Blaise Pascal, vor fast vierhundert Jahren geboren und 1662 verstorben, wurde berühmt durch seine „Pensées“, sein Gedankenbuch, „über die Religion und andere Themen“. In mindestens gleichem Maße war er auch Mathematiker und der erste, der eine Rechenmaschine konstruierte. Insofern ist er in einem eminenten Sinn unser Zeitgenosse.
Wie denkt dieser von der Reformation schon beeinflusste Mann? Eine ungeheure Verdüsterung ist über die Welt gekommen; er ist berufen, sie auszusprechen. „Alle Menschen hassen sich von Natur aus gegenseitig.“ Das ist die Erleuchtung, die ihm zuteil wurde; alles weitere folgt aus ihr. Aber als würde der Hass auf andere noch nicht reichen, muss er sich auch gegen das eigene Selbst kehren: „Das Ich ist hassenswert.“
Pascal ist der reine, vielleicht der historisch erste Typus
eines radikalen Denkers.
Jede Mäßigung, jedes Abwägen ist ihm fremd.
Ein wenig zu oft ist bei Pascal vom Hass die Rede. Er entdeckt etwas, das sich nur ihm offenbart, eine ordnungslose Welt. Aus den Institutionen ist der Sinn entflohen. Wenn Platon und Aristoteles über Staatskunst geschrieben haben, so war das, „als wollten sie damit die Ordnung für ein Irrenhaus festlegen“. Begierde und Gewalt „sind die Quellen aller unserer Taten“. Pascal ist der reine, vielleicht der historisch erste Typus eines radikalen Denkers. Jede Mäßigung, jedes Abwägen ist ihm fremd. Seine Einsicht ist so fern von uns, so weit draußen, dass sie es ihm erlaubt, die Welt aus den Angeln zu heben. Nur durch Macht und Gewalt wird sie ja zusammengehalten. „Wie gut hat man daran getan, die Menschen nach Äußerem und nicht nach inneren Qualitäten zu unterscheiden! Wer von uns beiden wird vorangehen? Wer wird dem anderen Platz machen?“
Nicht Qualitäten entscheiden, nicht die Legitimität, sei es des gekrönten Hauptes, sei es der Verfassung: „Er hat vier Lakaien, und ich nur einen: Das sieht man; man muss nur zählen; ich muss nachgeben.“ Allein durch die Kostüme herrscht jetzt Frieden; „Er ist das höchste aller Güter.“ Der Liebe vor allem gilt Pascals Misstrauen. Einer mag eine Frau um ihrer Schönheit willen lieben. „Hat er sie selbst lieb? Nein: Denn die Pocken, die, ohne den Menschen zu töten, die Schönheit töten, werden bewirken, dass er sie nicht mehr liebt.“ Man kann nur Eigenschaften lieben, sagt er: „Und wie kann man den Körper oder die Seele lieben, wenn es nicht dieser Eigenschaften wegen ist?“ Aber nein, niemals liebt man „Eigenschaften“, sondern er, Pascal, musste den Menschen erst atomisieren und in ein Bündel statischer Eigenschaften zerlegen. Radikal und lebensfremd!
"Reaktionär ist allenfalls der Gedanke einer unbedingten Gehorsamspflicht
den weltlichen Herrschern gegenüber,
der aber nur deshalb so überscharf akzentuiert werden muss,
weil Geist und Wahrheit schon aus den Gesetzen entflohen sind."
Zufälle und Konventionen entscheiden alles. Der Tapfere wird geachtet, weil der, den er getötet hat, auf der falschen Seite des Flusses lebte: „Mein Freund, wenn Ihr auf dieser Seite wohntet, so wäre ich ein Mörder, und es wäre ungerecht, Euch auf diese Art zu töten.“ Begründbar ist nichts mehr, und deshalb muss eine Gewalt da sein, die den Frieden sichert. Das Gebäude der Institutionen hatte noch nie innere Stabilitätsressourcen, alles galt nur noch, weil es eben galt.
Das Buch, das ich lese – „Blaise Pascal: Politica. Gedanken, Vorträge“ – ist unlängst im Wiener Karolinger-Verlag erschienen, in der „Bibliothek der Reaction“.
Reaktionär ist allenfalls der Gedanke einer unbedingten Gehorsamspflicht den weltlichen Herrschern gegenüber, der aber nur deshalb so überscharf akzentuiert werden muss, weil Geist und Wahrheit schon aus den Gesetzen entflohen sind. Eine furchtbare Zweideutigkeit beherrscht Pascals Welt. Man soll ihn bewundern, aber man kann ihn nicht lieben. Die Päpste mussten den Jansenismus verurteilen, die Theologie, die im Hintergrund von Pascals Gedankenwelt stand.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe