Partisanentum

„Der Jesuit des Krieges“

Carl Schmitt widmete dem Partisan eine eigene Schrift, die aktueller ist denn je.
Russische Partisanen der Kletnyanskaya Brigade
Foto: imago stock&people | Der zeitlebens gläubige Katholik Carl Schmitt wusste: „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.“ Das biblische Gebot, dass du deinen Nächsten lieben sollst, gilt auch unseren Widersachern.

Verzagte Zeitgenossen zittern derzeit vor Putins Drohungen mit dem Einsatz von Atombomben in der Ukraine. Nun können wir gerade in diesen unruhigen Tagen feststellen, wie sehr sich das Sprichwort von der Angst als schlechtem Ratgeber bewahrheitet. Wenn ich etwas erobern will, darf ich nicht mehr zerstören, als ich wiederaufbauen kann. Atomar verseuchtes Gelände ist auf Dauer verloren, vom weltweiten Fall-out, also radioaktivem Niederschlag, der auch russisches Territorium treffen würde, ganz abgesehen.

Viel ergiebiger ist es, insbesondere für den pazifistisch durchtönten Nachkriegsdeutschen, den Blick auf die militärischen Realitäten der Vergangenheit zu richten, um zu verstehen, was bei dem Angriffskrieg Russlands auf die benachbarte Kornkammer der Welt vor sich geht. Ein Nachsitzen in Kriegsführung gewissermaßen. Und kaum einer ist gedanklich unverstellter gegenüber den menschlichen Abgründen als der Staatsrechtler und Rechtsphilosoph Carl Schmitt, einst Kronjurist des Dritten Reiches, der von Linken wie Konservativen gleichermaßen intellektuell konsultiert wird. Gerade wenn es um das Böse geht, sollten wir die Expertise derer bemühen, die dem Teufel salutiert haben. Lesen wir also ein Büchlein erneut, in dem Carl Schmitt auf gerade mal 99 Seiten über den Krieg im Allgemeinen nachgedacht hat und über Guerilla-Taktiken im Besonderen: „Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkungen zum Begriff des Politischen“.

Der Partisan ist der Grenzgänger des Krieges

Erschienen ist das Buch 1963 (Duncker & Humblot in Berlin haben es 2017 nochmals herausgegeben). Damals waren die Befreiungskriege in der sogenannten Dritten Welt in vollem Gange. Die Völker des Südens entledigten sich ihrer Kolonialherren und fochten, wie Schmitt es definiert, als „irreguläre Kämpfer“, als Partisanen. Heute würden wir diese Aufständischen eher Terroristen nennen, aber dieser Begriff ist ähnlich oszillierend. Sich selbst sehen die bewaffneten Aktivisten als Befreiungskämpfer, die ihr klar umrissenes politisches Ziel verfolgen. Entsprechend übersetzt Schmitt den Partisan als Parteigänger, um ihn vom gemeinen Räuber und Marodeur fernzuhalten.

Warum ist der Partisan so interessant? Weil wir alles Geschehen oft besser begreifen, wenn wir von den Rändern her schauen. Und der Partisan ist der Grenzgänger des Krieges, sein Schatten am Rande des konventionellen Schlachtfeldes. Wenn sich die regulären Truppen, beschirmt von der Haager Kriegsordnung und später von der Genfer Konvention, niedergekämpft haben, schlägt die Stunde der Partisanen, der Schützen aus dem Hinterhalt, das Gefecht zieht gleichsam ins Unterholz. Zuletzt konnten wir das in den Balkankriegen sowie in Afghanistan beobachten. Den Taliban, nach Schmitts Maßstäben Muster-Partisanen, gelangt es, erst die russischen Besatzer, hernach die westlichen Truppenkontingente aus dem zerklüfteten Bergland zu vertreiben.

Für Carl Schmitt ist der Partisan eine „Schlüsselfigur des Weltgeschehens“, weil er „den Ernst des Krieges“ wieder herstellt. Im Europa des 18. Jahrhunderts waren Kabinettskriege üblich, die so stark eingehegt waren, dass sie „als ein Spiel aufgefasst werden“ konnten. Erst der Guerilla-Krieg des spanischen Volkes gegen Napoleon von 1808 bis 1813 machte dem ein Ende: „Der Partisan, der den nationalen Boden gegen den fremden Eroberer verteidigt, wurde zum Helden, der einen wirklichen Feind wirklich bekämpfte.“ Nachdem die französische Armee die regulären spanischen Truppen niedergerungen hatte, erhob sich der Aufstand der Bevölkerung gegen die Eroberer – unterstützt von den Engländern, die auf diese Weise ihren Kontinentalfeind Frankreich besiegen wollten.

Der Dritte im Bunde

Ohne solch einen „interessierten Dritten“, so Schmitt, kommen Partisanen nicht aus. „Der mächtige Dritte liefert nicht nur Waffen und Munition, materielle Hilfsmittel und Medikamente aller Art, er verschafft auch die Art der Anerkennung, deren der irregulär kämpfende Partisan bedarf, um nicht, wie der Räuber und der Pirat, ins Unpolitische, das bedeutet hier: ins Kriminelle abzusinken.“

Es war Lenin, der ein Jahrhundert später als Berufsrevolutionär mit seiner Kriegstheorie „alle überkommenen Hegungen des Krieges blindlings zerstörte“. Lenin setzt die Partei absolut, folglich wurde auch aus dem Partisan, dem milizionären Parteigänger, etwas Absolutes. So „wurde der Krieg zum absoluten Krieg“ und die Figur des Partisanen „zum Träger der absoluten Feindschaft gegen einen absoluten Feind“. Stalin setzt im Zweiten Weltkrieg Partisanen so erfolgreich ein, dass sie, so Schmitt, rund zwanzig deutsche Divisionen auf sich ablenken und mithin zur Kriegsentscheidung beitragen konnten.

Ein Kondensat des jeweiligen Volkswillen

Noch wirksamer im Partisanenkrieg war der chinesische Revolutionsführer Mao, dessen Militärschriften zur Pflichtlektüre an westlichen Kriegsakademien wurden. Als die chinesischen Kommunisten sich 1949 endlich ihres Riesenreiches bemächtigen konnten, lag ein mehr als zwanzigjähriger Bürgerkrieg hinter ihnen. Ein revolutionärer Krieg, so resümiert Mao, ist zu neun Zehnteln ein nicht-offener Partisanenkrieg und zu einem Zehntel ein offener Militärkrieg. Im Indochinakrieg wurden die Franzosen aus Vietnam und Laos vom Partisanenführer Ho Chi Minh in jahrelangem Gemetzel vertrieben.

Der Partisan ist also ein Kondensat seines jeweiligen Volkswillen, das sich den herkömmlichen militärisch-technischen Erwägungen in den Generalstäben entzieht, weil der Partisan brutaler und unbeugsamer vorgeht als jede reguläre Armee. „In der Feindschaft sucht der rechtlos Gemachte sein Recht“, beschreibt Schmitt diese Unbedingtheit.

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Und damit finden wir zurück zum Krieg in der Ukraine und dem seltsamen Zweikampf mit dem russischen Goliath, dem es seit einem Jahr nicht gelingen will, das überfallene Land einzunehmen. Auch wenn die NATO-Länder mit Waffen, Munition, Ausbildungen und Finanzhilfen unterstützen, beißt sich Putin die Zähne in erster Linie an der ukrainischen Unbeugsamkeit aus, die durchaus Partisanencharakter hat. Che Guevara sagte: „Der Partisan ist der Jesuit des Krieges.“ Er beschrieb damit die Bedingungslosigkeit im politischen Einsatz. Und welcher Jesuit wollte sich vor Putins Atombomben fürchten, wenn er die ewige Wahrheit auf seiner Seite weiß?

Der zeitlebens gläubige Katholik Carl Schmitt wusste: „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.“ Das biblische Gebot, dass du deinen Nächsten lieben sollst wie dich selbst, beinhaltet eben auch das Verhältnis zu unseren Widersachern. „Der Feind ist nicht etwas, was aus irgendeinem Grunde beseitigt und wegen seines Unwertes vernichtet werden muss“, sagt Schmitt. „Der Feind steht auf meiner eigenen Ebene. Aus diesem Grunde muss ich mich mit ihm kämpfend auseinandersetzen, um das eigene Maß, die eigene Grenze, die eigene Gestalt zu gewinnen.“
Auf diese tiefgründige Dialektik deutet auch das lateinische Sprichwort „Si vis pacem para bellum“ („Wenn du den Frieden willst, rüste zum den Krieg“) hin. Denn dass das Böse nicht mit Sanftheit zu beeindrucken ist, sondern mit Entschlossenheit, dies erfuhr Jesus in seinen vierzig Tagen in der Wüste.

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