichts gehören zusammen, denn die Wahrheit ist „Das Ganze im Fragment“.

In seinem Jesus-Buch „Der Herr“ macht der große Religionsphilosoph und Theologe Romano Guardini schon 1937 die Beobachtung: „Einen Einzigen gibt es, der den Gedanken eingeben könnte, ihn in die Nähe Jesu zu rücken: Buddha. Dieser Mann bildet ein großes Geheimnis. Er steht in einer erschreckenden, fast übermenschlichen Freiheit; zugleich hat er dabei eine Güte, mächtig wie eine Weltkraft.

Vielleicht wird Buddha der Letzte sein, mit dem das Christentum sich auseinanderzusetzen hat. Was er christlich bedeutet, hat noch keiner gesagt. Vielleicht hat Christus nicht nur einen Vorläufer aus dem Alten Testament gehabt, Johannes, den letzten Propheten, sondern auch einen aus dem Herzen der antiken Kultur, Sokrates, und einen dritten, der das letzte Wort östlich-religiöser Erkenntnis und Überwindung gesprochen hat, Buddha.“ Guardini beschrieb dies lange bevor ein Buddhismus im Westen eine „Faszination“ (Hans Waldenfels) und wachsende Präsenz bekam. In viele Exerzitienhäuser zog buddhistische Zen-Meditation ein, sodass Hans Urs von Balthasar in der Zeitschrift „Geist und Leben“ 1977 besorgt von „Meditation als Verrat“ sprach und Kardinal Joseph Ratzinger 1989 eine wichtige Verlautbarung „Der richtige Weg zum Gebet“ herausgab. Christliches Gebet ist keine Technik der danklosen Depersonalisierung.

Ähnlichkeiten bei Unterschieden

Trotzdem enthalten die Lehre Buddhas, sowie die Weisheit und die spirituellen Praktiken des Buddhismus, viele Wahrheiten, die auch im Christentum vorhanden sind und Frucht bringen. Zu denken ist an Wüstenväter wie Evagrius Ponticus, den vom Berg Athos aus sich verbreitenden mittelalterlichen Hesychasmus, die altdeutsche Mystik um die Frauen von Helfta und das Dominikaner-Dreigestirn Eckhar-Tauler-Seuse. Besonders Meister Eckhart wurde von Buddhisten als geistesverwandt erkannt. Es gab ferner den französischen Quietismus um Bischof Fénelon und die Mystikerin Madame Guyon als „Ruhen in Gott“ (V. Leppin), sowie den altenglischen Text „The Cloud of  Unknowing“. Immer wieder suchten Christen eine „Welt des Schweigens“ (Max Picard) gegen das „Vielreden“ und „Vielwissen“ (Ignatius von Loyola), eine „Theologie der Stille“, der das letzte posthum erschienene Buch des Neutestamentlers Klaus Berger gewidmet war. Wie aber findet man zum respektvollen und die eigene christliche Wahrheit nicht relativierenden intellektuellen Dialog mit dem Buddhismus?

Dieser ist nur äußerlich eine Religion mit Riten und Symbolen, mehr ist er eine umfassende Weltanschauung, die der gelassen machenden Überwindung von Leid und Tod das Wort redet. Mit den Kategorien Agnostizismus oder Atheismus kann der Buddhismus nicht erfasst werden. Gegenüber den eher westlichen abrahamitischen Offenbarungsreligionen stellt er mit anderen östlichen Religionen eine eigene „Hemisphäre“ (Jacques A. Cuttat) dar. Das Gemeinsame ist das Wissen um die Geschöpflichkeit und um die gebotene Angleichung an den göttlichen Ursprung, sei er nun personal oder nicht. Beide Hemisphären halten an einer Erschaffung aus dem Nichts („creatio ex nihilo“) fest.

„Wir vermögen nicht zu wissen, was Gott ist“

Eine mögliche Brücke zum christlich-buddhistischen Dialog kann die oft missverstandene Tradition der „negativen Theologie“ oder der abendländischen „philosophia negativa“ (so Josef Pieper mit Thomas von Aquin) sein. Diese weiß von der – außer seiner Existenz – Unerkennbarkeit Gottes, so wie der Osten davon weiß, dass „der Name, kann er ausgesprochen werden, nicht der ewige Name ist“ (Lao Tse). Der mit dem Neuplatonismus im Dialog stehende syrische Mönch Dionysius Areopagita, der sich als der Paulus-Schüler vom Areopag verstand und legendär mit dem enthaupteten Märtyrerbischof von Paris identifiziert wurde, hat die christliche negative Theologie mit seinem um das Jahr 500 geschriebenen Hauptwerk „Theologia Mystika“ begründet. Seine Werke wurden von der heiligen Edith Stein ins Deutsche übersetzt. Vom „göttlichen Dunkel“ und den vielen Einzelnamen führt Dionysius zum geheimnisvoll „Unnennbaren“, das „trunken vom hell-lichten Dunkel des Absoluten“ (Josef Sudbrack SJ) macht. Dionysius, der auch in Hans Urs von Balthasars „Fächer der Stile“ seiner theologischen Ästhetik „Herrlichkeit“ Aufnahme fand, beeinflusst mit seinem Hierarchiedenken das ganze Mittelalter, besonders Thomas von Aquin, der seine „Summa theologica“ mit dem Satz beginnt: „Wir vermögen nicht zu wissen, was Gott ist, wohl aber, was er nicht ist.“ Nach deren Abschluss machte er bekanntlich eine Gotteserfahrung aufgrund der ihm all sein Geschriebenes wie zu verbrennendes Stroh vorkam.

Die „Wahrheit der Dinge“ war Thomas zwar real, aber letztlich in ihrer Tiefe unerkennbar. Sie zeigt sich im Leuchten ihres auf den Schöpfergott verweisenden Daseins, das jedoch nicht festzuhalten ist. Schon Augustinus wusste: „Si comprehendis, non est Deus“. Eine negative Theologie ist auch das scholastische Konzept der „Analogia entis“, die das Ganz-anders-sein Gottes gegenüber dem geschöpflichen Sein präzisiert und ihren klassischen Ausdruck 1215 in der Formel des IV. Laterankonzils fand: „Denn zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen nicht eine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre“. Erich Przywara SJ (1889-1972) hat in seinem Hauptwerk „Analogia entis“ (München 1932) diese Metaphysik spekulativ weiter entfaltet und machte sich damit gegenüber dem Buddhismus dialogfähiger als etwa sein Münsteraner Gesprächspartner Karl Barth mit einer exklusivistischen Theologie „von oben“. Ebenfalls einer negativen Theologie nah sind die spanische Mystik der „dunklen Nacht der Seele“ (Johannes vom Kreuz), die Auswortung von Kreuz- und Höllenerfahrungen bei der von Balthasar geistlich begleiteten Baslerin Adrienne von Speyr (1902-1967) und viele Versuche einer „Theologie nach Auschwitz“ (Johann B. Metz, Jan-Heiner Tück).

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Mühen auf dem Weg des Dialogs

Moderne Philosophen haben versucht, über das Nichts nachzudenken. Große Namen wie Friedrich Nietzsche, Ludwig Wittgenstein und Jean-Paul Sartre fallen da ein. Bekannt ist Martin Heideggers schon von Leibniz gestellte Grundfrage „Warum ist überhaupt etwas (Seiendes) und vielmehr nicht Nichts?“. Wenn jemand Seiendes noch positiv-leuchtend wahrnimmt, etwa als willkürlich geworfene Freiheit wie Jan-Paul Sartres „Das Sein und das Nichts“, oder wie der Buddhismus und Nietzsche als ewige Wiederkehr des Gleichen, dann ist der Betreffende noch kein Nihilist. Wohl aber ist er das, wenn der Sog eines „Seins zum Tode“ das Licht und „die Wahrheit der Dinge“ (Thomas von Aquin, Josef Pieper) mit dem Vorwurf der „Seinsvergessenheit“ gleichsam verschluckt und zu einer Eliminierung des Seienden führt. Diese nihilistische Gefahr hat der Priestertheologe Kurt Anglet (Berlin) in seinen spannenden Echter-Traktaten bei Martin Heidegger gesehen und kritisch benannt.

Daher wird der unbefangene Mensch, ob Christ oder Buddhist, lieber über das Sein des Seienden staunen als über das Nichtsein des Nichts grübeln – mag es noch so mystisch erscheinen. Das Böse in der Welt hat zwar nach Thomas kein Sein, ist aber leider allzu real. Der geistig und geistlich anstrengende Dialog von Christen mit dem Buddhismus, wofür auch Pionier-Namen wie Henri de Lubac, Hugo M. Enomiya Lasalle und Heinrich Dumoulin stehen, bedarf des gegenseitigen Kennens. Eine Grundlegung des Dialogs zwischen Buddhismus und Christentum, die auch diesen Essay angeregt hat, ist Hans Waldenfels‘ Buch „Absolutes Nichts“ (Freiburg 1976), in dem er sich intensiv mit der „Philosophie der Leere“ des japanischen Religionsphilosophen und Zen-Buddhisten Keiji Nishitani (1900-1990) auseinandersetzt.

Ähnliches tat sehr viel strenger Hans Urs von Balthasar im Kapitel „Negative Theologie?“ seiner „Theologik II. Wahrheit Gottes“, wo er zu dem Ergebnis kommt, dass Nishitanis Buddhismus „im gleichen Zwielicht steht wie der Neuplatonismus“ (85) und zu einer „Nichtigung“ des Seins führen kann. Das positiv-konkrete und bis hin zu den Visionen der Johannesapokalypse bildhafte Christentum wirkt und redet jedoch nicht aus dem Nichts, sondern aus dem lebendigen Wort, das im Anfang war, und der sichtbaren Inkarnation Gottes in Jesus von Nazareth. Gott und das Nichts gehören zusammen, denn die Wahrheit ist „Das Ganze im Fragment“ (Balthasar). Das Schlusswort sei wie der Eingang Romano Guardinis „Der Herr“ überlassen: „Eines aber ist sicher: Christus steht der Welt ganz anders gegenüber als Buddha: Er setzt einen schlechthinnigen Anfang.“

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