Istanbul, Topkapi-Palast, Sitz der Sultane, ein paar Jahre nach der Einnahme Konstantinopels durch die Türken erbaut und später immer wieder erweitert. Herrlich und gebieterisch gelegen über dem Goldenen Horn, das an diesem Tag blau strahlt. Wir sehen die islamischen Reliquien in der Sammlung: einen Bogen des Propheten, auch sein Schwert, seine Standarte bei den Feldzügen, Schwerter seiner unmittelbaren Genossen, die Schuhe des Propheten, den Stab von Moses, das Schwert Davids, den Turban von Joseph, Schlüssel der Kaaba, des zentralen Heiligtums in Mekka. Die Standarte wurde im Kampf gegen Österreich 1593 mitgeführt, im darauffolgenden Jahr gegen Ungarn. Nachdem die Muslime 1492 aus Spanien vertrieben worden waren, sollte sie nun ein anderer Weg nach Europa führen. Man liest in den Dingen eine mehrfache Botschaft: Hier, im osmanischen Reich, liegt nun die Mitte der islamischen Welt, beglaubigt durch die Reliquien und durch die Souveränität über die Kaaba. Und zweitens: Die Religion, die dieses Reich und seine Politik legitimiert, der Islam, ist zum Kampf entschlossen. Mohammed war der einzige Stifter einer Weltreligion, der zugleich Heerführer war.
Mohammed war Heerführer, Jesus wurde umgebracht
Ich kenne einen einzigen vergleichbaren Ort: die Wiener Hofburg. Auch hier ein Zentrum großer religionspolitischer Ansprüche, die symbolisch in den Dingen ausgedrückt werden. Da ist die Reichskrone mit den Bildern von König David, König Salomo, von Hiskija mit dem Propheten Jesaja. Schließlich: Christus von zwei Engeln umrahmt, und da steht: Per me reges regnant, durch mich herrschen die Könige; ich bin es, der ihnen diese Kraft verleiht. Und dann: die sogenannte Heilige Lanze, mit der der römische Hauptmann Longinus den Gekreuzigten in die Seite gestochen haben soll, um sich seines Todes zu vergewissern. Mit der Echtheit der Lanze mag es sich übrigens ähnlich verhalten wie mit dem Turban Josephs in der Istanbuler Sammlung; das sind keine Glaubensartikel, und doch sagen sie etwas. Christus war der einzige Begründer einer Weltreligion, der umgebracht wurde. Das Wort „Martyrium“ hat im Christentum und im Islam jeweils einen anderen Sinn.
„Wer einmal das Schwert Mohammeds und die Lanze
des Longinus gesehen hat, der vergisst sie nicht mehr“
Aber hat nicht auch Jesus nach Matthäus 10, 34 das Wort gesagt: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“? Gewiss. Aber das war kein Aufruf zum heiligen Krieg gegen die nächste Stadt, sondern eine Metapher, ein Gleichnis für das Konfliktpotenzial, das er brachte: „Denn“, so fährt Jesus fort, „ich bin gekommen, den Menschen mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit der Mutter und die Schwiegertochter mit der Schwiegermutter.“ Etwas stand höher als Familienloyalität. Der Koran unterscheidet sich von der Bibel noch in einem anderen Sinn: Zwar nimmt er Erzählungen des Alten Testaments auf, Patriarchen und Propheten werden auch im Islam geehrt, selbst von der Geburt Jesu wird berichtet. Aber all dies ohne Chronologie, in Stücken, fast möchte man sagen: anekdotisch wird es dargestellt, es gibt keine eigentliche Geschichte. Keinen Kaiser Augustus, keinen Großkönig Kyros, der die Juden aus dem babylonischen Exil befreit. Zeitlos ist diese Welt. Und die Bruchstücke der Geschichte, die der Koran aufnimmt, haben immer nur den einen Sinn, der in jeder Sure eingehämmert wird: Du sollst glauben.
Dies ist die einzige Stimme, die spricht. Daher zuweilen eine erhabene Poesie dieses Buches, niemand kann sie leugnen. Aber die Geschichte der Menschen wird entwertet, sie bildet keinen Zusammenhang. Wer einmal das Schwert Mohammeds und die Lanze des Longinus gesehen hat, der vergisst sie nicht mehr.
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