Philosophie

Bernhard Lakebrink: „Der innere Friede, der die Dinge durchwaltet“

Bernhard Lakebrink verteidigte die metaphysische Überzeitlichkeit des Wahren gegen eine subjektivistische und pluralistische Theologie.
Bernhard Lakebrink
Foto: Christiana Verlag | „In dieser wesenlosen Subjektivität, ohne Wirklichkeit und Welt, ohne Konvenienz und Proportion, ohne Sinngestalt und Wohlordnung, kann eine katholische Theologie im traditionellen Sinne jedenfalls sich nicht mehr ...

Früh schon hat Bernhard Lakebrink (1904–1991) seine dezidiert katholische Stimme im Ringen mit zeitgenössischen Strömungen erhoben. 1934, als junger Philosoph, war er an einer gegen Alfred Rosenbergs „Mythus des XX. Jahrhunderts“ gerichteten Schrift beteiligt. Sie entstand auf Anregung des Kölner Domvikars Josef Teusch und des Bonner Kirchenhistorikers Wilhelm Neuß. Vor allem ein Kreis katholischer Dozenten der Universität Bonn hat sie als Sammelband kritischer Studien erstellt, um Rosenbergs Umdeutung abendländischen Denkens im Sinne einer rassistischen Ideologie die christliche Sicht entgegenzuhalten. Lakebrink, der 1930 in Bonn bei Adolf Dyroff promoviert hatte, steuerte ein Kapitel „Zum Eckehart-Problem“ bei.

Darin zeigt er mit detaillierter Textanalyse, dass Rosenbergs Vereinnahmung Meister Eckharts für eine völkische „Religion des Blutes“ völlig verfehlt ist, vielmehr stehe der scholastische Denker und Mystiker für eine Wahrheit, die „übervölkisch und überzeitlich“ ist. Diese Frontstellung gegen einen der führenden NS-Ideologen war nicht ungefährlich, daher nennt die Vorbemerkung des Bandes als Urheber nur allgemein „deutsche Fachgelehrte“. Die Autoren der in einer Auflage von 200 000 Exemplaren mit den bischöflichen Amtsblättern verteilten Schrift wurden zwar nie enttarnt, aber in der Zeit des Nationalsozialismus konnte Lakebrink als katholischer Denker nur im Lehramt an Gymnasien überwintern und im Stillen das Material und die Vorarbeiten für sein späteres umfangreiches Werk ansammeln.

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Zwischen Sein und Nichts keine Vermittlung

Damit trat er dann bereits 1946 in zwei Schriften mit entschiedener Positionierung gegen das von Nominalismus, Idealismus und Existenzialismus geprägte neuzeitliche Denken auf, das er aus der Sicht der klassischen Metaphysik, insbesondere gestützt auf Thomas von Aquin einer kritischen Prüfung unterzog. Thomas von Aquin und Hegel, von dem nach seiner Analyse vermittelt über Heidegger auch die Theologie Karl Rahners beeinflusst ist, sind die beiden Antipoden, die er in weit ausgreifenden Studien gegenüberstellt. Mit dieser Thematik konnte er sich 1954, nach langer, durch die NS-Zeit bedingte Unterbrechung seiner Hochschullaufbahn in Köln bei dem Mediävisten Joseph Koch habilitieren. Bereits ein Jahr später erschien sein Hauptwerk „Hegels dialektische Ontologie und die Thomistische Analektik“, das zwei fundamental verschiedene Denkweisen gegenüberstellt: die ausgleichende der klassischen Metaphysik, von Lakebrink „Analektik“ genannt, und die grundstürzende Dialektik Hegels.

Analektisches Denken zielt danach auf das Wesenhafte des Geschaffenen in seinem gegliederten Zusammenhang, auf das Ordnungshafte der Wirklichkeit. Es weiß, dass Denken und Sein nicht identisch sind und dass es zwischen Sein und Nichts keine Vermittlung gibt. Nicht der Widerspruch waltet im Sein der Dinge, sondern der Einklang, und zu suchen ist stets die „Ähnlichkeit als wahre Mitte, die alle Gegensätzlichkeit besänftigt“. Das Seiende kann in seiner wesenhaften, objektiven Eigenwirklichkeit erkannt werden, der unser Erkennen nichts hinzufügt. Das Sein selbst, in dem sich das schöpferische Wirken Gottes zeigt, ist nur indirekt in der kreatürlichen Wirklichkeit zu erfassen, wenn die Analogie sie leuchten lässt „im Widerschein des Absoluten“.

Der Mensch muss sich erst zu sich selbst bestimmen

Dialektisches Denken dagegen identifiziert sich mit dem Sein. Als die allgemeinste, von jeder Bestimmung freie Abstraktion wird das Sein mit dem Nichts gleichgesetzt. Das Nichts kann daher in Sein und das Sein in Nichts umschlagen. Mit diesem uranfänglichen Widerspruch beginnt ein unruhiges Werden, das in einem Taumel dynamisierender Widersprüche fortschreitet, der alles wesenhaft Beständige und die Eigenwirklichkeit des Individuellen in immer neuen Negationen mit sich fortreißt.

Diese beiden Denkformen werden zugleich als unterschiedliche seelische Gestimmtheiten erfahren. Die analektische entspricht der christlichen Seinsfreude, die sich an der wunderbaren Vielgestaltigkeit der Dinge und ihrem wesenhaften In-sich-ruhen ergötzen kann, denn das Endliche „zittert im reflexiven Licht der Ewigkeit, das die Grenzen der Welt umspielt und die Dinge in ihrem Sein verklärt“. Und so widerspiegelt „der innere Friede, der die Dinge durchwaltet“ Gottes umhegende Sorge für seine Schöpfung. Dagegen ist dem dialektischen Denken das Endliche ein Nichtssein, das radikal hineingezogen ist in ein unruhiges Werden, in dem keine individuelle Eigenwirklichkeit Bestand haben kann. Es ist eine „Auszehrung der gegenständlichen Weltwirklichkeit.“ Sorge, Angst und das Gefühl der „Geworfenheit“ werden Hegels existenzialistische Nachfahren dann konsequent zu zentralen Bestimmungen des Menschen machen.

Lakebrink untersucht diesen weiterwirkenden Einfluss des Hegelschen dialektischen Denkens auf die neuzeitliche Ontologie in den Werken Heideggers und Sartres. Mehr noch als bei Heidegger geht bei Sartre in der schattenhaften idealistischen Welt seiner „,Verflüssigungs‘-Ontologie“ die Eigenwirklichkeit des bewussten Individuums und der Dinge unter. Der Mensch ist danach „Sein zu Möglichkeiten“, „entwerfendes Seinkönnen“, „Entwurf“, er muss sich erst zu sich selbst bestimmen. Möglichkeit aber setzt nach der klassischen Sicht voraus, dass Wirkliches, ein substanzielles geistiges Sein sie fundiert. „Seelen sind seiender als Sonnen“, formuliert Lakebrink – ein der neuzeitlichen Ontologie nicht mehr fassbarer Gedanke.
Nach der Habilitation gelang Lakebrink mit einer Gastprofessur in Münster auch der Einstieg in die Hochschullehre, dem 1959 ein Ruf an die Universität Freiburg erfolgte, wo er Nachfolger von Max Müller wurde.

Wesenlose Subjektivität, ohne Wirklichkeit und Welt

Aufbauend auf Freiburger Vorlesungen entstand sein 1967 erschienenes Buch „Klassische Metaphysik“, das seine bisherigen Studien zum dialektischen Denken und zur Existenzphilosophie zu einem Angriff auf die „existenziale Anthropozentrik“ anschärfte, die er theologisch insbesondere im Werk Karl Rahners repräsentiert sieht. Er will damit zeigen, dass diese Theologie unter dem Einfluss der Existenzphilosophie zutiefst subjektivistisch ist. Sie geht nicht von einer zeitlos wahren Seinsordnung aus, sondern von einem ins Geschichtliche eingetauchten „Selbstvollzug menschlicher Existenz“. In dieser Welt, der ein festes, objektives Maß fehlt, weil der Mensch es mit subjektiver Setzung selbst an sie heranträgt, entsteht dann der Raum für eine entfesselte Freiheit. In den folgenden Sätzen fasst Lakebrink sein Urteil über die anthropozentrische Theologie zusammen: „In dieser wesenlosen Subjektivität, ohne Wirklichkeit und Welt, ohne Konvenienz und Proportion, ohne Sinngestalt und Wohlordnung, ohne Ähnlichkeit und Widerschein kann eine katholische Theologie im traditionellen Sinne jedenfalls sich nicht mehr entfalten.“

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1969 versammelte sein Buch „Studien zur Metaphysik Hegels“ verschiedene Einzelbeiträge zum Hegelschen System, Studien, die er nach seiner Emeritierung im Jahre 1973 mit einem zweibändigen „Kommentar zu Hegels ,Logik‘ in seiner ,Enzyklopädie‘ von 1830“ abrunden konnte. 1986 sprach er in der kämpferischen Schrift „Die Wahrheit in Bedrängnis“ erneut ein entschiedenes Wort zur Theologie Karl Rahners. Höchst aktuell klingt, wenn er darin sagt: „Es ist ein Krankheitszeichen des modernen Denkens, dass es nicht objektiv und sachgerecht sein will, sondern aus der radikalen Subjektivität und Innerlichkeit aufsteigt.“ Daraus kann nur die Auffassung von einer pluralistischen Wahrheit entspringen, „wie sie heute die Geister verwirrt.“
1987, vier Jahre vor seinem Tod in seiner Heimat Paderborn, wohin er sich nach seiner Emeritierung zurückgezogen hatte, wurde Lakebrink mit der Mitgliedschaft in der Päpstlichen Römischen Akademie des heiligen Thomas von Aquin geehrt.

 

Der Verfasser ist freier Autor. Zuletzt erschien von ihm im Lepanto-Verlag „Über die Engel erhoben – Wesen und Sinn unserer Leiblichkeit. Eine philosophisch-theologische Annäherung“, Rückersdorf 2022.

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